Eine halbe Billion gegen die Krise
Nach mehreren Marathonsitzungen finden die EU-Finanzminister eine Antwort auf Folgen der Corona-Pandemie
BRÜSSEL - Nach einer neuerlichen Verhandlungsrunde per Videoschaltung haben sich die europäischen Finanzminister Donnerstagnacht auf ein Corona-Paket zur Bewältigung der Krise geeinigt. Mit 500 Milliarden Euro sollen Mitgliedstaaten, Unternehmen und Arbeitnehmer unterstützt werden. Das Paket der EU-Finanzminister enthält drei Elemente: vorsorgliche Kreditlinien des Eurorettungsschirms ESM, einen Garantiefonds für Unternehmenskredite der Europäischen Investitionsbank EIB und das Kurzarbeiter-Programm namens „Sure“. Andere Streitfragen wurden auf die anstehenden Verhandlungen zum siebenjährigen Haushalt der EU vertagt. Die dürften noch schwieriger werden als sonst.
Für die Linke ist die Einigung der Finanzminister „ein Zeichen von irregeleitetem Dogma“, die Grünen hoffen weiterhin auf Corona-Bonds zu einem späteren Zeitpunkt, Konservative und Sozialdemokraten hingegen loben das Ergebnis als maßvollen Kompromiss. Die bis zuletzt von den Niederlanden erhobene Forderung, Kredite aus dem Stabilitätsmechanismus ESM solle es nur gegen die Zusage von Strukturreformen geben, findet sich nicht mehr in der Schlusserklärung. „Die einzige Voraussetzung für Zugang zu diesen Krediten wird sein, dass das anfragende Mitglied der Eurozone sich verpflichtet, damit Kosten direkter oder indirekter Gesundheitsversorgung, Heilung und Vorsorge zu decken, die durch die Covid-19-Krise entstanden sind.“
Das niederländische Parlament hatte seinen Finanzminister Wopke
Hoekstra mit einem deutlich strengeren Mandat in die Verhandlungen geschickt. Niederländische Regierungsmitglieder sind, ähnlich wie dänische, sehr eng an die Vorgaben gebunden, die die Abgeordneten ihnen mit auf den Weg geben. Doch der Druck, dass Europa endlich eine gemeinsame Antwort finden müsse, war am Ende zu groß. Die von Italien so vehement abgelehnte „Konditionalität“ist vom Tisch.
Doch soll die Obergrenze der bereitgestellten Kredite bei zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, das im Jahr 2019 – also vor der Krise – erwirtschaftet wurde. Das ist angesichts eines erwarteten Rezessionseinbruchs von sechs bis sieben Prozent des BIP nicht viel. Den Rest muss sich Rom am Markt besorgen. Da die Schuldenregeln außer Kraft gesetzt wurden, kann die Regierung den Geldhahn beliebig aufdrehen. Sie fürchtet aber die mittel- und langfristigen Belastungen für den Haushalt. Denn wenn die Wirtschaft einbricht, steigen die Risikoaufschläge, immer mehr Geld schluckt der Schuldendienst, der Gestaltungsspielraum schrumpft.
Bleibt also nur die Hoffnung auf den von Frankreich ins Spiel gebrachten Wiederaufbaufonds und auf den noch nicht ausverhandelten EUHaushalt für die kommenden sieben Jahre. Zum Fonds erklären die Finanzminister lediglich, dass er „zeitlich befristet, gezielt und den außerordentlichen Kosten der Krise angemessen sein soll und dazu beitragen wird, sie über einen längeren Zeitraum zu strecken.“Ob und wie der Fonds in den EU-Haushalt eingebettet wird, ob es dafür zusätzliches Geld gibt und wer bezahlt, ist offen.
Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, einen neuen und umfangreicheren Vorschlag für den EUHaushalt bald vorzulegen. Zwar ist der Druck größer geworden, sich angesichts der Ausnahmesituation rasch zu einigen. Die Probleme sind aber gleichzeitig mit gewachsen. Großbritannien als großer Geldgeber fällt aus. Italien, bislang ein Nettozahler in der EU, wird durch die extremen Corona-Folgen und den Zusammenbruch des Tourismus zum Nettoempfänger werden. Die anderen Südländer, bei denen ebenfalls der Fremdenverkehr einen wichtigen Teil zum Budget beiträgt, werden mehr Geld als bisher aus Brüssel brauchen. Deshalb fürchten die Osteuropäer, dass Zahlungen für die Landwirtschaft, Infrastruktur und andere Projekte wegfallen könnten.
Die wenigen verbleibenden Nettozahler, allen voran Deutschland, werden die Börse deutlich weiter öffnen müssen als geplant. Die Frage, ob die Auszahlung von Hilfen an Bedingungen geknüpft sein darf, wird dabei für zusätzlichen Zündstoff sorgen. Franzosen und Italiener schaffen es innenpolitisch nicht, überfällige Reformen im Rentensystem und auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen. Darf man dann aber die Zahlungen für Osteuropa daran binden, dass die Regierungen sich an Grundregeln der Rechtsstaatlichkeit halten?
2,6 Billionen Euro wirft die amerikanische Regierung in die Waagschale, um die Folgen der Corona-Krise abzumildern. Zählt man nationale und gemeinschaftliche Anstrengungen in der EU zusammen, kommt man auf eine ähnlich beeindruckende Summe. Doch im Vergleich zur staatlichen Struktur in den USA ist das Geflecht aus Geben und Nehmen in der Europäischen Union deutlich komplizierter.