„Gott überlässt uns nicht dem Tod“
Botschaft zu Passion und Ostern der beiden Bischöfe in Württemberg
Liebe Leserinnen und Leser der „Schwäbischen Zeitung“! Wir befinden uns inmitten einer beispiellos schwierigen Zeit. Fast hilflos mussten wir in den vergangenen Wochen mitansehen, wie sich ein bisher unbekanntes Virus über die Erde verbreitet, sich zunehmend unseres Lebens bemächtigt und unser gesamtes gesellschaftliches System aushebelt.
Buchstäblich still steht die Welt in diesen Tagen. Straßen, Plätze, Geschäfte und öffentliche Gebäude sind nahezu verwaist. Menschen beäugen sich vorsichtig, ja ängstlich. Anstatt einander zu begegnen, müssen sie nach Wegen suchen, sich gegenseitig auszuweichen. Plötzlich wird menschliche Nähe zur größten Gefahr. Die Intensivstationen der Krankenhäuser sind überfüllt. Bis zur Erschöpfung kämpfen Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger um jeden einzelnen Patienten, jede Patientin, oftmals mit begrenztem Schutzmaterial – und ohne ein adäquates Heilmittel, das die Leiden der Kranken lindert. Viele sterben in diesen Tagen einsam, ohne die bergende Hand und das tröstende Wort, das Gesicht ihrer Nächsten. Als Familien, als Seelsorgende, nicht einmal als Ärzte können wir direkte Nähe zeigen. Auch die Worte der Bibel, das Sakrament des Abendmahls als „Wegzehrung“können Sterbenden oft nicht persönlich nahegebracht werden.
Wie gehen wir mit dieser Krise um, die vor allem in der Einsamkeit, in der Erfahrung tiefster Verlassenheit ihr dunkelstes Gesicht zeigt? Was hoffen wir in einer Zeit, die Menschen an den existenziellen Rand treibt?
Viele fragen: Wo ist Gott in dieser Zeit? Manche wollen in der CoronaKrise eine Strafe Gottes sehen, weil sich die Welt zu weit von ihm entfernt habe. Nach unserem Glauben ist Gott allerdings keiner, der Sühnestrafen über die Menschen schickt, mittels derer er sie vernichten, sie ins Verderben schicken will. Gott hat die Menschen als die Ersten seiner Schöpfung geschaffen. Er hat sie aus Liebe ins Leben gerufen. Und als höchster Liebesbeweis an uns Menschen wurde er selbst Mensch in seinem Sohn Jesus Christus. In ihm hat er schließlich selbst das schlimmste menschliche Leid durchlebt, ist den denkbar schlimmsten Tod gestorben, den Tod am Kreuz. Gerade in den kommenden Tagen kommt uns Christinnen und Christen die Frage nach dem Leiden und dem Tod besonders nahe. Denn im kirchlichen Jahr beginnt heute, an Gründonnerstag, die Erinnerung an das Leiden und Sterben Jesu Christi. Die Texte der Bibel berichten, wie Jesus verraten und gefangen genommen, gefoltert, zum Tode verurteilt wird – und wie er schließlich einsam und verlassen den Kreuzestod stirbt. Die Evangelien erzählen viel von der großen Angst, die Jesus von Nazareth in seinem Leiden immer wieder spürt – bis hin zur absoluten „GottVerlassenheit“.
Diese schreit der sterbende Jesus am Kreuz laut heraus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“(Markus 15,34 nach dem Klagespsalm 22).
Unsere Kirchen kennen Traditionen, den Leidensweg Jesu eng und Schritt für Schritt nachzuvollziehen. Für katholische Christinnen und Christen ist es der Kreuzweg – er erinnert an die Stationen des Leidens Jesu. Evangelische Christinnen und Christen vertiefen sich in der Karwoche in Passionsandachten in die Berichte der Evangelien zum Leiden Jesu. Wenn wir mit Christus Tag für Tag, Station für Station auf seinem Leidensweg gehen, mit ihm innehalten und beten, begleiten wir ihn auf seinem Weg bis zum Augenblick seines Todes. Die
Betenden steigen mit ihm förmlich hinab in sein Leiden.
Der tiefere Grund für diese Traditionen ist unser Glaube: Genauso geht auch Gott selbst mit seinem Sohn Schritt für Schritt mit uns, bis in die äußersten Winkel des menschlichen Leids. Gott entzieht sich dem Leiden und Tod nicht, er trägt es mit. In Jesus Christus hat Gott alle Last des menschlichen Lebens auf sich genommen, hat das Allerschlimmste am eigenen Leib durchlitten. Auf die Frage „Wo ist Gott in diesen schweren Tagen?“dürfen wir deshalb antworten: Er ist dabei. Er selbst liegt bei jedem und jeder Kranken und durchleidet mit ihnen jedes Schicksal, jedes einzelne Leiden. Er ist durch die Pforten des Todes gegangen und hält auch jetzt jede Hand, sieht allen Schmerz. Er tröstet im Sterben: Jesus Christus – „gelitten, gestorben und begraben“.
Doch hier endet unser Glaube und unser Trost noch nicht. Am Kreuz ist Gottes Geschichte mit den Menschen nicht zu Ende. So wie Gott seinen Sohn nicht im Grab lässt, sondern ihn am Ostermorgen zum Leben ruft, dürfen auch wir darauf vertrauen, dass Gott uns nicht dem Tod überlassen wird. „Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben (…) können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“– so bekennt es der Apostel Paulus an die junge Christenheit (Römer 8,38).
Ja: Auch das Virus und die Pandemie, die uns derzeit an den Rand des Ertragbaren führen, sie haben nicht das letzte Wort. Sie werden irgendwann vorübergehen. Nach Corona wird sich die Welt gewaltig verändert haben. Wir werden mit den Folgen noch lange ringen. Doch schon jetzt, heute, scheinen Hoffnungszeichen auf. Das Licht der Hoffnung strahlt auf durch Menschen, die einander unterstützen, ganz praktisch mit Herz und Hand: Schülerinnen und Schüler, die freie Zeit nutzen, um für Ältere einzukaufen, Menschen, die über Telefon oder die sozialen Netzwerke miteinander Kontakt halten, Gläubige aller Religionen und Konfessionen, die füreinander beten, Patientinnen und Patienten, die geheilt werden. All dies sind österliche Hoffnungszeichen, die in dieser Krise aufscheinen und uns Zuversicht schenken können.
Unsere tiefste Hoffnung gründet in der Osterbotschaft. Sie begleitet Menschen seit zwei Jahrtausenden: „Christus ist erstanden, er ist wahrhaft auferstanden.“
Möge er uns mit seinem Segen behüten. Wir wünschen Ihnen gesegnete Kar- und Ostertage!
Ihre Bischöfe in Württemberg Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July
Evangelische Württemberg
Bischof Dr. Gebhard Fürst Diözese Rottenburg-Stuttgart
Landeskirche in