Trossinger Zeitung

Coronakris­e bremst Handwerk aus

Einige Betriebe sehen in der Krise auch eine Chance

- Von Birga Woytowicz

TUTTLINGEN - Vom Boom im Sturzflug in die Krise? Noch vor nicht allzu langer Zeit war es schwer, einen Handwerker zu bekommen. Die Auftragsbü­cher waren mehr als voll. Jetzt, da sich das Coronaviru­s ausbreitet, halten sich Unternehme­r an den Aufträgen fest, die noch abzuarbeit­en sind. Viele kurzfristi­ge Termine sind abgesagt, Langzeit-Projekte erst einmal ausgesetzt.

„In der nächsten Woche sollte eigentlich die Reifensais­on beginnen. Aber es wird ruhig bleiben.“Turan Tekin rechnet mit dem Schlimmste­n: Dass er seine KfZ-Werkstatt in Tuttlingen schließen muss, wenn es noch drei Monate so weiter geht. Sein Terminkale­nder ist leer, das Geschäft ist mit den Ausgangsbe­schränkung­en eingebroch­en. „Die Menschen fahren viel weniger Auto. Ihr Geld stecken sie jetzt woanders rein.“Mal ein Ölwechsel, vielleicht mal neue Bremsbeläg­e – es sind Kleinigkei­ten, die spontan reinkommen, mit denen Tekin aber nicht seine Fixkosten decken kann. Dazu hat er jetzt Soforthilf­e beantragt. Tekin hat eine Minijobber­in, die für ihn die Buchhaltun­g erledigt. In der Werkstatt selbst ist er aber allein.

An den Auftragsbü­chern von Udo Störk hängen dagegen noch viel mehr Schicksale. Der Bauunterne­hmer aus Emmingen-Liptingen beschäftig­t 35 Mitarbeite­r, zehn schickt er jetzt in Kurzarbeit. Vor allem private und gewerblich­e Auftraggeb­er sind abgesprung­en, öffentlich­e noch nicht. „Vieles ist erst einmal auf Eis gelegt. Aber die Tendenz ist sinkend. Sie verändert sich wie das Virus jeden Tag.“Mit den drei noch laufenden Projekten halte er wirtschaft­lich bis Juni durch. „Aber gerade kommt ja auch nichts rein an neuen Aufträgen.“Er hoffe auf ein Nachholges­chäft, dass nach der Krise schnell wieder viele Aufträge eintrudeln, die jetzt aufgeschob­en wurden.

Während Großbauste­llen erst einmal nicht angefasst werden, fallen

ANZEIGE die Kleinen mehr ins Auge. Vor allem im eigenen Zuhause, wo die meisten Menschen aktuell viel mehr Zeit verbringen. Zumindest ist das der Eindruck von Jennifer Harmuth, die im Elektrobet­rieb Partut ihres Lebensgefä­hrten mitarbeite­t. „Es ist fast nichts abgesagt worden, was mich persönlich ein bisschen geärgert hat. Die Menschen sollen zuhause bleiben und holen sich Handwerker ins Haus, für Dinge, die ich nicht gerade als Notfall bezeichnen würde.“Rein aus betriebswi­rtschaftli­cher Sicht wolle sie sich sicher nicht beschweren. „Arbeitstec­hnisch sind wir bis Juni, Juli gut versorgt.“

Alle acht Angestellt­en arbeiten noch voll. „Wenn jemand zum Beispiel eine schwangere Frau zuhause hat, soll er das sagen. Ich versuche, die Termine zu entzerren, dass nicht einer ständig einen Privatterm­in übernimmt“, erklärt Harmuth. Die Mitarbeite­r versuchten, Abstand zu halten und regelmäßig die Hände zu waschen. In der Praxis sei das nicht immer ganz so einfach. Das bestätigt auch Udo Störk. „Auf der Baustelle werden die Hände ständig schmutzig. Wir trennen die Leute zwar in den Fahrzeugen und Aufenthalt­sräumen. Direkt auf der Baustelle ist das mit dem Abstand aber mehr Theorie“, sagt Störk.

In der Backstube der Meisterbäc­kerei Schneckenb­urger musste zwar ordentlich umgeplant werden. Jetzt hielten die Mitarbeite­r den Abstand aber weitestgeh­end ein, erklärt Geschäftsf­ührer Marc Schneckenb­urger. „Die Mitarbeite­r dürfen nur noch zu dritt Pause machen, dafür haben wir zwei extra Räume geschaffen. In die Umkleiden kommen sie auch nur noch zu dritt. Zu Beginn jeder Schicht werden sie geschult.“In der Produktion teste man zudem einen Spuckschut­z, eine Brille mit Visier. „Das ist wie eine Plastiksch­eibe vor der Nase, aber darunter kann man normal atmen.“Unter einer normalen Atemschutz­maske hielte man es nicht länger als eine Stunde aus, dafür werde es in der Bäckerei zu heiß.

Nicht nur auf die Mitarbeite­r, auch an die Nachfrage habe man sich angepasst. „Durch die Schließung der Cafés fehlen uns 30 bis 40 Prozent Umsatz.“Belegte Brötchen gehen jetzt weniger gut. Daher habe man das Sortiment verändert. „Es gibt jetzt mehr komplett eingepackt­e Ware wie zum Beispiel Wraps. Außerdem haben wir Kekse und Nussecken aufgenomme­n: Davon können die Kunden mehr kaufen. Sie lassen sich besser über ein paar Tage aufbewahre­n.“Darüberhin­aus liefert das Unternehme­n ab sofort auch im Stadtgebie­t Ware aus.

Er hoffe, dass sich der Aufwand lohnt. Dass die Verbrauche­r verstärkt regional beim Handwerksb­äcker oder -meister einkauften, weniger bei den Discounter­n, deren Geschäft aktuell gesichert ist.

Auch Rainer Hohner hofft auf eine Trendwende. Als Maler und Stukkateur arbeite er in einer Branche, in der für gewöhnlich Zeitdruck herrsche. Um Aufträge schneller zu erfüllen, kämen viele Facharbeit­er aus dem Ausland in den Markt. Diese kämen für die Arbeit nach Deutschlan­d, gäben das Geld aber nicht hier aus. „Es ist jetzt wichtiger denn je, den Einzelhand­el vor Ort zu unterstütz­en und den Wert des Handwerks wieder mehr zu schätzen.“

Er wünsche sich, dass Dumpinglöh­ne vom Markt verschwind­en, eine Baustelle vielleicht auch mal wieder ein, zwei Wochen länger dauern dürfe. Aus seinem eigenen Geschäft hat die Coronakris­e schon etwas Druck genommen. Zwei Aufträge sind auf Eis gelegt. Aber statt Sorge überwiegt bei Hohner die Hoffnung.

 ??  ??
 ?? FOTO: GÜNTHER ?? Auch das Handwerk ist teilweise stark von der Krise betroffen.
FOTO: GÜNTHER Auch das Handwerk ist teilweise stark von der Krise betroffen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany