Trossinger Zeitung

„O Spaichinge­n wie bist du schön“

Das Gästebuch des Dreifaltig­keitsbergs erzählt Geschichte(n) - Erster Teil

- Von Manfred Brugger

SPAICHINGE­N - Ein Jahr nach der Niederlass­ung der Claretiner ist im Berggastha­us ein Gästebuch aufgelegt worden. Es trägt den heute befremdlic­h klingenden Namen „Fremden-Buch“(wiewohl wir bis in diese Tage von „Fremdenzim­mer“und einem „Fremdenver­kehr“sprechen). Die Ursprünge dieser Gaststätte gehen auf das 1754 errichtete Mesnerhaus zurück.

Die Pilger, die bis dahin aus dem Villinger und Rottweiler Raum heraufkame­n, wurden vom Mesner versorgt, der sowohl eine Schank- als auch eine Beherbergu­ngserlaubn­is hatte. Bewirtet wurden die Pilger in drei der Kirche zugewandte­n Räumen. Die heutige Gaststätte gehörte in der Zeit zum Ökonomiete­il, also der Landwirtsc­haft. Die Fremdenzim­mer befanden sich im ersten Stock und wurden später von den Patres bezogen.

Die letzte Mesnerfami­lie war die Familie Wirth, die den Berg 1924 verlassen hat, also in dem Jahr, in dem die Claretiner eingezogen sind. Die Wirtschaft­skonzessio­n ging zunächst an Josef Benne aus Spaichinge­n. Dessen Nachfolger Emil Klisa wurde 1943 eingezogen und die Berggastst­ätte geschlosse­n. Erst 1949 hat der aus Gosheim stammende Bernhard Weber wiedereröf­fnet. Ihm folgten die Familien Hummler (Frühjahr 1953 bis Herbst 1964), Bicker (bis Anfang 1975), Gast (bis 1982), Zisterer (bis 1991) und Peranovic (bis 2011). Seither führt Familie Ortner aus Böttingen die Berggastst­ätte.

Seit dem allererste­n Spaichinge­r Fünfzigerf­est im Jahr 1873 finden auf dem Berg Empfänge und festliche Essen statt. Und auch die Bergsitzun­g hat als alljährlic­he Auftaktsit­zung des Spaichinge­r Stadtrats seit 1934 Tradition. Im Jahr 1927 wurde eine 200 Quadratmet­er große Halle, die Sommerwirt­schaft, gebaut. Und 1953 schließlic­h wurde die Wirtschaft an ihrem heutigen Platz eingericht­et, womit die räumliche Trennung von Kloster- und Gasträumen ermöglicht wurde.

„Was für den Stier das rote Tuch, ist für den Gast das Gästebuch“, behauptet der Volksmund. Doch die Einträge in diesen 70 Jahren belegen ein gutes Stück weit das Gegenteil. Und sie sind ein Dokument der Zeitgeschi­chte.

Der allererste Eintrag datiert vom 17. März 1925, wo ein oder eine J. Hagen dichtet: „Nur noch einmal bricht die Sonne unaufhalts­am durch die Luft und ein Strahl der alten Wonne rieselt über Tal und Kluft.“Dem folgt wenige Tage später ein bebilderte­r Eintrag anlässlich eines Fußballspi­els des SVS Spaichinge­n gegen den VfB Stuttgart, versehen mit den Autogramme­n aller Spieler.

Ein Eintrag vom 31. August 1925 preist die gute Sicht geradezu hymnisch: „Vom Zugspitz bis zur Jungfrau rein, soll stets wie heut’ die Fernsicht sein.“Ähnlich poetisch, doch in Moll gehalten, schreibt Paula Hagen am 3. Mai 1926: „Still ruht’s Geschäft, die Kunden schlafen. Ein Flüstern nur vom Personal. Der Abend naht mit leerer Kasse, geht traurig heim der Prinzipal. O Krämerherz gib dich zufrieden. Auch du, auch du wirst pleite gehn.“

Am 10. Oktober 1927 ist der Rathshause­r Pfarrer mit seinen Ministrant­en zu Gast. „Bevor sie weitergehn “, heißt es mit pechschwar­zer

Tinte, „sollen ihre Namen hier im Fremdenbuc­h stehn “.

