Die 2020er - für Trossingen ein Jahrzehnt der runden Jubiläen
Stadtarchivar Martin Häffner blickt auf längst vergangene Zeiten - Erlangung der Stadtrechte als Höhepunkt
TROSSINGEN (sz) - Stadtarchivar Martin Häffner wirft für uns einen Blick in die Geschichtsbücher der Stadt. Denn Trossingen stehen in den nächsten Jahrzehnten einige runde Jubiläen bevor. Die 1920er Jahre waren ein in vieler Hinsicht aufregendes Jahrzehnt. Das gilt für Deutschland allgemein, ganz speziell aber für Trossingen.
Denn die Gemeinde schaffte damals, genau gesagt 1927, den Sprung vom Industriedorf zur Stadt. Entsprechend steuern wir langsam auf die Hundertjahrfeier der Stadtrechte-Verleihung zu, die 2027 sicher zu einem Höhepunkt in der Geschichte unserer „Ostbaar-Metropole“wird.
Bevor näher auf dieses und auf andere Trossinger Hundert-Jahr-Jubiläen der 2020er eingegangen wird, soll an länger zurückliegende Ereignisse erinnert werden, die sich demnächst auch mit einer runden Zahl jähren. Allen weit voran: 500 Jahre Altes Rat- und Schulhaus. Wer zur Wetterfahne auf das Dach hinaufsieht, erkennt zwei Jahreszahlen: 1992, das Jahr der Einweihung des durch die damaligen Heimatschützer geretteten und vorbildlich restaurierten Alten Rat- und Schulhauses, sowie 1522, das Jahr der Erbauung, dendrochronologisch nachgewiesen.
Mit diesem Gebäude auf dem Schulberg hinter der Martin-LutherKirche verfügt unsere Musikstadt über ein Kleinod, nämlich über das älteste ländliche Amtsgebäude der Region. Errichtet an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit, hat es eine bewegte Geschichte hinter sich: Wie der Name schon besagt als ehemaliges Rat- und Schulhaus des Trossinger Unterdorfes und sodann, ab 1873, als Teil der Mundharmonikafabrik von Christian Weiss.
IGARUS, die Interessengemeinschaft Altes Rat- und Schulhaus, sorgt als Nachfolgeverein der Heimatschützer (IG Erhaltenswerte Bawerke und Umwelt e. V.) heute für den Erhalt und die Belebung des Gebäudes
und wird das herausragende 500-Jahr-Jubiläum sicher angemessen feiern. Die Jahreszahlen 1873 und 1874 führen uns zu zwei bevorstehenden 150-Jahr-Jubiläen: Jungfabrikant Christian Weiss kam damals nur zum neuen Produktionsgebäude, weil dieses als Schulhaus ausgedient hatte.
1873, also vor bald 150 Jahren, errichtet die Gemeinde mit dem Schulhaus auf der Löhr ein ausgesprochen stattliches Bauwerk, die erste gemeinsame Schule für die Kinder des Ober- und Unterdorfes, heute die städtische Musik- und Tanzschule.
2024 sollte dann gleich das nächste 150er-Jubiläum begangen werden. Die Musikstadt Trossingen hat allen Grund, den 150. Todestag des legendären „Zeugchriste“Christian Messner zu begehen. Ohne den 1805 geborenen Sohn eines Tuchmachers (Zeugmachers) hätte sich hier das Mundharmonikagewerbe nicht etabliert. Es wäre in der Folge nicht zur Harmonika-Weltindustrie gekommen, die wiederum bekanntermaßen Basis für das Werden der Musikstadt war.
Immerhin verfügen wir über ein rollendes Denkmal, das den Gründer der hiesigen Mundharmonikamacherei würdigt: Der älteste Triebwagen der Trossinger Eisenbahn (Baujahr 1898, restauriert 1990) trägt den Namen „Zeugchriste“.
Der Vollständigkeit halber sei noch ein etwas weiter entfernt liegendes 150er-Jubiläum genannt: Die Turngemeinde Trossingen wurde 1879 aus der Taufe gehoben, kann also 2029 einen runden Geburtstag feiern.
