Frust, aber auch Solidarität
Der Kommentar „Lehrer, wo seid ihr?“hat große Resonanz nach sich gezogen
TROSSINGEN -Es gibt Themen, bei denen kann man als Redakteur darauf wetten, dass sie einen Sturm der Entrüstung auslösen werden. So war es auch beim Kommentar „Lehrer, wo seid ihr?“, der am vergangenen Samstag in unserer Zeitung erschienen ist. Überraschend war die Vielzahl der Reaktionen also nicht, wohl aber die Wut, die einige E-Mailschreiber antrieb. Und auch die Angst vor Schwierigkeiten, sollten sie ihre Kritik namentlich in der Zeitung äußern, scheint enorm. Wut und Angst, das scheint Lehrer und Eltern zu einen. Doch es gab auch ein paar versöhnliche Einsendungen
Eine Lehrerin, die namentlich nicht genannt werden möchte, hat bereits eine Berufskarriere jenseits des Schuldiensts hinter sich. „Ich kenne also beide Perspektiven und kann nachvollziehen, dass die aktuellen Eindrücke und Erfahrungen vieler Eltern Ihrer Darstellung entsprechen. Die Frage 'Schüler, wo seid ihr?’ könnte so manchen Tätigkeitsbericht einer Lehrkraft einleiten. Es gibt Untätigkeit und Unterlassung auf beiden Seiten“, so ihre Erfahrung. „Ich unterrichte Jugendliche und junge Erwachsene. Mit einigen klappt der Fernunterricht sehr gut. Viele geben sich jedoch nicht einmal die Mühe, einmal in der Woche ihre Mails zu lesen. Das Zurücksenden von Arbeitsaufträgen funktioniert eher mäßig und bei telefonischen Anfragen werden mir dann äußerst fantasiereiche Begründungen geliefert.“
Elisabet Düll, die in Trossingen lebt und ein Kind an der Realschule und eines am Gymnasium hat, ist voll des Lobes für die Lehrer ihrer Kinder. „Ich kann beiden Schulen nur zu ihren engagierten Lehrern gratulieren. Meine Kinder lernen in dieser außergewöhnlichen Zeit sehr viel über Selbstorganisation und Selbstmotivation. Wir fühlen uns sehr gut betreut. Meine Kinder sind vormittags gut mit Aufgaben versorgt, die sie selbständig erledigen können. Aufgrund der guten Betreuung und Organisation kann ich guten Gewissens jeden Vormittag sechs Stunden meiner Arbeit nachgehen und muss nachmittags keine Schulaufgaben machen oder kontrollieren. Denn auch die Kontrolle wird von den Lehrern an die Schüler übertragen oder mit der Rückmeldung gelöst.“
Andere Eltern machen ganz andere Erfahrungen. „Mein Sohn bekommt die Arbeitsaufträge täglich per Mail. Ob er sie überhaupt erledigt oder ob er es richtig gemacht hat, das hat bisher kein Lehrer der Klasse überprüft“, sagt eine Mutter, deren Kind eine weiterführende Schule in Trossingen besucht.
Eine Mutter, die einen Sohn an einer Tuttlinger Grundschule hat, zitiert ihren Sohn und bringt das Problem der Klasse auf den Punkt: „Ist doch egal, ob ich schön schreibe, schaut ja eh niemand an.“Auch hier fehle es völlig am Feedback der Lehrer. Dass es in anderen Klassen durchaus anders laufe, habe sie bereits im Austausch mit anderen Eltern erfahren. Es sei wohl Glückssache, wie der Heimunterricht umgesetzt wird, so ihre Einschätzung.
Ein Vater ärgert sich darüber, dass sich die Lehrer seiner Kinder über die Osterferien nicht gemeldet hätten. „Das waren doch keine normalen Ferien. Die Eltern mussten weiter unter widrigen Umständen arbeiten, die Großeltern durften die Kinder nicht betreuen und Treffen mit Freunden waren auch nicht möglich. Hätte da nicht mal eine Anruf vom Klassenlehrer kommen können, ein paar Ideen für freiwillige, kreative Ideen oder kleine Forscherprojekte? Dann wären die Kinder ein bisschen beschäftigt und die Eltern ein wenig entlastet gewesen.“Als „blanken Hohn“bezeichnet ein Elternpaar die Formulierung, mit der sich ein Lehrer am letzten Schultag vor den Osterferien gemeldet hat. „Er verabschiedete sich in die 'wohlverdienten Ferien’“, ärgert sich das Paar. „Wir wissen nicht mehr, wie wir die
Tage bewältigen sollen, da trifft einen ein solcher Satz wie ein Schlag ins Gesicht.“
Eine Lehrerin, auch sie möchte nicht mit Namen in der Zeitung stehen, war über den Kommentar enttäuscht, wie sie schreibt. „Wir bemühen uns täglich, den Schulrhythmus auch unter den schweren Bedingungen möglichst aufrechtzuerhalten, was mehr Kraft erfordert als sonst. Von mir kann ich nur sagen, dass das dargelegte Pauschalbild eines Lehrers nicht passt, da täglich viele Einzelrückmeldungen an Schüler stattfinden und mit meinem Abikurs in Deutsch habe ich alle Hände voll zu tun, sodass wir aktuell keinen 'Halbtagsjob’ mit Stundenabbau ausüben, zumal viele Tätigkeiten im Verborgenen per E-Mail und Co. weiter stattfinden.“
Eine weitere Lehrerin fühlt sich ebenfalls missverstanden, wirft aber auch einen anderen Blick auf die Situation: „Ich vermisse es, mitzubekommen, dass die Achtklässlerin, die eigentlich ganz andere Dinge im Kopf hat, sich am Wochenende knallorangefarbene Fingernägel machen ließ. Ich vermisse die Geschichten der Zehntklässler, die bei der Pausenaufsicht erzählt werden. Ich vermisse es, mit meinen Schülern herzlich zu lachen oder einfach mal unregelmäßige Verben zu pauken.“