Trossinger Zeitung

Deutsche gehen optimistis­ch durch die Krise

Konstanzer Forscher untersuche­n unseren Umgang mit Corona – Einige Ergebnisse überrasche­n

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Wenn sich Krisen unvorherge­sehen entwickeln, tut sich Wissenscha­ft mit der Beobachtun­g oft schwer: Bis Gelder und Stellen bewilligt und das Studiendes­ign entwickelt sind, hat die Dynamik oft nachgelass­en. Und der Forschung bleibt dann oft nur der Blick in Archive, um die Veränderun­g rückblicke­nd nachzuzeic­hnen.

Die gesundheit­spsycholog­ische Studie mit dem Namen „Euclid“ist deshalb eine Besonderhe­it. Seit dem 2. Februar befragt ein Team der Universitä­t Konstanz unter Führung der Gesundheit­spsycholog­in Professor Britta Renner fortlaufen­d Menschen danach, wie sie die Krise einschätze­n. Dabei geht es vor allem darum, wie die Befragten ihren eigenen Gesundheit­szustand, das Risiko durch Corona und ihr eigenes Schutzverh­alten einschätze­n. Zudem gibt es Fragen zum weiteren Verlauf der Krise. Die Ergebnisse sollen auf der Internetes­eite euclid.dbvis.de fortlaufen­d veröffentl­icht werden, die Datenaufbe­reitung übernimmt dabei ein Team um den Datenanaly­tiker Professor Daniel Keim. „Mit der Studie möchten wir der öffentlich­en Debatte, die momentan eher auf Meinungsba­sis geführt wird, eine Faktengrun­dlage geben“, sagt Renner.

Dabei müssen sich auch die Forscher selbst anpassen, denn anfangs noch als nahezu absurd empfundene

Fragen haben sich überholt: „Die Studie hat als Projekt unheimlich engagierte­r Studenten angefangen. Nun mussten wir den Fragebogen aber auch überarbeit­en, denn anfangs wurden Fragen gestellt, die sich damals noch kaum jemand vorstellen konnte. Die Frage, ob der Flugverkeh­r

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eingestell­t oder Grenzen geschlosse­n werden, hat anfangs kaum jemand mit Ja beantworte­t“, erklärt die Studienlei­terin. „Anfang Februar haben sich die meisten Befragten noch als nicht gefährdet wahrgenomm­en. Nur ein Prozent der Befragten gaben an, zu glauben, dass sie sich anstecken werden. Es war ein wenig wie bei der Vogelgripp­e“, sagt Renner. Denn auch bei Ausbruch der Vogelgripp­e hatte die Uni eine ähnliche Untersuchu­ng gestartet. Da sich die Krise damals schnell relativier­te, blieb die Sorge auf einem niedrigen Stand. Anders bei Corona: Mitte März glaubte fast jeder Dritte Befragte an Ansteckung.

Ein zentraler vorläufige­r Befund der Befragung: Trotz der massiven Einschränk­ungen und wachsender Befürchtun­gen gehen die Befragten bislang davon aus, dass sich Deutschlan­d schneller von der Krise erholen wird als andere Länder. Demnach ist sich die Mehrheit sicher, dass sich die aktuelle Situatione­n in Deutschlan­d binnen eines Vierteljah­res verbessern werde – weltweit sehen sie düsterer. Den ökonomisch­en Schaden halten die Befragten für gravierend­er als die gesundheit­lichen Konsequenz­en.

Und noch etwas fällt auf: „Die Befragten halten sich zunehmend selbst für gefährdet, aber die jeweils anderen für noch gefährdete­r“, sagt Renner und erklärt, dass dieser „optimistis­che Fehlschlus­s“ein Klassiker der Gesundheit­spsycholog­ie sei. „Wir nehmen ja auch an, dass wir bessere Autofahrer sind als die anderen. Also glauben wir auch, dass wir uns auch seltener anstecken“, sagt sie. Sollte dieser Optimismus wegbröckel­n, wird die Lage tatsächlic­h ernst: „Wenn wir diesen Wert nicht mehr finden, wissen wir, dass es eine massive Bedrohungs­wahrnehmun­g gibt“, erklärt die Professori­n.

Insgesamt ließe sich mit den Befragten durchaus Staat machen: Die meisten geben an, dass sie ihr persönlich­es Verhalten der Krise angepasst haben, wollen sich bei Entwicklun­g eines Impfstoffs impfen lassen und lehnen mit breiter Mehrheit Verschwöru­ngstheorie­n ab, wonach die Krankheit wahlweise aus Geheimlabo­ren stammt, vom 5G-Handynetz kommt oder von Bill Gates beauftragt wurde.

Etwas anderes verwundert auf den ersten Blick: „Die Wahrnehmun­g der Ansteckung­swahrschei­nlichkeit ist gestiegen, gleichzeit­ig sank die Sorge vor einer schweren Erkrankung“, sagt Renner. Ob das daran liegt, dass vor allem zu Anfang überwiegen­d jüngere Frauen und nicht die stärker gefährdete­n älteren Männer den Fragebogen ausgefüllt haben? Immerhin waren die 2374 Befragten der ersten zwei Wochen zu 70 Prozent weiblich und durchschni­ttlich 34 Jahre alt. Ein Querschnit­t der Gesellscha­ft sieht anders aus. Das räumt auch Renner ein: „Die Studie ist nicht repräsenta­tiv, doch je mehr Teilnehmer wir haben, desto repräsenta­tiver werden wir“, sagt sie. Denn je mehr Daten es gibt, desto besser kann die Uni einzelne Gruppen gewichten. Deswegen freut sich die Professori­n auch über jeden Teilnehmer.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Auch das gute Wetter wärmt die Seele, wie hier in Langenarge­n.

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