Zuschüsse sollen Studienabbrüche verhindern
Rektor Christian Fischer und Werner Till vom Förderverein zum neuen Corona-Hilfsfonds der Musikhochschule
TROSSINGEN - Viele Studierende der Musikhochschule Trossingen finanzieren ihr Studium durch Konzerte und Unterrichte. Weil diese wegen der Coronakrise seit Wochen nicht möglich sind, stehen manche inzwischen vor dem Aus. Deswegen hat der Förderverein und die Leitung der Hochschule einen Corona-Hilfsfonds für bedürftige Musikstudierende der Region SchwarzwaldBaar-Heuberg und Tuttlingen initiiert. Redakteur Michael Hochheuser sprach mit Prof. Christian Fischer, dem Rektor der Musikhochschule, und Werner Till, Vorsitzender des Fördervereins.
Wie und warum entstand die Idee für den Hilfsfonds?
Christian Fischer: Der Gedanke entstand früh, als es mit der Coronakrise losging. Denn Musikstudierende leben in der Regel von Konzert- und Orchesterverpflichtungen sowie vom Unterrichten. Dass dies wegfallen würde, war klar. Hinzu kommen die Studiengebühren von 1500 Euro je Semester für bestimmte Gruppen in Baden-Württemberg. Mehr als 30 unserer derzeit 410 Studierenden haben uns mitgeteilt, dass sie diese nicht mehr zahlen können, und um Stundung gebeten. Wir haben viele Mails bekommen, dass Studierende ihr Zimmer nicht mehr zahlen können, oder dass sie in ihrer Heimat in Italien oder Asien festsitzen. Und Nebenjobs gibt es kaum noch: Eine Geigenstudentin etwa muss derzeit sogar auf dem Bau arbeiten, um ihr Studium zu finanzieren – es kann doch nicht sein, dass sie sich da die Finger ruiniert.
Aus dem neuen Fonds sollen sozial schwache Studierende nun Zuschüsse bekommen, die sie nicht zurückzahlen müssen. Wie läuft das ab?
Fischer: Studierende, die in finanzielle Not geraten sind, müssen einen Antrag stellen, in dem sie ihre Notlage erklären. Wir verlangen keine Kontoauszüge, weil wir normalerweise einen Blick dafür haben, was realistisch ist. Wenn wir Zweifel haben, folgt eine tiefere Prüfung.
Wer unterstützt den Hilfsfonds?
Fischer: Diese Woche haben wir eine Briefaktion an Persönlichkeiten in der Region gestartet. Zudem haben wir mit Unternehmen gesprochen.
Doch viele sind in Kurzarbeit, da sind Spenden in der Regel nicht zu erwarten. Wohl aber hoffen wir auf eine Spendenbereitschaft von Firmenchefs als Privatmenschen. Auch unsere hauptamtlichen Professoren haben wir um eine angemessene Spende gebeten. Es sind bereits erste Spenden aus privaten Mitteln eingegangen.
Der Förderverein benötige mehr Geld, um Studierenden zu helfen, und müsse dazu vermutlich an seine Reserven gehen, haben Sie kürzlich gesagt, Herr Till. Wie sehen Ihre Aktivitäten aus?
Werner Till: Wir versuchen, bei den 550 Mitgliedern Geld einzusammeln. Eine fünfstellige Summe ist auf dem Konto des Fördervereins noch als Reserve vorhanden. Aber andere Aufgaben des Vereins dürfen natürlich darunter auch nicht leiden. Fischer: Ich denke, dass wir in einen mittleren fünfstelligen Bereich vorstoßen müssen, um bedürftigen Studierenden helfen zu können.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat am Donnerstag zinslose Kredite als Überbrückungshilfe für Studierende von bis zu 650 Euro monatlich angekündigt, zudem soll das Deutsche Studentenwerk 100 Millionen Euro für den Nothilfefonds bekommen. Wie bewerten Sie diese Initiative?
