Abi absagen? Für Schüler eher Notlösung
Angehende Abiturienten im Kreis erwarten klaren Fahrplan seitens der Landesregierung
TUTTLINGEN/TROSSINGEN/SPAICHINGEN - Abi ohne Abiprüfung? In einem Brief an Landesbildungsministerin Susanne Eisenmann haben Freiburger Schüler genau das gefordert: die psychische und gesundheitliche Belastung sei durch die Coronakrise zu groß, schreiben die Jugendlichen. Abiturienten aus dem Kreis Tuttlingen können dem nur in Grenzen zustimmen. Sie sehen sich nicht nur im Nachteil.
Die Termine für die Abiprüfungen wurden bereits auf Ende Mai verschoben. Daran hält Eisenmann auch nach dem Brief fest. Völlig ohne Präsenzbetrieb kann sich aber kaum ein Schüler vorstellen, das Abi zu schreiben. Sei die Abivorbereitung in den vergangenen Wochen doch alles andere als geplant abgelaufen.
Weitestgehend habe man sich per Mail, vereinzelt telefonisch, mit den Lehrern ausgetauscht, erzählt Samuel Hipp vom Otto-Hahn-Gymnasium (OHG) in Tuttlingen. „Darin sehe ich schon einen großen Nachteil. Habe ich eine Aufgabe mal nicht verstanden, schreibe ich nicht gleich eine Mail.“Außerdem fehle ihnen jetzt die Intensivwoche, ergänzt Mitschülerin Lilli. „Wir hätten in der Woche vor den Osterferien nur Abifächer gehabt. Da wäre ich am liebsten in der Schule gewesen“, sagt die Tuttlingerin. Die Lehrer hätten aber verlässlich und zügig geantwortet, melden auch Schüler als Trossingen und Spaichingen zurück.
Sogar abends um 21 Uhr habe er noch eine Nachricht schicken können, erzählt Noah Nestel vom Tuttlinger Immanuel-Kant-Gymnasium. Die Schule nutzte als einzige schwerpunktmäßig eine eigene Cloud. Er sei gut damit klargekommen, hätte jeden Tag länger geschlafen, dafür einfach abends länger gelernt. Seine Mitschülerin
Franziska ist nicht ganz so überzeugt: „Die Schulcloud war häufig überlastet. Ich glaube, da ist vorher schon vieles verpasst worden bei der Digitalisierung.“Zu Hause sei es schwer, den Überblick über den ganzen Lernstoff zu behalten.
Maxime Schöttle aus Dürbheim, die das Gymnasium in Spaichingen besucht, sieht vor allem ein Motivationsproblem: „Wäre der Schulalltag strikter, hätte ich mich noch besser konzentrieren können und hätte konsequenter gelernt.“Auch dadurch, dass das Abitur bereits auf Ende Mai verschoben worden sei, habe die Motivation gelitten.
Ihre Stufenkollegin Sarah Hein aus Denkingen und der Trossinger Abiturient Nirojan Chandran, sehen aber auch Vorzüge im Home-Schooling. „So konnte man unnötige zweiStunden-Fächer vernachlässigen und gezielter lernen“, sagt Chandran.
Er sei grundsätzlich dafür, die Prüfungen durchzuziehen: Unter der Bedingung, dass nach den Ferien die Schulen wieder öffnen – zumindest für die Abiturienten. Sollte es noch zu weiteren Aktionen kommen, das Abi abzusagen, würde er diese aber auch unterstützen. Das Argument, dass Abiturienten in anderen Bundesländern im Nachteil dadurch seien, lasse er nicht gelten. „Da sind die Prüfungen schon gelaufen. Bei uns ist die Situation besonders.“
Trotzdem unfair gegenüber anderen Jahrgängen, hält Noah Nestel vom IKG dagegen. Er wolle sich nicht klar für oder gegen eine Absage aussprechen. „Wobei es für mich persönlich schon ein Vorteil wäre. Ich rechne damit, dass ich meinen Schnitt durch die Abiprüfungen nur verschlechtere.“
In ihrem Brief haben die Schüler aus Freiburg ein Durchschnittsabi vorgeschlagen, das die Noten der vergangenen zwei Jahre mit einbezieht. Diese fließen ohnehin in die Abschlussnote ein, wenn auch nur zu zwei Dritteln.
Im Zweifelsfall könnten sich die meisten Schüler mit dieser Lösung anfreunden. Nur Sarah Hein zögert. Sie wolle ihr Abitur nicht nachgeschmissen bekommen. „Das ist dann mehr für mein eigenes Gefühl, dass ich das auch wirklich geleistet habe.“
Eine besondere psychische Belastung durch die Coronakrise - auch ein Argument der Freiburger Schüler, das Abi abzusagen – spüre sie persönlich nicht. „Aber wer gerade auf seine Geschwister aufpassen muss oder selbst betroffen ist, den beeinflusst das vermutlich schon deutlich mehr“, schränkt Lilli aus Tuttlingen ein. Franziska Leuthner arbeitet zum Beispiel nebenbei im Einzelhandel. „Corona verdrängt gerade schon das Thema Schule aus dem Gedankenumfeld. Das Risiko, dass ich mich anstecke, ist vielleicht größer. Aber ich fühle mich irgendwie mitverantwortlich dafür, die Versorgung sicherzustellen.“
Schwierig sei es aktuell, Strukturen im Alltag zu schaffen und einzuhalten. Verlässlichkeit, klare Zielmarken. Das wünschen sich alle Schüler. Vor allem von der Landesregierung. Nach den Osterferien erwarte man einen klaren Fahrplan. Die Lage sei dynamisch, in diesem Punkt ist das Verständnis groß. Aber man könne das Abi auch nicht zwei Tage vorher absagen: Umsonst mag wohl keiner lernen.