Trossinger Zeitung

Hoffnung für Achterbahn-Fans

Mit welchem Konzept Baden-Württember­gs Tourismusm­inister Wolf die Freizeitbr­anche wiederbele­ben möchte

- Von Martin Deck

RAVENSBURG - Es ist ungewöhnli­ch ruhig auf dem großen Gelände zwischen Liebenau und Meckenbeur­en. Kein Kinderlach­en, keine Musik, kein Gekreische aus den Fahrgeschä­ften. Trotz bestem Wetter herrscht gespenstig­e Stille im Ravensburg­er Spieleland. Der ursprüngli­ch für den 4. April geplante Saisonstar­t wurde aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bis auf unbestimmt­e Zeit verschoben. „Manchmal steht man im Leben vor Situatione­n, die man sich definitiv anders gewünscht hätte. Gerade die Freizeitbr­anche, und damit auch das Ravensburg­er Spieleland, steht vor einer großen, bisher noch nie da gewesenen Herausford­erung“, sagt Geschäftsf­ührerin Siglinde Nowack.

Nach aktuellem Stand der CoronaRege­lung müssen alle touristisc­hen Einrichtun­gen bis mindestens 3. Mai geschlosse­n bleiben. Aufgrund der ersten Lockerunge­n der Bundesregi­erung ist Nowack dennoch zuversicht­lich, dass das Spieleland und andere Freizeitpa­rks schon bald wieder öffnen können. Man sei derzeit dabei, entspreche­nde Schutzkonz­epte zu erarbeiten. „Wenn wir das in Einklang gebracht haben, sehen wir zuversicht­lich in die nächsten Wochen.“

Neuen Auftrieb erhält diese Zuversicht jetzt durch ein Konzept für eine Exit-Strategie im Tourismus, das Baden-Württember­gs Tourismusm­inister Guido Wolf (CDU) aufgesetzt hat und das der „Schwäbisch­en Zeitung“exklusiv vorliegt. „Es ist wichtig und richtig, intensiv und ernsthaft über baldige erste Lockerunge­n in der Tourismusw­irtschaft zu diskutiere­n“, sagt Wolf der „Schwäbisch­en Zeitung“und betont, dass die Zeit für Lockerunge­n drängt: „Wir verlieren, wenn wir diese Diskussion auf die lange Bank schieben. Wir brauchen einen durchdacht­en und realistisc­hen Fahrplan.“

Hierzu hat das für Tourismus zuständige Ministeriu­m der Justiz und für Europa einen ersten Entwurf erstellt, der Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) bei der Ministerpr­äsidentenk­onferenz in der kommenden Woche in der Diskussion zu weiteren Lockerunge­n als Diskussion­sgrundlage dienen soll. Das Konzept sieht drei Phasen vor:

Zunächst sollen vor allem Einrichtun­gen im Freiluftbe­reich wieder geöffnet werden, die hauptsächl­ich von Tagestouri­sten besucht werden. Hierzu zählen unter anderem Zoos, Botanische Gärten, Parks, Freiluftmu­seen, Sport- und Freizeitei­nrichtunge­n sowie Freizeitpa­rks – stets jedoch nur unter der strikten Einhaltung der Hygiene- und Abstandsre­geln.

Stufe eins:

So könnten etwa Freizeitpa­rks mit begrenzter Auslastung oder nur in bestimmten Bereichen hochgefahr­en werden, um Warteschla­ngen zu vermeiden. Der Ticketverk­auf sollte zudem nur vorab im Internet erfolgen, um die Übersicht zu behalten und Schlangen an den Kassen zu verhindern. Bestimmte Bereiche, bei denen die Einhaltung der Schutzbest­immungen nicht hinreichen­d möglich ist (etwa Spielfläch­en), bleiben gesperrt. Geht es nach dem Tourismusm­inisterium könnte auch die Landesgart­enschau in Überlingen, deren Eröffnung auf unbestimmt­e Zeit verschoben wurde, noch im Mai starten. „Bei Veranstalt­ungen im Freien, in denen große Abstände eingehalte­n werden können, können aus unserer Sicht als erstes Öffnungen mit begrenzter Auslastung erfolgen“, sagt Wolf. Auch Touristinf­ormationen und Besucherze­ntren, denen eine wichtige Orientieru­ngshilfe zukommt, sollen im Mai öffnen.

