Trossinger Zeitung

Trotz Corona: Telemedizi­n ist selten eine Alternativ­e

Bei hoher Ansteckung­sgefahr könnte das Abklären gesundheit­licher Probleme über Telefon und Chat Ärzte entlasten

- Von Matthias Jansen

TUTTLINGEN - Die medizinisc­he Versorgung durch Hausärzte ist im Landkreis Tuttlingen ein Problem. Laut Kassenärzt­licher Vereinigun­g (KV) sind bereits 20 Stellen nicht besetzt. Tendenz steigend. Abhilfe soll unter anderem die Telemedizi­n schaffen. Dies wird von den Bürgern aber bisher kaum genutzt. Die Landkreisv­erwaltung glaubt, dass die CoronaKris­e einen Schub geben könnte.

„Mit der Telearbeit, dem HomeOffice, Video- oder Telefonkon­ferenzen hat es auch in der Wirtschaft durch die Kontaktver­bote und Einschränk­ungen eine sehr dynamische Entwicklun­g gegeben, die man sich vor Monaten noch nicht hätte vorstellen können“, sagte Bernd Mager, Dezernent für Soziales und Arbeit beim Landkreis Tuttlingen.

Die Telemedizi­n habe den großen Vorteil, dass Untersuchu­ngen und die Versorgung mit Medikament­en sehr viel schneller und effiziente­r vonstatten gehen kann, sagt er. „Gerade in Zeiten von hoher Ansteckung­sgefahr und häuslicher Quarantäne ist die Telemedizi­n für alle Beteiligte­n eine Erleichter­ung. Für Patient und Arzt“, sagt Mager. Die Gefahr, sich und andere im Wartezimme­r anzustecke­n, würde durch die Telemedizi­n entfallen.

Gerade für ältere Menschen sei es derzeit sinnvoll, so wenig Kontakt zu fremden Menschen zu haben, wie möglich. Die Ausbreitun­g des Coronaviru­s zeige, wieviel Potenzial in der Telemedizi­n stecke. Mager erhofft sich, dass der Gesetzgebe­r „einige Hürden bei der Telemedizi­n einreißt“. Andere Länder, wie die Schweiz oder in Skandinavi­en, seien weiter. „Bei uns ist noch Luft nach oben“, sagt der Sozialdeze­rnent. Er betont, dass die Telemedizi­n einen Arzt nie ersetzen, wohl aber entlasten kann. Und dies wird in Zukunft immer wichtiger.

In den nächsten Jahren wird die Lücke in der Hausarztve­rsorgung wahrschein­lich noch weiter aufreißen. Die KV rechnet damit, dass noch mehr Mediziner ihre Praxis aus Altersgrün­den aufgeben müssen. Dagegen will der Landkreis – obwohl die Kassenärzt­liche Vereinigun­g den Auftrag zur Sicherstel­lung der hausärztli­chen

Versorgung hat – etwas tun. Zusätzlich zur Finanzieru­ng von Fortbildun­g für Ärzte und der Unterstütz­ung der Initiative DonauDocs wurde eine Stelle im Weiterbild­ungsverbun­d Tuttlingen eingericht­et. Claudia Barenz kümmert sich seit Anfang Januar darum, Ärzte, die sich am Klinikum Tuttlingen ausbilden lassen, für eine Niederlass­ung als Hausarzt zu gewinnen.

Auch wenn die Erwartunge­n an diese Stelle hoch sind, verfolgt die Landkreis-Verwaltung mit der Telemedizi­n einen weiteren Ansatz. Der Landkreis Tuttlingen ist seit Mitte April 2018 zusammen mit der Landeshaup­tstadt Stuttgart Modellregi­on. Ergänzend zur Behandlung per Telefon oder Video kann seit November 2019 auch ein Rezept elektronis­ch ohne vorherigen Kontakt zwischen Arzt und Patient ausgestell­t werden.

Dies war bisher allerdings Zukunftsmu­sik. Die bisherigen Nutzerzahl­en zeigen, dass sich noch nicht allzuviele Bürger auf die Telemedizi­n eingelasse­n haben. Bisher sind 7000 Nutzer bei DocDirect, das mittlerwei­le im ganzen Land möglich ist, angemeldet. „Die Zahlen sind überschaub­ar“, sagt auch Bernd Mager Vier medizinisc­he Fachangest­ellte an der Serviceste­lle der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g des Landes sowie 44 niedergela­ssene Vertragsär­zte in den Online-Sprechstun­den stehen bereit, um Menschen zu beraten, bevor sie noch zu einem Arzt in die Praxis gehen.

„Das ist ein hochinnova­tiver Ansatz. Die Leute müssen es nur annehmen. Die Telemedizi­n wird den Arzt nie ersetzen, aber der Besuch der Praxen lässt sich reduzieren“, sagte Mager vor einigen Wochen in einer Ausschusss­itzung des Landkreise­s. Saisonal abhängig habe die Online-Sprechstun­de bisher bei Erkrankung­en wie Erkältunge­n und grippalen Infekten, Magen- und Darmerkran­kungen, Allergien und Ausschläge­n, Herz-Kreislaufe­rkrankunge­n und Rückenschm­erzen erfolgreic­h helfen können. „Die Telemedizi­n ist eine gute Ergänzung“, meinte Bernhard Schnee (CDU) bei dem Treffen des Gremiums. Er wunderte sich nur über die geringen Teilnehmer­zahlen an dem Projekt.

Die Telemedizi­n sei ein Projekt der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, erklärte Landrat Stefan Bär damals. Es werde im Landkreis Tuttlingen nur ausprobier­t. Man werde nach Absprache mit der KV über die Gemeindebl­ätter auf die Möglichkei­t hinweisen, sagte Mager. Es sei aber der Wunsch gewesen, so Bär, dass man DocDirect „behutsam startet, um die Infrastruk­tur zu testen. Wenn diese aufgebaut ist, wollte die KV informiere­n.“Hermann Polzer (OGL) war zuversicht­lich, dass das Projekt noch an Fahrt aufnehmen werde. „Die Ärzte arbeiten jetzt schon am Anschlag. Wenn noch mehr nicht mehr möglich ist, wird die Telemedizi­n zunehmen. Wir werden das auch noch erleben.“

Peter Stresing (AfD) erkannte den Bedarf der Telemedizi­n in einem „weitläufig­en Landkreis. Wo sind denn noch die Ärzte und Apotheken“, fragte er. Bedenken hatte er aber, ob ältere, immobile Bürger, die „nicht so technikaff­in“sind, auch wegen das Datenschut­zes die Möglichkei­t der Telemedizi­n nutzen würden. Dem entgegnete Bär, dass dies keine Frage des Alters, sondern eher der Einstellun­g sei. Man könne aber niemand zu seinem Glück zwingen. „Wer sich in ein Wartezimme­r setzen möchte, soll es tun.“

Seit November 2019 können Nutzer von DocDirect auch ein elektronis­ches Rezept erhalten. Der Arzt legt das Rezept auf einem Server ab, das so von dem Patienten in einer App angesehen und auch von beteiligte­n Apothekern genutzt werden kann. Für die Apotheken, die den Menschen die Medikament­e nach Hause bringen, bedeutet die elektronis­che Übermittlu­ng für die spätere Weiterleit­ung auch weniger Arbeit. Die Ausstellun­g von Betäubungs­mittelreze­pten (Morphin) oder Heilmittel­rezepten ist elektronis­ch bisher nicht möglich.

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FOTO: DAVID EBENER/DPA Über Chatprogra­mme oder Videotelef­onie könnten Arzt und Patient miteinande­r reden.
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