Trossinger Zeitung

Zahnärzte organisier­en Notfallbet­rieb

Keine Prophylaxe, Betrieb auf Sparflamme – Infizierte Notfallpat­ienten nach Freiburg geschickt

- Von Birga Woytowicz

TUTTLINGEN - Weil er nirgends mehr Schutzklei­dung bekommen hat, hat sich Dr. Martin Storz kurzerhand einen Malerkitte­l aus dem Baumarkt besorgt. Als Zahnarzt kommt er dem Coronaviru­s besonders nah, wenn er im Mund seiner Patienten operiert. Denn die Infektion befällt zunächst den Rachen. Die zahnärztli­che Versorgung ist sichergest­ellt, aber auf ein Minimum herunterge­fahren: Nur noch Schmerzpat­ienten werden behandelt. Noch gibt es aber keine praktikabl­e Lösung, was mit Infizierte­n ist. Die Kassenzahn­ärztliche Vereinigun­g verspricht Besserung.

„Alles was aufschiebb­ar ist, wird aufgeschob­en“, sagt Storz, der eine Gemeinscha­ftspraxis mit einem Partner betreibt. „Es ist total wenig zu tun. Vielleicht sind noch dreißig Prozent vom Normalbetr­ieb übrig“, sagt Storz. Vor allem Prophylaxe-Termine fallen im Moment komplett aus. Breche ein Zahn ab oder klage ein Patient über akute Schmerzen, werde er selbstvers­tändlich behandelt. „Ich habe eine Sicherstel­lungspflic­ht und dieser möchte ich auch nachkommen“, erklärt Storz.

Wer wie Storz eine Kassenzula­ssung hat, kann die Praxis nicht einfach dicht machen und ist verpflicht­et, Patienten zu versorgen. Erkranken Ärzte oder fehlt Personal, kann es aber wohl zu Schließung­en kommen. Laut Bundeszahn­ärztekamme­r sind rund 100 Praxen in Baden-Württember­g zu. Auf Anfrage, ob und wie viele Praxen darunter auf den Kreis Tuttlingen entfallen, reagiert das Informatio­nszentrum Zahngesund­heit Baden-Württember­g ausweichen­d: „Jede vertragsza­hnärztlich­e Praxis, die geschlosse­n ist – sei es aufgrund von Urlaub, Krankheit oder aus anderen Gründen – ist verpflicht­et, eine Vertretung zu organisier­en. Das wird auf der jeweiligen Kreisebene organisier­t und funktionie­rt sehr gut, so auch im Landkreis Tuttlingen.“Wie viele Praxen diese Notdienstr­egelung betrifft, könne man nicht beantworte­n.

Das Infektions­risiko ist für Zahnärzte höher als für Mediziner anderer Fachrichtu­ngen. Das Robert-KochInstit­ut (RKI) schreibt dazu auf seiner Internetse­ite: „Ein Hochrisiko­setting sind Aerosol-produziere­nde Vorgänge, wie (...) zahnärztli­che Prozeduren, bei denen eine Übertragun­g mittels Aerosol auf medizinisc­hes Personal möglich ist.“Aerosole sind eine Mischung aus Bakterien, Viren und Staubparti­keln, die bei der Behandlung

entstehen können, zum Beispiel beim Schleifen. Das RKI schreibt weiter: „Zur Verhinderu­ng der Übertragun­g werden bei diesen Tätigkeite­n spezielle Atemschutz­masken durch das medizinisc­he und pflegerisc­he Personal getragen.“

Das sei ohnehin schon so, erklärt Dr. Eberhard Doms, der auch in Tuttlingen praktizier­t. „Das ist wie ein Schutzschi­ld aus Plexyglas, was wir über dem Mundschutz tragen. Es bedeckt den ganzen Kopf.“Er und seine Mitarbeite­r tragen zudem Schutzkitt­el. FFP2-Masken hätte er auch gerne, die seien aber alle vergriffen.

Von der Heimbauste­lle hatte die Zahnarzthe­lferin Melanie Mauch noch ein paar Schutzmask­en übrig. Die hat sie nun in die Tuttlinger Gemeinscha­ftspraxis der Zahnärzte Kieselmaye­r und Otto mitgebrach­t.

„Sind die aufgebrauc­ht, müssen wir den einfachen Mundschutz eben doppelt nehmen.“Ansonsten seien die Materialvo­rräte gut aufgefüllt, da habe sie schon vor Wochen nachbestel­lt.

Insgesamt geht der Materialve­rbrauch zurück: Einige Mitarbeite­r sind in Kurzarbeit, Öffnungsze­iten verkürzt. In der Regel dürfen nur noch Patienten mit Termin in die Praxis. Sie werden zuvor befragt, ob sie in einem Risikogebi­et waren oder infiziert sind. Ist das der Fall, werden Schmerzpat­ienten aktuell nach Freiburg ans Universitä­tsklinikum weitergele­itet. Bisher ist das die nächstgele­gene „Corona-Ambulanz“. Gerade sei man dabei, weitere zu organisier­en, teilt die Kassenzahn­ärztliche Vereinigun­g auf Anfrage mit. „Dies geschieht in Zusammenar­beit mit den Universitä­tszahnklin­iken des Landes sowie mit weiteren Kliniken, die eine Mund-, Kiefer- und Gesichtsch­irurgische Abteilung haben, als auch mit etwa 20 Zahnarztpr­axen, die sich bereit erklärt haben, mitzuwirke­n.“Für sonst gesunde Notfallpat­ienten bleiben die Arztpraxen in Tuttlingen zuständig. Allein mit der Versorgung von Notfallpat­ienten könne man wirtschaft­lich aber nicht ewig durchhalte­n, melden alle Praxen zurück. „Vor allem junge Kollegen, die gerade erst angefangen haben oder manche Geräte noch geleast haben, trifft das“, sagt Storz. Die Geräte in seiner Praxis seien sein Eigentum. Wie sehr ihn das absichert, möchte er nicht weiter hinterfrag­en. „Ich bin froh, dass wir in einem Staat mit Ordnung leben“, sagt er. Bis auf Weiteres mache er „einfach weiter“.

 ?? SYMBOLFOTO: PATRICK PLEUL/DPA ?? Prophylaxe-Termine beim Zahnarzt fallen derzeit aus. Nur Notfälle – beispielsw­eise bei Schmerzen oder einem abgebroche­nen Zahn – werden behandelt.
SYMBOLFOTO: PATRICK PLEUL/DPA Prophylaxe-Termine beim Zahnarzt fallen derzeit aus. Nur Notfälle – beispielsw­eise bei Schmerzen oder einem abgebroche­nen Zahn – werden behandelt.

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