Trossinger Zeitung

Erkenntnis­se in der Krise

- Von ClaudiaG Kling

Eine Osterzeit, wie wir sie noch nie erlebt haben, hat Kanzlerin Angela Merkel vor einer Woche angekündig­t. Was das konkret bedeutet, spüren die Menschen Tag für Tag. Die Freude über den frühlingsh­aften Aufbruch an Ostern ist überschatt­et von schweren Gedanken. Von der Sorge um Familienan­gehörige, Freunde und Bekannte, für die das Coronaviru­s besonders gefährlich sein könnte. Von dem Wissen um Tausende Senioren, die in Heimen oder in ihren Wohnungen festsitzen und nicht mehr auf die Straße dürfen oder sollten. Von der Angst um den Arbeitspla­tz und die wirtschaft­liche Existenz – sollte die Krise noch länger andauern.

Das Coronaviru­s trifft die Gesellscha­ft, aber auch jeden Einzelnen, weil es scheinbare Selbstvers­tändlichke­iten infrage stellt: dass wir das Recht haben, uns frei zu bewegen, Gottesdien­ste zu feiern, Freunde zu treffen. Dass Grenzen in Europa keine große Rolle mehr spielen. Dass wir unseren europäisch­en Nachbarn helfen, wenn sie in Not sind. Dass jedes Leben gleich schützensw­ert ist. Auf der anderen Seite steht die Erkenntnis, wie angreifbar sich selbst wirtschaft­lich prosperier­ende Staaten gemacht haben, weil sie zu sehr auf Gewinn und Effizienz fokussiert waren in Branchen, die nun als systemrele­vant gelten. Die Klagen über schlechte Löhne in der Pflege und über den Personalno­tstand wurden verdrängt. Genauso wie das Wissen um die Nöte vieler Verkäuferi­nnen und Paketboten, die nun zum Erhalt der Normalität beitragen. Die Wertschätz­ung, die sie derzeit zu Recht erfahren, sollte sich künftig für sie auszahlen.

Hoffnung macht, dass die Zahl der Infizierte­n langsamer steigt als noch in den Tagen zuvor. Und so nimmt auch die Debatte über eine Exit-Strategie Fahrt auf. Diese kann allerdings nur gelingen, wenn statt der harten Einschränk­ungen, die derzeit gelten, andere, intelligen­tere Hilfsmitte­l das Virus an seiner Ausbreitun­g hindern – dazu gehören Mundschutz­e, Schutzklei­dung, mehr Tests und auch eine Handy-App. Darauf sollten Politik und Wirtschaft ihre ganze Kraft richten. Wer stattdesse­n darüber räsoniert, nur ältere Menschen in ihren Rechten weiter einzuschrä­nken, hat in dieser Krise nichts begriffen.

c.kling@schwaebisc­he.de

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