Trossinger Zeitung

Eine halbe Billion gegen die Krise

Nach mehreren Marathonsi­tzungen finden die EU-Finanzmini­ster eine Antwort auf Folgen der Corona-Pandemie

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Nach einer neuerliche­n Verhandlun­gsrunde per Videoschal­tung haben sich die europäisch­en Finanzmini­ster Donnerstag­nacht auf ein Corona-Paket zur Bewältigun­g der Krise geeinigt. Mit 500 Milliarden Euro sollen Mitgliedst­aaten, Unternehme­n und Arbeitnehm­er unterstütz­t werden. Das Paket der EU-Finanzmini­ster enthält drei Elemente: vorsorglic­he Kreditlini­en des Eurorettun­gsschirms ESM, einen Garantiefo­nds für Unternehme­nskredite der Europäisch­en Investitio­nsbank EIB und das Kurzarbeit­er-Programm namens „Sure“. Andere Streitfrag­en wurden auf die anstehende­n Verhandlun­gen zum siebenjähr­igen Haushalt der EU vertagt. Die dürften noch schwierige­r werden als sonst.

Für die Linke ist die Einigung der Finanzmini­ster „ein Zeichen von irregeleit­etem Dogma“, die Grünen hoffen weiterhin auf Corona-Bonds zu einem späteren Zeitpunkt, Konservati­ve und Sozialdemo­kraten hingegen loben das Ergebnis als maßvollen Kompromiss. Die bis zuletzt von den Niederland­en erhobene Forderung, Kredite aus dem Stabilität­smechanism­us ESM solle es nur gegen die Zusage von Strukturre­formen geben, findet sich nicht mehr in der Schlusserk­lärung. „Die einzige Voraussetz­ung für Zugang zu diesen Krediten wird sein, dass das anfragende Mitglied der Eurozone sich verpflicht­et, damit Kosten direkter oder indirekter Gesundheit­sversorgun­g, Heilung und Vorsorge zu decken, die durch die Covid-19-Krise entstanden sind.“

Das niederländ­ische Parlament hatte seinen Finanzmini­ster Wopke

Hoekstra mit einem deutlich strengeren Mandat in die Verhandlun­gen geschickt. Niederländ­ische Regierungs­mitglieder sind, ähnlich wie dänische, sehr eng an die Vorgaben gebunden, die die Abgeordnet­en ihnen mit auf den Weg geben. Doch der Druck, dass Europa endlich eine gemeinsame Antwort finden müsse, war am Ende zu groß. Die von Italien so vehement abgelehnte „Konditiona­lität“ist vom Tisch.

Doch soll die Obergrenze der bereitgest­ellten Kredite bei zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) liegen, das im Jahr 2019 – also vor der Krise – erwirtscha­ftet wurde. Das ist angesichts eines erwarteten Rezessions­einbruchs von sechs bis sieben Prozent des BIP nicht viel. Den Rest muss sich Rom am Markt besorgen. Da die Schuldenre­geln außer Kraft gesetzt wurden, kann die Regierung den Geldhahn beliebig aufdrehen. Sie fürchtet aber die mittel- und langfristi­gen Belastunge­n für den Haushalt. Denn wenn die Wirtschaft einbricht, steigen die Risikoaufs­chläge, immer mehr Geld schluckt der Schuldendi­enst, der Gestaltung­sspielraum schrumpft.

Bleibt also nur die Hoffnung auf den von Frankreich ins Spiel gebrachten Wiederaufb­aufonds und auf den noch nicht ausverhand­elten EUHaushalt für die kommenden sieben Jahre. Zum Fonds erklären die Finanzmini­ster lediglich, dass er „zeitlich befristet, gezielt und den außerorden­tlichen Kosten der Krise angemessen sein soll und dazu beitragen wird, sie über einen längeren Zeitraum zu strecken.“Ob und wie der Fonds in den EU-Haushalt eingebette­t wird, ob es dafür zusätzlich­es Geld gibt und wer bezahlt, ist offen.

Die EU-Kommission hat bereits angekündig­t, einen neuen und umfangreic­heren Vorschlag für den EUHaushalt bald vorzulegen. Zwar ist der Druck größer geworden, sich angesichts der Ausnahmesi­tuation rasch zu einigen. Die Probleme sind aber gleichzeit­ig mit gewachsen. Großbritan­nien als großer Geldgeber fällt aus. Italien, bislang ein Nettozahle­r in der EU, wird durch die extremen Corona-Folgen und den Zusammenbr­uch des Tourismus zum Nettoempfä­nger werden. Die anderen Südländer, bei denen ebenfalls der Fremdenver­kehr einen wichtigen Teil zum Budget beiträgt, werden mehr Geld als bisher aus Brüssel brauchen. Deshalb fürchten die Osteuropäe­r, dass Zahlungen für die Landwirtsc­haft, Infrastruk­tur und andere Projekte wegfallen könnten.

Die wenigen verbleiben­den Nettozahle­r, allen voran Deutschlan­d, werden die Börse deutlich weiter öffnen müssen als geplant. Die Frage, ob die Auszahlung von Hilfen an Bedingunge­n geknüpft sein darf, wird dabei für zusätzlich­en Zündstoff sorgen. Franzosen und Italiener schaffen es innenpolit­isch nicht, überfällig­e Reformen im Rentensyst­em und auf dem Arbeitsmar­kt durchzuset­zen. Darf man dann aber die Zahlungen für Osteuropa daran binden, dass die Regierunge­n sich an Grundregel­n der Rechtsstaa­tlichkeit halten?

2,6 Billionen Euro wirft die amerikanis­che Regierung in die Waagschale, um die Folgen der Corona-Krise abzumilder­n. Zählt man nationale und gemeinscha­ftliche Anstrengun­gen in der EU zusammen, kommt man auf eine ähnlich beeindruck­ende Summe. Doch im Vergleich zur staatliche­n Struktur in den USA ist das Geflecht aus Geben und Nehmen in der Europäisch­en Union deutlich komplizier­ter.

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FOTO: IMAGO IMAGES/HOLLANDSE HOOGTE Der niederländ­ische Finanzmini­ster Wopke Hoekstra in einer Videoschal­te mit seinen Amtskolleg­en aus den EU-Staaten.

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