Nun aber zu den 100-Jahr-Jubiläen. Sie stehen in reicher Zahl bevor, da Trossingen in den – anderen Orts oft notvollen – 1920er Jahren ganz gut wegkam. Entscheidenden Anteil daran hatte der weltweite Harmonikaexport, der harte Devisen nach Trossingen spülte. Den Harmonikafabrikanten und der Gemeinde selbst war so eine enorme Bautätigkeit möglich. Eine kurze Übersicht:
1921 wurde der Bau V in Richtung Hohnerstraße wesentlich erweitert; in den Folgejahren errichtete Weltmarktführer Hohner weitere riesige Produktionsgebäude am unteren Ende der heutigen Cluser- und entlang der Hans-Lenz-Straße (komplett abgerissen 1997); zuletzt entstand 1924/ 25 das Maschinen- und Kesselhaus. Rivale And’s Koch, die zweitgrößte Harmonikafabrik, erweiterte seine Werksanlagen in den frühen 1920ern ebenfalls durch einen großen Neubau im Tal links (ebenfalls 1997 abgerissen).
1921 kam es zur eigentlichen Gründung einer professionell geführten öffentlichen Ortsbücherei (eine Vorgängerinstitution in der Rosenschule führte ein Schattendasein und fungierte eher als Schulbücherei). Die heutige Stadtbücherei befindet sich seit über zehn Jahren im Bau V und kann im kommenden Jahr zusammen mit ihrem Heimatgebäude das Hundertjährige feiern.
1923 kam es zum Neubau der Güterhalle am Ortsbahnhof Trossingen. Diese war wesentlich größer als der Vorgängerbau und rückte in jüngster Vergangenheit wieder ins allgemeine Bewusstsein: Nach einigem Hin und Her über Erhalt und mögliche Nutzung kaufte der Verein Lebenshaus die Halle samt Bahnhofsgebäude, um die Anlage unter großen Opfern zu sanieren und sein Nudelhaus dorthin umzusiedeln.
1924 wurde die für damalige Verhältnisse hochmoderne Friedensschule eingeweiht. In den nunmehr fast 100 Jahren ihres Bestehens diente sie vielen pädagogischen Zwecken und in Kriegs- und Nachkriegszeiten sogar als Lazarett und als Quartier der französischen Besatzungstruppen.
Sieht man von den Übernahmejubiläen der Firma Hohner ab (Anfang 1928 schluckte die Matth. Hohner AG die Firma Ch. Weiss, Anfang 1929 den letzten in Württemberg verbliebenen Konkurrenten, die And’s Koch AG), verbleibt für die 2020er noch der größte 100. Geburtstag: Die eingangs schon erwähnte Verleihung der Stadtrechte im Sommer 1927, damals eingebettet in eine Veranstaltungsreihe, unter anderem mit großer Industrie- und Gewerbeausstellung zum Jubiläum „100 Jahre Harmonika“in Trossingen. Dieses bezog sich auf die Anfänge des Mundharmonikamachers Christian Messner im Jahr 1827.
Im jetzt erscheinenden neuen Trossinger Jahrbuch findet sich übrigens ein Beitrag zur Sicht auf die junge Stadt auf der Baar: Ein Bericht über eine 1929 erschienene Beilage des Schwäbischen Merkur, die die württembergischen Leserinnen und Leser ausführlich über die Harmonikastadt informierte. Details über das Doppeljubiläum von 1927 werden in einem weiteren Zeitungsbeitrag beschrieben.
An dieser Stelle aber noch der Hinweis auf drei musikalische runde Jubiläen der 2020er: In Kürze, 2021, wird die Musikhochschule 50 Jahre Wiederverstaatlichung feiern können. 2023 kann die Bundesakademie für musikalische Jugendbildung ihr 50-jähriges Gründungsjubiläum begehen, und 2026 besteht für das Hohner-Konservatorium Anlass, das 75jährige Jubiläum seiner Anfänge zu feiern.