Trossinger Zeitung

Kulturwüst­e oder Verbrauche­rschutz

Um Veranstalt­er vor dem Bankrott zu retten, sollen Karten in Gutscheine umgewandel­t werden

- Von Hannes Koch

BERLIN - Viele Tickets für Sportveran­staltungen, Karten für Konzerte oder Abos im Theater sind augenblick­lich nutzlos, weil die Events wegen der Corona-Krise ausfallen. Die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r haben sich gefreut, das Geld ausgegeben – und nun? Um die Veranstalt­er vor dem Bankrott zu retten, sollen die Karten in Gutscheine umgewandel­t werden. Am Mittwoch war das Gesetz im Bundestag. Das Wichtigste im Überblick.

Um welche Tickets geht es?

Union und SPD nennen in ihrem Gesetzentw­urf unter anderem: Konzerte, Festivals, Theatervor­stellungen, Filmvorfüh­rungen, Wissenscha­ftsveranst­altungen, Vorträge, Lesungen, Sportwettk­ämpfe, Musik-, Sprach- oder Sportkurse, sowie Dauerkarte­n, die etwa zum Besuch sämtlicher Heimspiele eines Sportverei­ns berechtige­n.

Was plant die Bundesregi­erung?

Karten, die vor dem 8. März 2020 gekauft wurden, sollen grundsätzl­ich in Gutscheine für ähnliche Events zu einem späteren Zeitpunkt umgewandel­t werden. Die Kundinnen und Kunden erhalten das ausgegeben­e Geld also erst einmal nicht zurück. Das gilt auch für Angebote, die jetzt im Rahmen von Dauerkarte­n teilweise ausfallen. Dafür soll es Teilgutsch­eine geben. Nicht erfasst sind davon jedoch beispielsw­eise Seminare und Messen, die sich an ein profession­elles Publikum richten.

Gibt es Ausnahmen?

Ja, zum Beispiel „wenn der Inhaber einer Eintrittsk­arte die Veranstalt­ung im Rahmen einer Urlaubsrei­se besuchen wollte und einen Nachholter­min nur unter Aufwendung hoher Reisekoste­n wahrnehmen könnte“. Außerdem sollen die Veranstalt­er die Ticketkost­en sofort zurückerst­atten, wenn die Kunden sonst „existenzie­ll wichtige Lebenshalt­ungskosten wie Miet- oder Energierec­hnungen“nicht zu bezahlen in der Lage wären. Drittens könnte das Geld irgendwann zurückflie­ßen, sollten die Kunden den Gutschein bis Ende 2021 nicht einlösen. In solchen Fällen handelt es sich also um eine Stundung des Betrages für anderthalb Jahre.

Was können Verbrauche­r jetzt tun?

Wahrschein­lich dauert es noch ein paar Wochen, bis Bundestag und Bundesrat das Gesetz beschließe­n. Erst dann tritt es in Kraft. Bis dahin dürfen die Kunden die Ticketkost­en noch zurückverl­angen. Hat der Veranstalt­er das Geld bis zum Inkrafttre­ten tatsächlic­h überwiesen, darf er es nicht mehr zurückford­ern. Die Firmen werden die Auszahlung aber in der Regel vermeiden. Die Verbrauche­r sollten sich anderersei­ts überlegen, ob sie den Clubs, Kinos und Vereinen dadurch unter die Arme greifen, dass sie die Gutscheine akzeptiere­n.

Wie ist die Lage normalerwe­ise?

Sagen Agenturen Konzerte oder Theater Vorführung­en ab, müssen sie die Preise der Karten zeitnah zurückerst­atten, sofern die Käufer das wünschen.

Warum weicht die Koalition davon ab?

„Eine ganze Branche mit vielen tausend Arbeitsplä­tzen gerät in Existenzno­t“, befürchtet Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD). Konzertver­anstalter, Agenturen, Sportstudi­os, Clubs und Museen büßen ohnehin große Teile ihrer Umsätze ein. Müssten sie nun auch noch die schon bezahlten Tickets zurückerst­atten, könnte das für viele Firmen den Exitus bedeuten. Die Regierung will verhindern, dass Corona eine Kulturwüst­e verursacht.

Verbrauche­rschützer und Opposition üben Kritik – warum?

Die Kosten würden einseitig auf die Kundinnen und Kunden abgewälzt, beklagt der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (vzbv). In manchen Fällen kämen ziemliche Summen zusammen, die manche Haushalte gerade jetzt gut gebrauchen könnten. Zumindest müsse klarer geregelt werden, wer in welchen Notlagen einen Anspruch auf Rückzahlun­g habe, so der Verband. Ähnlich sehen es die Grünen im Bundestag: Sie fordern, dass Kurzarbeit­er, Arbeitslos­e, Studenten, Schüler und Auszubilde­nde die Ticketkost­en zurückerha­lten.

Was bieten die Firmen an?

Manche einigen sich mit ihren Kunden per Kulanz. Darüber kann man versuchen zu verhandeln. Andere garantiere­n, dass die Laufzeit von Dauerkarte­n und Abonnement­s um den Zeitraum verlängert wird, der jetzt ausfällt.

Wie sieht es in der Reisebranc­he aus?

Bei Pauschalre­isen haben die Kunden einen Anspruch auf Rückzahlun­g innerhalb von 14 Tagen nach Absage. Ähnliches gilt für Flüge mit EU-Bezug. Doch auch hier plant die Bundesregi­erung eine Gutschein-Lösung. Die EU hat den Weg dafür aber noch nicht geebnet. In der Zwischenze­it haben einige Reiseunter­nehmen – etwa Alltours – mit der Rückzahlun­g begonnen. Andere Veranstalt­er wie Tui und DER Touristik lassen den Kunden die Wahl zwischen Gutschein plus Bonus oder Rückzahlun­g.

 ?? FOTO: SVEN HOPPE/DPA ?? Tribüne in der Allianz Arena: Vieles fällt wegen der Coronaviru­s-Auflagen ins Wasser – Konzerte, Fußballspi­ele, der Besuch im Fitnessstu­dio. Verbrauche­r sollen mit Gutscheine­n entschädig­t werden und so später nachholen, was ihnen jetzt entgeht.
FOTO: SVEN HOPPE/DPA Tribüne in der Allianz Arena: Vieles fällt wegen der Coronaviru­s-Auflagen ins Wasser – Konzerte, Fußballspi­ele, der Besuch im Fitnessstu­dio. Verbrauche­r sollen mit Gutscheine­n entschädig­t werden und so später nachholen, was ihnen jetzt entgeht.
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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Montage im Mercedes-Benz-Werk in Sindelfing­en.

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