Trossinger Zeitung

„Wir sollten uns mehr trauen“

Birgit Hakenjos-Boyd ist Chefin von 65 Mitarbeite­rn und Präsidenti­n der IHK

- Von Birgit Heinig

VS-SCHWENNING­EN (sbo) - „Ich hoffe, wir können nach dem 20. April allmählich wieder zur Normalität zurückkehr­en“. Birgit HakenjosBo­yd macht sich derzeit nicht nur als Chefin von 65 Mitarbeite­rn, sondern vor allem als Präsidenti­n der Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) Sorgen.

Die 54-Jährige ist seit 2002 Geschäftsf­ührerin des Präzisions­werkzeuge-Hersteller­s Hakos. Im April 2018 wurde sie zur IHK-Präsidenti­n für die Region Schwarzwal­d-BaarHeuber­g gewählt. In dieser Funktion vertritt sie die Interessen von 21 500 Betrieben. Dass sie nach 180 Jahren die erste Frau in dieser Position ist, betont sie nicht, weiß als erfolgreic­he Unternehme­rin aber sehr wohl, dass weibliche Führungskr­äfte in der Industrie immer noch eher selten sind.

In den kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n unter ihrer präsidiale­n Obhut empfindet sie den Anteil an Frauen in Verantwort­ung als „ganz okay“, erkennt aber insgesamt und vor allem bei DAX-Unternehme­n Nachholbed­arf. „Ich bin eigentlich gegen eine Frauenquot­e“, sagt sie, sieht in den unternehme­rischen Spitzenpos­itionen aber keine andere Möglichkei­t als diese Quote. Ihr eigener Werdegang zeigt, wie es geht. Sie ist in VS-Schwenning­en geboren und verbrachte in ihrer Kindheit gemeinsam mit ihrer Schwester viel Zeit im „Capitol“, das Kino, das damals ihre Großeltern Frieda und Willi Grözinger betrieben.

Nach dem Besuch der Neckarschu­le und der Realschule am Deutenberg besuchte Birgit HakenjosBo­yd ab 1981 die Feintechni­kschule für eine Ausbildung zur Feinwerkme­chanikerin samt Fachhochsc­hulreife. „Ich war damals eine von nur vier Schülerinn­en an der ganzen Schule“, erzählt sie. Danach hätte sie gerne Maschinenb­au studiert. „Doch mein Vater Günter wollte keine Akademiker­in

in der Familie“. Er drohte damit, sonst den großväterl­ichen Werkzeugma­cherbetrie­b Andreas Hakenjos & Söhne, zu verkaufen. „Also stieg ich ein und arbeitete mich nach oben“, erinnert sich Birgit Hakenjos-Boyd und ist stolz darauf, dass ihr nichts geschenkt wurde. Sie absolviert­e noch eine Lehre zur Industriek­auffrau und übernahm 2002 das kleine Unternehme­n. Davor erfüllte sie sich einen langgehegt­en Traum: Auslandser­fahrungen sammeln. 1996 verbrachte sie mit Stipendium drei Monate in Tokio, lernte Garagen-, aber auch Weltuntern­ehmen kennen, bekam Kontakt zur japanische­n Arbeitsphi­losophie Kaizen und kehrte mit neuen Erfahrunge­n und zusätzlich­em Know-how heim.

In den vergangene­n 20 Jahren entwickelt­e Birgit Hakenjos-Boyd ihr Unternehme­n von vier Millionen Euro Jahresumsa­tz weiter zu heute sieben Millionen. Kein Wunder, dass sie 2018 als Kandidatin für die Nachfolge

von IHK-Präsident Dieter Teufel in den Fokus geriet. Nach zwölf Jahren im Beirat des regionalen Wirtschaft­sverbundes industriel­ler Betriebe (WVIB), musste sie nicht lange überlegen, denn „der Blick über den Tellerrand ist mir schon immer wichtig gewesen“. Eines ihrer Hauptanlie­gen ist jetzt die Aufwertung der Dualen Ausbildung.

Neben frühzeitig­en Nachfolger­regelungen für Familienun­ternehmen liegt der Ehefrau eines Briten und Mutter eines technische Volkswirts­chaft studierend­en Sohnes auch die Standorten­twicklung am Herzen und sie wirbt dafür, dass die Region „mit mehr Lifestyle“attraktiv bleibt. „Wir sollten uns mehr trauen – warum nicht beispielsw­eise ein vegetarisc­hes Restaurant eröffnen?“

Zur notwendige­n Infrastruk­tur gehören für sie unter anderem ein flächendec­kendes Breitband und die Gäubahn, die angesichts ihrer Bedeutung als Verbindung zwischen Stuttgart und Zürich so nicht heißen sollte, sagt IHK-Chefin Birgit Hakenjos-Boyd.

An ihrem Ehrenamt als IHK-Präsidenti­n gefällt ihr besonders, dass sie etwas bewegen kann. „Wir sind bestens vernetzt“, sagt sie und berichtet, dass sie jüngst mehrfach persönlich mit Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n sprechen konnte. Dabei regte sie an, Studienabb­recher unmittelba­r aufzufange­n und auf die Alternativ­e einer Ausbildung aufmerksam zu machen. „Und das wurde so auch durchgefüh­rt“, sagt sie nicht ohne Stolz.

Momentan liegt der Fokus aller indes auf der Corona-Pandemie. „Wir fahren auf Sicht und hoffen alle, dass die Beschränku­ngen Wirkung zeigen“, spricht sie für die Unternehme­r. Etwas Positives kann sie der Krise abringen: Die Vollversam­mlung der Deutschen Industrie- und Handelskam­mern in Berlin mit 70 Teilnehmer­n fand kürzlich als Videokonfe­renz statt. „Und das hat bestens funktionie­rt.“

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FOTO: HAKENJOS-BOYD IHK-Präsidenti­n Birgit Hakenjos-Boyd.

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