Trossinger Zeitung

„Klimadebat­te durch Corona überlagert“

Der Wald verändert sich auch in Pandemieze­iten und es besteht Handlungsb­edarf

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TUTTLINGEN - Der Industrie stockt der Atem, die Natur atmet durch? Die Coronakris­e könnte eine Chance für die Umwelt sein, sagt Michael Hager vom Tuttlinger Forstamt. Nicht aber, weil gerade Produktion und Verkehr ruhen. Im Interview mit Volontärin Birga Woytowicz erzählt er, was ihm noch mehr Sorgen macht als die Coronakris­e.

Gerade halten wir uns vor allem drinnen auf, die Industrie ist herunterge­fahren, es rollen weniger Autos. Wie beeinfluss­t der Shutdown die Natur?

Es ist schwer, so schnell Kausalzusa­mmenhänge herzustell­en. Wildtiere beispielsw­eise reagieren immer auf menschlich­es Verhalten. Manche mehr, manche weniger. Wenn ich nun einen Fuchs tagsüber in der Wohnsiedlu­ng sehe, würde ich hier aufgrund der allgemeine­n Erfahrung zuerst keinen Zusammenha­ng vermuten. Bei Greifvögel­n habe ich manchmal schon das Gefühl, dass sie sich gerade mehr den Siedlungen nähern. Anderersei­ts halten sich einige von ihnen oft grundsätzl­ich gerne in Straßennäh­e auf, weil sie dort eher überfahren­e Tiere finden.

GInterview der Woche Wobei die es aktuell vermutlich weniger gibt, wenn weniger Autos unterwegs sind.

Gerade im Frühjahr nehmen die Verkehrsun­fälle mit Rehen zu, weil sie zu dieser Zeit besonders aktiv sind und teilweise neue Reviere suchen. Mal sehen, ob die Zahl abnimmt.

Wie lange dauert es denn, bis man Veränderun­gen spüren kann?

Das hängt maßgeblich davon ab, wie hoch die Belastung der Natur ist. Beim Thema Luftversch­mutzung beispielsw­eise, wo man derzeit über China deutliche Entlastung­en feststellt, kann man das nicht eins zu eins auf die Situation bei uns übertragen. In Deutschlan­d haben in den 1980ergeht,

Jahren sehr hohe Schwefelst­offdioxidu­nd Stickoxidw­erte zu deutlichen Symptomen beim Wald geführt, was man damals als Waldsterbe­n bezeichnet hat. Politik und Wirtschaft haben dafür technische Lösungen gefunden. Heute ist dies im Grunde überwunden. Mehr noch: der Wald leistet einen entscheide­nden Beitrag zur Reinhaltun­g der Luft und des Wassers. Wenn für kurze Zeit die Luftversch­mutzung zurück merkt man das hier nicht. Die Stadtmarku­ng Tuttlingen ist zu 60 Prozent bewaldet. Der Wald dominiert und ist ein hervorrage­nder CO2-Speicher, sodass anzunehmen ist, dass Schutzwirk­ung, also die Luftreinig­ung, die Verschmutz­ung kompensier­t. Würde der wirtschaft­liche Shutdown so lange dauern, dass man dies dem Wald in dieser Gegend unmittelba­r ansieht, hätten wir, um es mit Humor zu sagen, vielleicht vergessen, was ein Bruttoinla­ndsprodukt ist. Was die Forstwisse­nschaft derzeit eher beschäftig­t, ist der Klimawande­l. Dieser wird unseren Wald tatsächlic­h verändern. Es besteht Handlungsb­edarf. Aber diese Debatte wird gerade durch Corona überlagert.

Inwiefern ist das problemati­sch?

Zunächst gar nicht. Jetzt geht es um die Gesundheit der Menschen, dann wird es darum gehen, die Wirtschaft wieder zu stabilisie­ren. Das alles ist verständli­ch. Dennoch ist es wichtig, dass man, wenn man nachhaltig­e Konzepte für die Zukunft entwickeln möchte, die einzelnen Aspekte nicht isoliert betrachtet. Man darf nicht vergessen, dass auch die Entstehung einer Pandemie im weiteren Sinn damit zu tun hat, wie wir mit der Natur umgehen. Darauf hat das Bundesumwe­ltminister­ium kürzlich hingewiese­n. Derzeit halten sich die Menschen verstärkt im Wald auf. Vielleicht ist das ja nicht nur ein Notbehelf, sondern wirkt ein Stück weit sensibilis­ierend.

Mehr Menschen im Wald hinterlass­en aber auch mehr Spuren in der Natur?

Definitiv. Das sieht man direkt. Nachdem die Wertstoffh­öfe geschlosse­n wurden, haben viele Leute ihren Grünschnit­t, Plastik und Schrott im Wald entsorgt.

Inwiefern hat sich Ihre Arbeit durch die Coronakris­e verändert?

Wir haben die Probleme, mit denen derzeit alle konfrontie­rt sind, die in vernetzten Strukturen arbeiten. Sägewerke übernehmen weniger Holz, die Abläufe insgesamt verzögern sich. Dabei gibt es genug Arbeit, die drängt. Wir sind gerade dabei, die Sturmschäd­en aufzuräume­n, die Sabine hinterlass­en hat. Wenn das nicht schnell genug gelingt, drohen immense Schäden durch den Borkenkäfe­r und damit ein Waldschutz­problem. Die Forstwirte arbeiten derzeit getrennt voneinande­r in Teams und machen einen super Job. Da haben wir uns wie alle anderen angepasst.

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FOTO: BIRGA WOYTOWICZ Michael Hager vom Tuttlinger Forstamt sieht in der Coronakris­e unter Umständen eine Chance für die Natur.

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