Seemanns- und Wanderlieder sind gefragt
Zum Mitsingen und Schunkeln: Ursula Riedl spielt mit ihrem Akkordeon für Senioren
TUTTLINGEN (bwo) - Musik macht gute Laune. Aber allein für sich spielen? Das sei irgendwie ein bisschen verschenkt, hat sich Ursula Riedl gedacht. Jetzt zieht die Neuhauserin mit ihrem Akkordeon von Altersheim zu Altersheim und spielt vor deren Türen, während die Bewohner an Fenstern, auf Balkonen oder Bänken mitsingen und schunkeln.
Sie hatte das eigentlich schon vor der Coronakrise angehen wollen, erzählt die Lehrerin. Laufe der Schulbetrieb normal, habe sie einfach weniger Zeit. „Klar, ich sitze jetzt am Schreibtisch und chatte mit den Schülern. Aber insgesamt kann ich mir die Zeit viel besser einteilen."
Festgefahrene Strukturen, Alltagstrott: Das hat die Coronakrise aufgebrochen. Und für Riedl den Weg frei gemacht zu unkomplizierter, direkter Hilfe. Ein wenig habe sie sich früher auch gedrückt, in Seniorenheimen Musik zu machen. „Ich wusste nicht, wer die Heimleitung ist, mit wem ich mich absprechen muss." Dabei sei es so leicht zu helfen.
Es brauchte nur einen Anruf. Riedl war sofort gebucht. Sie spielt für die Bewohner des Elias-SchrenkHauses (ESH), des Bürgerheims und des Seniorenzentrums St. Anna. Weitere Einrichtungen habe sie im Blick, sagt Riedl. Zwei Mal in der Woche, vielleicht 20 Minuten an jeder Station. So, wie sie es eben schaffe und wie das Wetter mitspielt. Zumindest trocken müsse es sein. „Ich sehe, wie die Mitarbeiter die Menschen mit
Sorgfalt vorbereiten, in Wolldecken packen, damit sie draußen sitzen können. Und wenn ich ein Lied spiele, das sich jemand gewünscht hat, strahlen sie."
Besonders gefragt: Seemannslieder und Wanderlieder. Aber auch Frühlingslieder, zum Beispiel „Im Märzen der Bauer" oder „Es singt ein Vogel". Als Riedl das „Spätzlelied" spielt, schnappt eine Seniorin gerade frische Luft vor dem Eingangsbereich. Eine Hand hält den Rollator, mit der anderen schwingt sie im Takt. Sie singt und steuert auf eine Bank zu. Als sie sich hingesetzt hat, wippen ihre Beine, mit beiden Armen tanzt sie in der Luft.
Bei manch einem weckten ihre Konzerte Erinnerungen an alte Zeiten, sagt Riedl. „Menschen, die sich sonst sprachlich nicht mehr ausdrücken können, holen auf einmal alte Liedtexte hervor und singen mit." Andere strahlten über das ganze Gesicht, mit verklärtem Blick.
Sie persönlich baue das auf, freut sich Riedl. „Ich sehe: Ich helfe mit dem, was ich kann." Sie hoffe auf noch mehr Nachahmer. Denn schon jetzt gebe es schließlich viele neue Angebote. „Es ist jetzt vieles entstanden, was es vorher nicht gab. Das finde ich toll. Da legt sich gerade ein Schalter um." Sei die Krise einmal überstanden, gerieten die Hilfsaktionen hoffentlich nicht einfach so in Vergessenheit. Riedl jedenfalls hat sich vorgenommen, weiterzumachen.