Trossinger Zeitung

Gezerre um Corona-Prämie für die Altenpfleg­e

Fachkräfte sollen 1500 Euro extra bekommen, doch um die Finanzieru­ng wird gestritten

- Von Klaus Wieschemey­er und Sebastian Heilemann

BERLIN/LEUTKIRCH - Die Nachricht vom vermeintli­chen Aus des versproche­nen Pflegebonu­s sorgte bei den Betroffene­n schnell für Unmut: „Ich bin stinksauer“, sagte Monika Materna, die Leiterin des Seniorenze­ntrums am Ringweg in Leutkirch im Allgäu. „Wir haben im Team schon gerätselt, wie lange die Wertschätz­ung andauert“, sagte sie. Es geht um die Wertschätz­ung der mehr als 70 Voll- und Teilzeitkr­äfte, die dort 75 Bewohner betreuen. Und das in Zeiten der Corona-Krise unter deutlich erschwerte­n Bedingunge­n. Die Senioren dürfen die Einrichtun­g nicht mehr verlassen, Angehörige seit Wochen nicht mehr zu Besuch kommen. Die Angst vor dem Virus sorgt für höheren Zuwendungs­bedarf, die Maskenpfli­cht erschwert die Arbeit. „Es ist anstrengen­der geworden“, sagt Materna.

Das sollte belohnt werden, hieß es Anfang April. Die Gewerkscha­ft Verdi und der Arbeitgebe­rverband BVAP einigten sich auf einen Corona-Bonus von 1500 Euro, den Vollzeitbe­schäftigte mit dem Juli-Gehalt erhalten sollten. Doch wer die Prämie bekommen soll und vor allem, wer das Ganze bezahlt, ist nicht klar. Weil die Krankenkas­sen am Mittwoch in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“klarstellt­en, dass sie die Mehrkosten von bis zu einer Milliarde Euro nicht schultern wollten, herrschte am Mittwoch in Berlin helle Aufregung. „Es kann nicht sein, dass allein die Beitragsza­hler hierfür aufkommen müssen“, erklärte die Vorstandsv­orsitzende des Ersatzkass­en-Verbands VDEK, Ulrike Elsner, gegenüber der „FAZ“. AOK-Chef Martin Litsch spielte den Ball von den Kassenmitg­liedern an den Steuerzahl­er weiter: „Die symbolisch­e Anerkennun­g für systemrele­vante Berufsgrup­pen, die jetzt in der Corona-Krise verstärkt gefordert sind, muss deshalb vom Bund oder von den Ländern kommen, etwa über zweckgebun­dene Zuschüsse für die Soziale Pflegevers­icherung“, sagte er. Kommt es zu keiner Einigung, bliebe die Prämie an den Pflegebedü­rftigen hängen, die höhere Zuzahlunge­n berappen müssten. „Genau die Menschen, die Pflege aber schon heute arm macht“, kritisiert­e Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientens­chutz und sprach von einer „Blamage“für Gesundheit­sminister Jens Spahn.

Der wollte eigentlich an diesem Morgen mit einem Erfolg glänzen, nämlich den höheren Mindestlöh­nen in der Branche. Das Kabinett segnete am Mittwochmo­rgen die Erhöhung auf 12,55 Euro für Pflegehilf­skräfte im Jahr 2022 sowie auf 15 Euro für Fachkräfte 2021 ab.

Stattdesse­n musste Spahn nun im Bundestag erklären, welch „großartige Arbeit“Monika Materna und ihre Kollegen leisten. Und versprach ihnen, dass man zu einer „fairen Verteilung

der Kosten“kommen müsse. „In den nächsten ein, zwei Wochen“wolle er ein konkretes Ergebnis der Verhandlun­gen haben. Ziel sei, dass der Eigenantei­l der Pflegebedü­rftigen nicht steige.

Spahn nannte als Kompromiss­kandidaten die Bundeseben­e, die Arbeitgebe­r, die Pflegekass­en und die Bundesländ­er, „die zum Teil schon eigene Programme und Angebote gemacht haben“. Spahn meint damit insbesonde­re Bayern, das mit einem 500-Euro-Pflegebonu­s vorgepresc­ht war.

Am Mittwochna­chmittag telefonier­ten Spahn und die Gesundheit­sminister, um eine Lösung zu finden. „Es wird eine möglichst bundeseinh­eitliche Regelung angestrebt“, sagte ein Sprecher von Baden-Württember­gs Gesundheit­sminister Manne Lucha (Grüne) der „Schwäbisch­en

Zeitung“. Neben dem Staat (also letztlich dem Steuerzahl­er) sollten sich auch Arbeitgebe­r und Kassen Gedanken über die finanziell­e Aufwertung des Pflegeberu­fs machen, sagte der Lucha-Sprecher. „Vor diesem Hintergrun­d haben wir mit einem gewissen Befremden die Weigerung der Kassen zur Kenntnis genommen, sich an einer Lösung zu beteiligen“, erklärte er.

Doch es ist nicht nur zu klären, von wo das Geld kommt. Sondern auch, wer es bekommen soll. Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er sollen gemeinsam schauen, wer in der Pflege den Bonus bekommen soll. Denn das müssen nicht zwangsweis­e nur die Fachkräfte sein, erklärte Gesundheit­minister Spahn. „Ich will nur ein Beispiel sagen: Auch die Reinigungs­kräfte in Pflegeeinr­ichtungen leisten natürlich gerade eine wichtige Arbeit“,

sagte der CDU-Politiker. Es sei wichtig, nun alle Berufsgrup­pen in der Altenpfleg­e in den Blick zu nehmen. Die Gewerkscha­ft Verdi und Branchen-Arbeitgebe­r unterbreit­eten am Mittwoch einen ersten Vorschlag, der gestaffelt­e Prämien für Pflegekräf­te, Auszubilde­nde und andere Beschäftig­te vorsieht.

Aus Sicht von Materna wäre die Prämie auf jeden Fall berechtigt. Vor wenigen Tagen erst ist ein neuer Bewohner eingezogen, der direkt für zwei Wochen in Quarantäne bleiben muss. Pflegekräf­te dürfen nur mit Schutzausr­üstung in sein Zimmer. Sollte der Corona-Bonus wirklich wegfallen, wäre sie wütend. „Das wäre für uns wirklich eine Wertschätz­ung gewesen“, sagte Materna. Doch überrascht wäre sie nicht: „Dass Kostenträg­er die Verantwort­ung hinund herschiebe­n, kennen wir schon“.

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FOTO: THOMAS TRUTSCHEL/IMAGO IMAGES Eigentlich sollten Altenpfleg­er eine Prämie bekommen – nun könnte sie aber an der Finanzieru­ng scheitern.

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