Fischer: Grundsätzlich ist das sehr erfreulich. Nun hoffe ich, dass auch eine Bafög-Verlängerung beschlossen wird. Viele unserer Studierenden werden nun ein Verlängerungssemester beantragen, für das einige kein Bafög mehr bekommen würden. Es gibt ja bereits einen Darlehensfonds des Landes. Aber für viele junge Musiker wird es zunächst schwierig sein, das Geld zurückzuzahlen, weil sie in der Regel nicht sofort gut dotierte Jobs erhalten werden.
Der Förderverein sammelt unter anderem durch Konzerte und Benefizveranstaltungen Geld für finanziell benachteiligte Studierende. Wie ist da der Stand der Dinge?
Till: Die Konzerte im Würfelsaal der Trossinger Volksbank fallen derzeit aus. Studierende erhalten dort ein Honorar von 150 Euro bei Einzelauftritten und maximal 750 Euro bei Gruppen. Weitere Veranstaltungen etwa im Museum art plus in Donaueschingen und Dozentenkonzerte sind für das zweite Halbjahr geplant – ob sie wirklich stattfinden können, lässt sich noch nicht sagen. Fischer: Geld bringen den Studierenden auch Wettbewerbe wie der Iris Marquardt-Preis der Musikhochschule, der mit 5000 Euro dotiert ist. Wir haben ihn zunächst auf November verschoben.
Nicht nur Studierende leiden derzeit finanzielle Not, auch Honorarkräfte der Musikhochschule klagen über Verdienstausfälle. Wie können Sie diesen helfen?
Fischer: Sie befinden sich in einer ähnlichen Situation, doch die Studierenden hatten für uns zunächst erste Priorität. Auch für Honorarkräfte soll ein Sozialfonds eingerichtet werden, allerdings in einem anderen Format, nicht über den Förderverein. Wir müssen erst einmal schauen, wie sich der neue Fonds entwickelt. Bei einer großen Solidarität würden wir uns ermutigt fühlen, auch etwas für die freischaffenden Musiker zu unternehmen. Deren Vergütung wird im Sommersemester nicht wegfallen, die Lehrkräfte sollen möglichst keine Ausfälle verzeichnen. Der Unterricht wird bis zum 30. September gestreckt. Zudem haben sie die Möglichkeit, finanzielle Hilfe vom Land zu beantragen.
In Coronazeiten gehen die Hochschulen neue Wege beim digitalen Unterricht. Wie effektiv ist dieser an der Trossinger Musikhochschule?
Fischer: Einige Dozenten sind super ausgestattet. Der Bereich Medienkompetenz hat sehr schnell reagiert und unterstützt Lehrende und Studierende. Viele Seminare und Vorlesungen werden inzwischen digital angeboten. Auch anderer Unterricht findet mit Einschränkungen digital statt. In Studiengängen wie Musikdesign funktioniert das besonders gut, Unterricht im Bereich Musik
ANZEIGE und Bewegung mit Kinder- oder Erwachsenengruppen ist digital nicht möglich. Bei Gesangs- oder Instrumentalunterricht müssen beide Seiten, Lehrkräfte und Studierende, gut ausgestattet sein – da reicht die Technik und die Internetverbindung nicht immer aus. Viele Studierende sitzen im Ausland fest, einzelne haben zum Beispiel kein Klavier zum Üben zur Verfügung.
Wie hat die Musikhochschule auf die neuen Bedingungen reagiert?
Fischer: Seit 20. April haben wir einen Notübebetrieb. Wer nicht daheim auf einem Instrument üben kann, kann auf Antrag den ganzen Tag alleine in einem Raum der Hochschule spielen. Natürlich mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen. Am 4. Mai starten wir einen Not-Unterricht für Examenskandidaten in den Fächern, in denen der digitale Unterricht nicht auf ausreichendem Niveau möglich ist. Es wird, neben weiteren Sicherheitsvorkehrungen, regelmäßig gut durchgelüftet und desinfiziert. Maskenpflicht gilt auch in der Hochschule. Die Öffnung insgesamt soll ganz vorsichtig erfolgen.
Was wäre, wenn der Corona-Hilfsfonds ein Misserfolg würde?
Till: Wenn wir den Fonds und damit Hilfsangebote nicht hätten, müsste ein Teil der jungen Musiker das Studium mittelfristig aufgeben.