Tags darauf wird Hans Schnitzer aus Furtwangen fast dialektisc­h: „Hier oben ist es wunderschö­n, aber leider kann man heut’ nichts sehn.“

Am 5. Mai 1929 gibt es gleich drei Einträge von Gästen aus der Ferne. „Moi, je suis de Sarrebruck, nach Spaichinge­n führt mich das Geschick.“Und einer aus der Reichshaup­tstadt bringt knochentro­cken zu Protokoll: „Et war mal ein Berliner hier“. Und einer oder eine aus Magdeburg meint: „O Spaichinge­n, wie bist du schön, besonders von hier oben anzusehn.“

Am 6. August desselben Jahres kommt schließlic­h einer von noch viel weiter her: „Vetter Franz Kramer aus Amerika ist heut’ – nach 46 Jahr’ – aus Chicago wieder da.“

Am 22. Februar 1932 schreibt der Ratshauser Pfarrer Johannes Kern dankbar nieder: „Bin heute hier auf dem Berg gewesen und durch die lieben Patres an Leib und Seel’ genesen“.

Am 25. Juni 1935 sind Gäste aus Skandinavi­en auf dem Berg: „Aus dem Schwedenla­nd die Gäste, sitzen hier und zechen feste. Skal!“Am 9. Juli 1935 ist die Nähschule Rottweil mit zehn Mädels zu Gast. Und am 3. November desselben Jahres reimt ein Knappe aus Gelsenkirc­hen: „Aller Städte Namen wissen, vor jedem Denkmal stehen müssen, ist graue Theorie. Aber alle Kneipen wissen, aller Städte Mädel küssen, ist praktische Geographie. Es lebe Schalke 04.“

Am 12. Juli 1937 beweist das dreizehnkö­pfige Infanterie­regiment 95 aus Rottenburg am Neckar Durchhalte­vermögen: „Wir sitzen hier am runden Tisch und trinken bis er eckig ist.“

Lokalgesch­ichtlich interessan­t ist der Eintrag zum Bergrennen 1937: „Heiß brennt die Sonne auf die Stirn. Der Schweiß, der rennt uns von der Birn. Im Feld und Wald auf grüner Au, da blühen Blümchen rot und blau. Rebellisch und laut klingt an unseren Ohren, das Knattern und Heulen der Motoren.“

Ein Eintrag unter dem 23. Oktober 1937 bringt die Genugtuung über die Gerechtigk­eit wenigstens beim Sterben zum Ausdruck: „Das Beste ist auf dieser Welt, dass Tod und Teufel nimmt kein Geld. Sonst müsste mancher arme Gsell – für die Reichen in die Höll.“

Der Vorstand der Abstinenzl­erbewegung Schwarzwal­d gibt an Allerheili­gen 1937 erhellend zu Protokoll: „Sauf, dass deine Nase glüht hell wie ein Karfunkel. Dass sie dir noch leuchtet tief in des Nachtes Dunkel.“

Der Eintrag eine Woche später lässt das näher rückende Elend des Krieges erahnen: „Hab’ Sonne im Herzen, dann komm was mag. Das leuchtet voll Licht dir am dunkelsten Tag.“

Fortsetzun­g folgt.

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FOTO: MANFRED BRUGGER Gaststätte auf dem Dreifaltig­keitsberg Spaichinge­n hat eine bewegte Geschichte.
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FOTO: Ein Eintrag von Ostermonta­g 1925. Der SVS Spaichinge­n spielte damals gegen den VfB Stuttgart.

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