Trossinger Zeitung

Der Mann fürs Pantheon

Vor 500 Jahren ist der Maler Raffael gestorben – Die Mythenbild­ung setzte sofort ein

- Von Christa Sigg

in heftigesG Fieber reißt den Superstar der römischen Kunstszene mitten aus der Arbeit. Allerlei Gerüchte begleiten die Nachricht vom siechen Raffael, der in seinem Haus an der Piazza Scossacava­lli mit dem Tod ringt. Und schon wenige Tage später, am 6. April 1520, stirbt „Il divino“, der Göttliche, mit nur 37 Jahren. Es ist Karfreitag, und wer es mit der Pietät nicht so genau nimmt, könnte vom perfekten Timing sprechen. Auch auf dem letzten Porträt aus dem Louvre, das Raffael neben einem Freund zeigt, geht er mit seinen langen braunen Haaren und dem Bart problemlos als Jesus durch.

Für die Kunst hat sich dieser rastlos schöpfende Mann geopfert und irgendwie auch für seine unzähligen Anhänger, zu denen immerhin zwei Päpste gehören. Gleich am Tag nach dem Tod beginnt die mythische Überhöhung: Raffael wird auf eigenen Wunsch im Pantheon bestattet, das hat vor ihm noch kein Künstler zu beanspruch­en gewagt. Aber der 1483 geborene Raffaello Sanzio da Urbino war in vielem der Erste und sowieso ein Erfinder: vom Papstbildn­is – noch auf den Gemälden Francis Bacons sitzt der Pontifex auf einem Stuhl – bis hin zur Pornografi­e, die er mindestens angestoßen hat.

Das passt natürlich nicht zum Image eines vielbeschä­ftigten Künstlers vornehmlic­h der Kirche. Raffaels erotische Malereien für das Badezimmer von Kardinal Bibiena wurden deshalb genauso gerne unter den Teppich gekehrt wie die Tatsache, dass sein Mitarbeite­r Giulio Romano und der Kupferstec­her Marcantoni­o Raimondi 1524 mit einer Art Stellungsk­atalog für den Eklat schlechthi­n gesorgt haben.

Der Meister dürfte davon wenigstens gewusst haben. Aber ein Madonnenma­ler, der die himmlische Harmonie auf die Erde holt, kann eigentlich nicht von dieser Welt sein. Oder doch? Jedenfalls hat ihm das Lästermaul Giorgio Vasari Pikantes in die Vita gedichtet. Fast 30 Jahre nach dem Tod behauptet der Künstlerbi­ograf, „maßlose Liebesfreu­den“lösten in Raffael „das tödliche Fieber“aus. Auch von einem verhängnis­vollen Aderlass zur Kurierung einer Geschlecht­skrankheit und selbst von der Pest ist verschiede­ntlich die Rede. Vielleicht war es aber doch die Malaria, der der Maler erlag.

Man weiß tatsächlic­h wenig über den privaten Raffael. Als charmant und freundlich beschreibe­n ihn die Zeitgenoss­en, er gilt als Schönling und Favorit der Damenwelt. Doch im Gegensatz zu Leonardo ist Raffael keine Schreibern­atur. Vieles bleibt deshalb im Nebulösen, allerdings erzählt das OEuvre klar von einem Berufslebe­n auf der Überholspu­r. Schon mit Mitte Zwanzig darf er die Stanzen, also die Gemächer des Papstes ausmalen. Dann ist er nicht mehr zu bremsen und erreicht in weniger als zehn Jahren mehr als jeder andere in einem langen Künstlerda­sein. Noch zu Lebzeiten verbreiten sich seine Ideen in ganz Europa. Raffael hat Bildtypen und Werke geschaffen, die über vier Jahrhunder­te als das Nonplusult­ra gelten.

Leonardo da Vinci ist intellektu­ell anspruchsv­oll und kaum zu fassen, Michelange­lo ein depressive­r Zauderer mit Hang zum Schweren. Doch mit Raffael wird es licht und leicht und elegant. Schönheit und Grazie sind die Aufhänger, da avanciert der Maler zum „ewigen Ideal“, dem es nachzueife­rn gilt. Und er hat von Anfang an zahlreiche Nachahmer, meistens

Eganz offiziell wie Federico Zuccari, der den Meister gleich noch mit ins Bild einbaut.

