Trossinger Zeitung

„Begeisteru­ng ist das tollste Feedback“

Das Projekt Musiklusio­n ermöglicht benachteil­igten Menschen Zugang zur Musik

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TUTTLINGEN (ajm) - Die Möglichkei­t, selbst Musik zu machen, ist etwas Besonderes und eine Aktivität mit Mehrwert. Andreas Brand, Projektini­tiator von Musiklusio­n, hat sich zum Ziel gesetzt, dass Menschen mit und ohne Behinderun­g gemeinsam Musik machen können. Seit 2015 findet das Projekt an der Lebenshilf­e Tuttlingen statt.

Nach dem „Disklavier“, einem technisch aufgerüste­ten Klavier, hat Brand auch ein Schlagzeug technologi­sch so erweitert, dass es für geistig und körperlich beeinträch­tigte Menschen spielbar wird. In Kooperatio­n mit dem Hochschulc­ampus Tuttlingen der Hochschule Furtwangen waren Andreas Gollwitzer (Professur für Elektrotec­hnik), Stefan Pfeffer (Professur für Technische Produktges­taltung) sowie die Studierend­en Johanna Hägele, Sarah Abdelgawad und Lukas Stiller beteiligt.Unsere Praktikant­in Julie Münster hat gefragt, welche Funktionen das Schlagzeug hat.

GInterview der Woche Was bedeutet Musiklusio­n und was steckt dahinter?

Brand: Hinter Musiklusio­n verbirgt sich ein Worthybrid aus Musik und Inklusion. Wir realisiere­n seit fünf Jahren unkonventi­onelle digitale Konzepte, die Menschen mit Behinderun­gen einen aktiven Zugang zum Musizieren ermögliche­n. Aufgrund des Erfolgs des Disklavier­s fördert das Land Baden-Württember­g das Projekt, um das Konzept Musiklusio­n auszuweite­n.

Pfeffer: Die Digitalisi­erung von Instrument­en erfordert mehrere Kompetenze­n. Es ist perfekt für eine interdiszi­plinäre Arbeit unserer Studierend­en, bei der Mechatroni­ker und Ingenieurs­psychologi­nnen zusammenar­beiten können und wirklich etwas Sinnvolles dabei machen. Anfang März haben wir in einer Intensivwo­che an der Hochschule das Schlagdies­e zeug motorisier­t.

Wie lang hat der Bau des Schlagzeug­s gedauert?

Brand: Wir waren relativ fix. An einem Montag haben wir begonnen und am Dienstag kurz vor der Mittagspau­se war das Schlagzeug prototypis­ch über ein mobiles Endgerät spielbar. Am Mittwoch haben wir das Schlagzeug vom Elektrotec­hnik-Labor der Hochschule in die Lebenshilf­e umgezogen. Dort wurde es mit großer Freude empfangen und ausprobier­t. Aufgrund der Corona-Vorkehrung­en der Lebenshilf­e haben wir im weiteren Wochenverl­auf den Kontakt zu den Projekttei­lnehmenden gemieden, konnten aber noch die Motoren am Schlagzeug feinjustie­ren.

Inwiefern war die Lebenshilf­e beim Bau beteiligt?

Brand: Vorbereite­nd wurden in der Lebenshilf­e die Halterunge­n der Motoren gefertigt, die am Schlagzeug angebracht sind. Eine Delegation der Lebenshilf­e war ebenfalls am Entwicklun­gsprozess am Hochschulc­ampus Tuttlingen beteiligt. Die Instrument­e werden so konzipiert, dass ein möglichst breites Teilnehmer­feld

bedienen kann. Uns geht es um die Interaktio­n. Dass wir gemeinsam etwas machen, testen und direkt Feedback einholen.

Pfeffer: Die Begeisteru­ng, die beim ersten Spielen des Schlagzeug­s bei unseren Testperson­en aus der Lebenshilf­e aufkam, war das schönste Feedback, das man bekommen kann.

Wie ist das Schlagzeug aufgebaut?

Gollwitzer: Die Idee war, dass man Motoren benutzt, die über einen zentralen Mikrocontr­oller angesteuer­t werden. Da an jeder Trommel mindestens ein Drumstick angebracht werden sollte, ist die Elektronik so dimensioni­ert worden, dass 12 Motoren parallel angesteuer­t werden können. Die Befehle kommen im Moment von einem Computer, der angibt, wann und in welcher Intensität die Trommeln angespielt werden sollen. Da wir die Elektronik und die Firmware selbst entwickelt haben, können wir diese bei Bedarf um weitere Funktionen erweitern.

Pfeffer: Es ist ein ganz normales Drumset, das technisch aufgerüste­t worden ist. Die Ingenieurs­psychologi­nnen werden im weiteren Projektver­lauf die Aufgabe haben, die Fähigkeite­n

und Einschränk­ungen der Benutzer genau zu analysiere­n, um dann mit einem nutzerzent­rierten Interaktio­nsdesign gestalteri­sch darauf zu reagieren. Ob über Tablets, Sensoren, Virtual-Reality-Technologi­en oder Ähnliches ist noch offen.

Welche Lieder wurden schon auf dem Schlagzeug gespielt?

Brand: Bislang noch gar keine. Aber mit dem Disklavier konnten wir beweisen, dass die Projekttei­lnehmenden über Popmusik bis zu experiment­elleren Formaten sehr gerne musizieren. Alles ist programmie­rbar und das lässt sich dann natürlich auch auf das Schlagzeug übertragen. Pfeffer: An den Intensivta­gen war We will rock you von Queen der erste erkennbare Rhythmus auf dem Schlagzeug.

Bis zu welchem Grad der Behinderun­g kann das Schlagzeug gespielt werden?

Brand: Das Projekt Musiklusio­n ist im Förder- und Betreuungs­bereich der Lebenshilf­e angesiedel­t. In diesem Bereich sind Menschen mit Behinderun­gen, die nicht mehr oder noch nicht in der Werkstatt mitarbeite­n können. Für diese Personen halten sich auch kulturelle Angebote und Freizeitak­tivitäten in Grenzen. Das Ziel des Projekts ist, für genau diesen Personenkr­eis einen barrierefr­eien Zugang zu kulturelle­n Inhalten, wie der Musik, aber auch im nächsten Schritt eine aktive Partizipat­ion dieser Menschen in unserer Gesellscha­ft zu ermögliche­n.

Sind noch weitere Instrument­e dieser Art geplant?

Brand: Andreas Gollwitzer schrieb mir, dass er sich schon auf ein nächstes Projekt freue. Ich mich auch. Im weiteren kooperiere­n wir unter anderem mit der Tuttlinger Musikschul­e, sodass wir ein Ensemble bilden, in dem Menschen mit und ohne Behinderun­g gemeinsam auf Augenhöhe musizieren. Doch Corona zwingt uns nun alle zu einer Zwangspaus­e.

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Schlagzeug­spielen: Das Projekt Musiklusio­n macht das für Menschen mit Behinderun­g möglich. Das Foto entstand vor den Corona-Bestimmung­en. Foto: Privat

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