Gottesdienst ohne Gesang – geht das?
Kirchen in Villingen-Schwenningen bereiten sich auf neue Herausforderungen vor
VILLINGEN-SCHWENNINGEN (sbo) - Kirche ohne Singen, ohne große Gottesdienste und ohne Abendmahl? Vor dieser Herausforderung stehen nun auch die Kirchen in VillingenSchwenningen. Die evangelischen Pfarreien haben sich hierzu schon ihre Gedanken gemacht.
Dekan Wolfgang Rüter-Ebel, der nicht nur für „die Vier in Villingen“, die vier Pfarreien – Johannes-, Lukas-, Markus- und Paulusgemeinde –, sondern auch für die Kirchen im Bezirk zuständig ist, ist von Grund auf eigentlich ein Optimist. Trotzdem: Was den Kirchen ab dem 10. Mai abverlangt wird, wenn sie wieder Gottesdienste feiern dürfen, bereitet auch einem wie ihm Kopfzerbrechen.
Das so genannte Schutzkonzept der evangelischen Landeskirchen, das die Einzelheiten regeln soll, wird zwar noch in seinen kleinsten Details ausgetüftelt und soll den Kirchen übers Wochenende zugestellt werden – einige Details sickerten aber bereits jetzt durch.
Es sollen nur Kurzgottesdienste gefeiert werden – von maximal 30minütiger Dauer. „Dafür lieber häufiger“, sagt Rüter-Ebel. Alles, was sonst mehrere Menschen anfassen, soll tabu sein – also auch die Gesangbücher, die zu so einem Gottesdienst bislang ganz selbstverständlich dazugehörten. Man soll „nicht singen – das ist ausdrücklich so genannt“, zählt der Dekan im Gespräch mit unserer Zeitung weiter auf, was zunächst bis zum 1. Juli gelten soll und später dann von Neuem bewertet werde. Auf Abendmahlfeiern soll sogar von markierten Plätzen, auf welche sich die Kirchgänger dann setzen sollen, und Gemeindeglieder, die am Kirchenportal stehend abzählen, wie viele schon drinnen sind und wie viele noch rein dürfen.
Möglicherweise, sinniert RütgerEbel, werde man bei besonderen Gelegenheiten mit vorherigen Anmeldungen arbeiten müssen. „Große Gottesdienste mit vielen Leuten, das geht erstmal ohnehin nicht.“Der Landesbischof habe prognostiziert, dass es, „wenn’s gut wird“, bis Weihnachten noch Sonderregeln für das Gemeindeleben werde geben müssen.
Für die Macher der evangelischen Kirche ist all das, was am Wochenende in schriftlicher Form bei ihr eingehen soll, vor allem eines: eine riesengroße Herausforderung. „Was kann man dann alles machen, was nicht nur komisch ist – da wird man viel rumprobieren müssen“, gibt Wolfgang Rüter-Ebel im Gespräch mit unserer Zeitung zu und feilt schon am einen oder anderen Open-Air-Modell, Gottesdiensten unter freiem Himmel, „eventuell mit Posaunen“.
Die Vorfreude, ab dem 10. Mai endlich wieder Gottesdienste feiern zu dürfen, die überwiegt schließlich eben doch. „Wir werden erstmal ein gemischtes Modell anwenden“, prophezeit der Dekan. Denn die Coronakrise habe zumindest da auch ihre positiven Seiten: es seien tolle neue Formate entstanden.
„Etliche sind sehr kreativ damit umgegangen, es ist viel Digitales passiert“, freut sich Rüter-Ebel und zählt Andachten mit Streamings und auf Youtube auf, aber auch analoge Angebote wie das sonntägliche 10-UhrLäuten aller Kirchenglocken in Villingen oder kleine Andachten, per Mail verschickt, mit Psalmen, Liedern und Gebeten, um zu Hause zu feiern.
Die Passionsandachten, die sonst in der Johanneskirche stattfinden und gerade einmal zehn bis 15 Gläubige lockten, seien online von etwa 100 Interessierten angeklickt worden, freut sich Rüter-Ebel. Vielfach hätten sich Spezialisten in den jeweiligen Gebieten in ihr Projekt richtig hineingekniet – und kleinere Gemeinden seien in diesem Findungsprozess nach neuen Formaten näher zusammengerückt und hätten sich gut vernetzt. „Wir haben anders gefeiert“, resümiert der Dekan und weiß, dass sich die Gemeindeglieder damit „unterschiedlich schwer“taten.
Auch er steht vor vielen Hürden, die ihm zu schaffen machten: Gottesdienste in Seniorenheimen, die so wichtig, aber plötzlich unmöglich geworden sind, die Gremienarbeit per Videokonferenz, die aber keine geheime Abstimmung mehr erlaubt, oder die vielen Konfirmanden, die sich schon so auf ihr großes Fest gefreut hatten.
Was ihm gut tat in dieser herausfordernden Zeit? „Sehr viele Rückmeldungen mit sehr viel Dankbarkeit“, schildert Rüter-Ebel lächelnd. Trotzdem gibt er ganz offen zu: „Manchmal hängt es einem ja schon zum Hals raus, dieses ganze Abstand-Halten. Und ich möchte endlich mal wieder jemanden in den Arm nehmen.“
Ja, die aktuelle Situation sei „schon eine Geduldsprobe“, doch er sieht auch sie, die Chance in der Krise für die Kirche: „Ich glaube, wir kommen als Kirche irgendwie anders raus aus dieser Zeit als wir reingegangen sind“, sagt Rüter-Ebel und meint das im positiven wie auch im negativen Sinne zugleich.