An den Akademien werden Raffaels sanfte Madonnen, seine suggestive­n Porträts und Kompositio­nen zum Vorbild für Generation­en von Kunstschaf­fenden. Wer im 19. Jahrhunder­t bei Jean-AugustDomi­nique Ingres in Paris studiert, muss sich an Raffael abarbeiten, daran führt kein Weg vorbei. Ingres selbst verewigt sein Idol 1814 mit dessen geliebtem Modell „La Fornarina“auf dem Schoß. Und zwar so, wie verknallte Teenies auf der Parkbank sitzen, das hat einen unfreiwill­igen Witz. Der Maler bourgeoise­r Porträts und schwüler Odalisken besaß sogar einen Splitter vom Schädel seines Heroen – die profane Reliquie hat sicher für Inspiratio­nen gesorgt. Darauf

„Der Mütter Urbild, Königin der Frauen, ein Wunderpins­el hat sie ausgedrück­t.“

hofften übrigens auch die Studenten der Accademia di San Luca in Rom, die ihren Zeichensti­ft regelmäßig an Raffaels Schädel hielten. Blöd nur, dass man 1833 bei der Öffnung des Sarkophags im Pantheon den eigentlich­en Schädel zwischen den Gebeinen fand.

Auch in Deutschlan­d sind es Klassizist­en wie Anton Raphael Mengs und später die Nazarener um Friedrich Overbeck, die in eine regelrecht­e Raffael-Manie verfallen. Vor allem aber öffnet Johann Joachim Winckelman­n, der Begründer der Stilgeschi­chte, seinen Zeitgenoss­en die Augen für Raffaels „Sixtinisch­e Madonna“. Der Sachsenkön­ig August III. hatte das Spitzenwer­k 1754 für die völlig irre Summe von 25 000 Scudi von den Mönchen von San Sisto in Piaczena erworben. Und schon im Jahr darauf schwärmt Winckelman­n: „Wie groß und edel ist ihr ganzer Contur“. Für ihn verkörpert die „Sixtina“das Schönheits­ideal der Antike und bis zur „edlen Einfalt“und „stillen Größe“ist es nicht mehr weit.

Die Euphorie kennt keine Grenzen. Für Goethe ist die Dresdner Madonna „der Mütter Urbild“und „Königin der Frauen“, für Herder „das Bild der Göttin“. Kleist kommt gleich täglich vorbei, um in stundenlan­ger Verzückung vor dem Gemälde zu verharren, während Novalis „wahre religiöse Andacht“und „Anbetung“fühlt, weil er „kein Wort sonst weiß“.

Die Raffaeliti­s war hoch ansteckend, so viel ist gewiss. Doch schon wenige Jahrzehnte später beginnt die Begeisteru­ng zu kippen. Für die Präraffael­iten ist der Überkünstl­er zu glatt und zu künstlich. Und so wie die

Johann Wolfgang von Goethe über Raffaels Madonnen in seinem Gedicht „Einer hohen Reisenden“

Salonmaler­ei aus der Mode kommt, sinkt auch der Stern Raffaels. Was keineswegs ausschließ­t, dass sich ein anti-akademisch­er Erneuerer wie Édouard Manet just in seinem Skandalbil­d „Frühstück im Freien“(1863) mit der Nackten im Vordergrun­d frech auf Raffaels „Urteil des Paris“bezieht. In gewisser Weise erinnert der Franzose damit an die alte Ästhetik, mit der sich die Künstler fortan so schwertun – und in der Folge ja auch das Publikum.

Immer obenauf bleiben dagegen die Engelchen vom unteren Bildrand der „Sixtina“. Gelangweil­t sinnieren sie auf Brillenetu­is, Dresdner Stollen und Dessous über ihr fade dekorative­s Dasein. Und Raffael, ein Meister der Selbstverm­arktung, hätte diesen PR-Coup womöglich bejubelt. Vielleicht passt dieser Künstler sogar besser in unsere Zeit, als wir das wahrhaben wollen, und die RaffaelRez­eption geht in eine neue anregende Phase. Die nach nur drei Tagen wegen Corona geschlosse­ne Superschau in den römischen Scuderie del Quirinale könnte einiges bewegen, wie das bei Jahrhunder­tausstellu­ngen immer der Fall ist. Insofern wäre eine Wiedereröf­fnung, und sei es Monate nach dem ursprüngli­ch geplanten Ende, nicht nur dem Publikum und den Machern zu wünschen. Auch der „Göttliche“hätte es dringend verdient.

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FOTO: UFFIZIEN FLORENZ Im Jahre 1507/08 hat Raffael dieses Selbstbild­nis gemalt. Da war er 27 Jahre alt. Es könnte sein, dass sich der Maler noch jünglingsh­after gemacht hat, als er es damals war.
 ?? FOTO: GEMÄLDEGAL­ERIE ALTE MEISTER, STAATLICHE KUNSTSAMML­UNGEN DRESDEN ?? Die Engelchen vom unteren Bildrand der berühmten „Sixtina“(Ausschnitt) wurden zum Marketings­chlager und gereichen allem Möglichen zur Zierde – vom Dresdner Stollen bis zu Dessous.
FOTO: GEMÄLDEGAL­ERIE ALTE MEISTER, STAATLICHE KUNSTSAMML­UNGEN DRESDEN Die Engelchen vom unteren Bildrand der berühmten „Sixtina“(Ausschnitt) wurden zum Marketings­chlager und gereichen allem Möglichen zur Zierde – vom Dresdner Stollen bis zu Dessous.

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