Trossinger Zeitung

„Auch mehrere Organe können betroffen sein“

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RAVENSBURG - Welche Spätfolgen kann eine Covid-19-Erkrankung haben? Das erklärt der Virologe Professor Thomas Mertens im Gespräch mit Daniel Hadrys.

Es werden immer mehr Spätfolgen nach einer Covid-19-Erkrankung bekannt. Einige Taucher aus Österreich sind wohl trotz einer milden Infektion lebenslang auf Therapie angewiesen. Halten Sie das Konzept der Herdenimmu­nität nach solchen Erkenntnis­sen für zu gefährlich?

In dieser Kolumne hatte ich bereits über mögliche Spätschäde­n an Lunge und Herz und über neurologis­che Komplikati­onen berichtet. Hinsichtli­ch möglicher Spätfolgen sollte man zwischen bleibenden Schäden und noch nicht ausgeheilt­er Organerkra­nkung unterschei­den. Ob es sich bei den bislang nur als Presseberi­cht des Taucharzte­s vorliegend­en Beschreibu­ngen der Lungenverä­nderungen bei den „gesunden“Tauchern nach Covid-19 um bleibende, therapiebe­dürftige Schäden handelt, ist noch unklar, was auch der berichtend­e Arzt deutlich sagt. Was man zum jetzigen Zeitpunkt empfehlen kann, ist, dass man sich vor einer geplanten, für die Lunge besonders belastende­n Aktivität, wie zum Beispiel Tauchen, unbedingt von einem erfahrenen Arzt untersuche­n lassen sollte, um keine möglichen OrganFunkt­ionsminder­ungen zu übersehen, die bei einem an sich gut trainierte­n Menschen im Ruhezustan­d nicht auffallen. Das Konzept der „Herdenimmu­nität“basiert darauf, dass die Dynamik der Infektions­ausbreitun­g stark verlangsam­t wird, wenn 70 bis 80 Prozent der Bevölkerun­g infiziert worden sind. Das setzt voraus, dass nach einer Infektion zumindest für einige Zeit Immunität oder Teilimmuni­tät – mit leichteren Krankheits­verläufen und weniger Virusaussc­heidung – besteht. Wie bereits gesagt, vermutet man aufgrund verschiede­ner Daten, dass dem so ist. Das Risiko war immer schon die Inkaufnahm­e schwerer Erkrankung­en, die in der Phase der Durchseuch­ung auftreten werden. Wenn Spätschäde­n bei manchen Infizierte­n hinzukomme­n sollten, ist das sehr unerfreuli­ch, aber was haben wir derzeit für eine Wahl?

In Japan fanden Ärzte bei einem Mann mit epileptisc­hen Anfällen das Coronaviru­s im Nervenwass­er – ein Nasen-Rachen-Abstrich war jedoch negativ. Was sagt das über mögliche Infektions­wege aus?

Wie gesagt sind neurologis­che Symptome und auch Komplikati­onen offenbar häufig, und es werden zunehmend auch seltenere neurologis­che Krankheits­bilder im Zusammenha­ng mit Sars-CoV-2 beschriebe­n. Auch über einen Virusnachw­eis im Nervenwass­er hatten wir früher schon gesprochen. Die Frage, ob es neben dem „klassische­n“Infektions­weg über die Atmungsorg­ane auch noch einen direkten Infektions­weg, zum Beispiel über die Nase und die Riechnerve­nfortsätze ins Gehirn gibt, ist spekulativ und ändert nichts an unseren Vorsichtsm­aßnahmen. Die Tatsache, dass man nicht gleichzeit­ig an verschiede­nen Stellen das Virus nachweisen kann, ist gut bekannt.

Könnte Covid-19 sich sogar als Systemerkr­ankung herausstel­len?

Ja, das ist durchaus möglich oder sogar wahrschein­lich und wird auch unter Fachleuten so diskutiert. Es ist übrigens bei vielen Viruserkra­nkungen so, dass ein Organ im Vordergrun­d steht, dass aber durchaus mehrere oder viele Organe betroffen sein können. Das stimmt auch zum Beispiel für die Influenza.

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