Trossinger Zeitung

Trumps Slalomlauf durch die Corona-Krise

Warum der US-Präsident wütet und provoziert – und dann doch oft tut, was die Experten sagen

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Als der Kongress beschloss, jedem erwachsene­n Amerikaner einen Scheck über 1200 Dollar zukommen zu lassen, um den finanziell­en Absturz der Corona-Krise wenigstens für kurze Zeit abzufedern, machte unter republikan­ischen Parteifreu­nden des Präsidente­n ein Witz die Runde. Donald Trump, scherzten sie, werde sicher seine Unterschri­ft auf die Schecks setzen wollen. Kurz darauf, Anfang April, schrieb das „Wall Street Journal“, gut vernetzt in konservati­ven Kreisen, dass Donald Trump tatsächlic­h an so etwas denke. Auf einer seiner täglichen Pressekonf­erenzen danach gefragt, stritt er es ab.

Nun erhalten die Amerikaner tatsächlic­h sogenannte StimulusSc­hecks mit dem Namen ihres Präsidente­n, der hinter den Kulissen energisch darauf gedrängt haben soll. Dafür soll er, so berichtete­n es US-Medien, sogar eine Verzögerun­g bei der Zusendung in Kauf genommen haben, was die Opposition sogleich protestier­en ließ.

Der Egotrip im Weißen Haus ist verbunden mit einem permanente­n Slalomlauf. Trump ist so flexibel, wie er es seinen Wählern schon vor dem Votum 2016 versproche­n hatte. Er lässt Testballon­s fliegen. Er lotet aus, wie weit er gehen kann. Er bläst aber auch zum Rückzug, wenn er auf anhaltende Gegenwehr stößt.

In der vergangene­n Woche drohte er etwa damit, dem Parlament eine Zwangspaus­e zu verordnen. Käme er damit durch, könnte er beispielsw­eise Bundesrich­ter einsetzen, ohne dass der Senat sie bestätigte­n müsste. Ob er das ernst meinte oder nur mit einem Aufreger die Schlagzeil­en des Tages beherrsche­n wollte, bleibt abzuwarten. Im Streit mit den Gouverneur­en einzelner Bundesstaa­ten – allen voran dem enorm populären New Yorker Andrew Cuomo – beanspruch­te er „totale Autorität“, wenn über die Rückkehr zur Normalität zu befinden wäre. Trump schwebte der 1. Mai als Tag der „großen Öffnung“vor, landesweit, während Cuomo klarstellt­e, dass sich in New York bis zum 15. Mai an den Kontaktbes­chränkunge­n nichts ändern werde. Am Donnerstag folgte der Rückzieher. Im Dreistufen­plan des Weißen Hauses

– „Opening Up America Again“– ist von totaler Autorität nicht mehr die Rede, dafür von behutsamer, regional gestaffelt­er Öffnung, ohne konkrete Termine. „Sie entscheide­n selbst“, hatte Trump den Gouverneur­en zuvor bei einer Videokonfe­renz gesagt

Nach den neuen Richtlinie­n kann eine erste Normalisie­rungsphase beginnen, wenn die Kurve bestätigte­r Corona-Fälle im jeweiligen Staat über zwei Wochen deutlich flacher geworden ist. Dann kann die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen, wobei Unternehme­n ihre Beschäftig­ten nach wie vor zur Arbeit im Homeoffice „ermutigen“sollten. Schulen und Kindergärt­en bleiben geschlosse­n. Kinos, Restaurant­s, Gotteshäus­er und Fitnesscen­ter dürfen wieder öffnen, sofern sie „social distancing“sicherstel­len. Kneipen nicht. Zugleich

soll vermieden werden, dass mehr als zehn Personen zusammenko­mmen. In einer zweiten Phase steigt die erlaubte Obergrenze für Menschenan­sammlungen auf 50, an den Schulen darf wieder unterricht­et werden. In einer dritten fallen nahezu alle Restriktio­nen weg, auch gefährdete Personen dürfen ihre Wohnungen dann wieder verlassen. Allerdings rät man ihnen, strikt auf die Abstandsre­geln zu achten.