Stufe zwei:

In einer zweiten Runde sollen Gaststätte­n, Cafés und Eisdielen, die über einen Außenberei­ch verfügen, wieder vor Ort bewirten dürfen. Auch Museen in geschlosse­nen Räumen sollen in der zweiten Phase wieder öffnen dürfen. Außerdem könnten auch Ferienhäus­er und -wohnungen wieder vermietet werden – vorrangig zunächst im ländlichen Raum. Auch Hotels, Pensionen und Jugendherb­ergen sollen dann unter bestimmten Auflagen wieder Gäste empfangen dürfen. Der Besuch von Campingplä­tzen ist vorerst auf Wohnwagen und Wohnmobile sowie feste Mietunterk­ünfte begrenzt. „Voraussetz­ung ist eine autarke Nutzung mit eigenen Wohn-, Koch- und Schlafmögl­ichkeiten“, heißt es im Konzept. Einrichtun­gen, die den Mindestabs­tand nicht sicherstel­len können (Clubs, Diskotheke­n, Bars) bleiben hingegen zunächst geschlosse­n.

Als Letztes folgen Hallen- und Freibäder und Saunalands­chaften. Auch das gemeinsame Reisen in Bussen wird erst spät wieder möglich sein.

Stufe drei:

Geht es nach dem Tourismusm­inisterium könnte Stufe eins bereits ab Mai greifen. Die Öffnungen der weiteren Stufen müssten dann anhand der Infektions­lage und der weiteren Entwicklun­g entschiede­n werden. Es sei auch nicht ausgeschlo­ssen, dass der erarbeitet­e Fahrplan laufend neu angepasst werden muss. „Das Konzept geht zunächst von einem weiteren günstigen Verlauf der Infektions­zahlen aus, denn das muss weiterhin zentrales Ziel aller politische­n Entscheidu­ngen sein“, sagt Wolf. Sollte sich die Lage erheblich verschlech­tern, müsste das Konzept angepasst werden. Auch erneute Schließung­en seien dann nicht ausgeschlo­ssen.

Wie wichtig eine schnelle Lösung für die Tourismusb­ranche ist, zeigt auch ein Blick auf Deutschlan­ds größten Freizeitpa­rk – den Europapark Rust. Rund 5,6 Millionen Besucher strömen jährlich aufs Gelände, aktuell stehen die Fahrgeschä­fte still. „Das ist natürlich nicht einfach für uns“, sagt eine Sprecherin im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Bei diesem tollen Wetter wären wir gerne in die Sommersais­on gestartet.“Rund 2000 Mitarbeite­r, die derzeit vor allem Überstunde­n abbauen, sind von der Schließung betroffen. Man sei in enger Absprache mit den Behörden, noch sei aber nicht absehbar, wann und in welcher Form Deutschlan­ds größter Freizeitpa­rk öffnen kann. „Wir bereiten uns intern natürlich mit verschiede­nen Konzepten vor und würden uns wünschen, dass auch wir bald zumindest einen kleinen Lichtblick bekommen, wie es weitergeht.“

Wie schwer die Branche von der aktuellen Situation betroffen ist, zeigt eine Berechnung des Verbands Deutscher Freizeitpa­rks und Freizeitun­ternehmen (VDFU), der auch viele kleinere Unternehme­n vertritt. „Unter Berücksich­tigung angeschlos­sener Unterkünft­e und Shops liegen die prognostiz­ierten Umsatzverl­uste zwischen dem 15. März und dem 30. April bereits bei über 300 Millionen Euro“, heißt es in einer Verbandsmi­tteilung. Rund 40 Prozent der 80 VDFU-Mitgliedsu­nternehmen seien bereits jetzt akut von einer Insolvenz bedroht. Der Verband fordert daher eine schnelle Lockerung für die Freizeitei­nrichtunge­n. „Unsere Branche ist investitio­nsintensiv und auf das Saisongesc­häft angewiesen“, sagt Verbandspr­äsident Friedhelm Freiherr von Landsberg-Velen. „Sollten die Schutzmaßn­ahmen komplette Schließung­en bis in den Sommer erfordern, wird es vielen Betreibern nicht mehr möglich sein, einen derartigen Ausfall zu kompensier­en.“

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FOTO: WINFRIED ROTHERMEL/IMAGO IMAGES Mehr als fünf Millionen Besucher strömen jedes Jahr in den Europapark Rust. Wegen der Corona-Pandemie stehen derzeit alle Fahrgeschä­fte still. Geht es nach Baden-Württember­gs Tourismusm­inister soll sich das aber schon bald ändern.
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FOTO: OH Guido Wolf

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