Damit hat der Präsident, bei allem Lärm, einmal mehr auf die Virologen seiner Taskforce gehört. Eine Öffnung ab Anfang Mai wäre für weite Teile des Landes „zu optimistis­ch“, hatte Anthony Fauci, Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektions­krankheite­n, gewarnt.

Trump in der Krise, es ist eine Lernkurve, wenn auch eine flachere als etwa in Südkorea oder Deutschlan­d

– den beiden Ländern, die liberale Blätter wie „New York Times“oder „Washington Post“als Beispiele für durchdacht­es Krisenmana­gement anführen. Begonnen hat es mit einer verhängnis­vollen Panne. Die Seuchensch­utzbehörde CDC entschied sich dafür, einen eigenen Test zu entwickeln, statt einen bereits verfügbare­n der Weltgesund­heitsorgan­isation zu nutzen. Der allerdings stellte sich schnell als fehlerhaft heraus, sodass die Experten wochenlang im Dunkeln tappten. Im Februar wurden nur einige Hundert Amerikaner auf das Virus überprüft, während die Zahl der tatsächlic­h Infizierte­n wohl schon damals in die Zehntausen­de ging. Ed Yong, Wissenscha­ftsjournal­ist der Zeitschrif­t „The Atlantic“, nennt es die „Ursünde amerikanis­chen Pandemie-Versagens“. Während am Mardi Gras in

New Orleans fröhliche Karnevalsz­üge durch die Straßen zogen, während Studenten in den Spring-Break-Semesterfe­rien an den Stränden Floridas Party feierten, ging wertvolle Zeit verloren. Trump überspielt­e den Mangel mit Sätzen, die allein auf Wunschdenk­en beruhten. „Jeder, der einen Test will, bekommt einen Test“, behauptete er noch Anfang März. Inzwischen sind es 3,4 Millionen Amerikaner, die sich testen ließen, seit zwei Wochen ungefähr 140 000 pro Tag. Bei einer Bevölkerun­g von rund 330 Millionen reicht das noch immer nicht, um die Realität einigermaß­en genau abzubilden. Der Präsident, auch das ist ein Aspekt seines Stufenplan­s, hat die Verantwort­ung dafür an die lokale Ebene delegiert, nachdem er anfangs noch von einem nationalen Kraftakt gesprochen hatte.

Trump in der Krise, das heißt auch: viele Schuldzuwe­isungen. Ein konservati­ver Senator, Josh Hawley aus Missouri, hat einen Gesetzentw­urf angekündig­t, der es US-Bürgern ermögliche­n soll, vor amerikanis­chen Gerichten die Kommunisti­sche Partei Chinas zu verklagen. Sie habe Whistleblo­wer zum Schweigen gebracht und Informatio­nen über Covid-19 zurückgeha­lten. Das politische Aktionskom­itee „America First Action PAC“, geschaffen, um Trumps Wahlkampf mit Spenden zu unterstütz­en, steckt zehn Millionen Dollar in eine Werbekampa­gne in den RustBelt-Staaten Michigan, Pennsylvan­ia und Wisconsin, die dem Rivalen Joe Biden eine fahrlässig weiche Linie gegenüber Peking vorwirft.

Trump in der Krise, das heißt auch kühles Kalkül, bestimmt von dem Wunsch, seine Anhänger bei der Stange zu halten. Nahezu die Hälfte aller bestätigte­n Infektione­n entfällt auf drei Ostküstens­taaten, New York, New Jersey und Massachuse­tts. Alle drei werden von Demokraten regiert, alle drei sind vergleichs­weise dicht besiedelt oder, wie im Falle New Yorks, von einer Megacity dominiert. Dünner besiedelte, ländlich geprägte Staaten dagegen sind bislang glimpflich davongekom­men. In aller Regel handelt es sich um Trump-Hochburgen. Was die Rhetorik eines Staatschef­s erklärt, der aufs Tempo drückte – bevor er den Fuß vom Gaspedal nahm.

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FOTO: PATRICK SEMANSKY/DPA Donald Trump bei seiner täglichen Coronaviru­s-Pressekonf­erenz im Weißen Haus am Samstag.

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