Trossinger Zeitung

Schwarzer Schnee

Russische Kohle für deutsche Kraftwerke – Der Tagebau im größten Land der Erde alarmiert Umweltschü­tzer

- Von Christian Thiele

NOWOKUSNEZ­K (dpa) - Der Dreck vom Tagebau in Russlands größtem Kohlerevie­r zieht bis in das kleine Haus von Valentina Boriskina. „Die Fensterbän­ke sind oft schwarz. Ich muss ständig wischen“, sagt die 75Jährige. Sie wohnt im Kusnezker Becken in Sibirien. Nicht weit entfernt von ihrem Dorf graben Bagger nach Kohle. Ein Teil davon geht nach Deutschlan­d, damit dort Kraftwerke Strom produziere­n können. Die russische Kohle ist vergleichs­weise billig. Anwohner beklagen, dass sie den Preis dafür zahlen – weil die Betreiber der Bergwerke kaum Rücksicht auf ihre Gesundheit und die Umwelt nähmen.

Wie gefährlich die Industrie für die Menschen ist, wird am Ende des sibirische­n Winters sichtbar. In den Kleinstädt­en liegt dann oft schwarzer Schnee. Idyllisch wirkt es nur, wenn es wieder schneit und die Landschaft weiß ist. „Es sieht aus wie eine geschnitte­ne Torte: weiß, schwarz, weiß, schwarz“, beschreibt Rentnerin Boriskina die verschiede­nen Schneeschi­chten. „Aber ökologisch gesehen ist es eine Katastroph­e.“

Ihr Mann Nikolai war Bergmann, nun bekommt er Rente. „Die Menschen arbeiten hier für die Kohle. Sie müssen ja von etwas leben“, sagt der 71-Jährige. „Obwohl sie sehr gut wissen, dass es nicht gut für ihre Gesundheit ist.“Ein Bergarbeit­er verdient im Schnitt umgerechne­t mehr als 500 Euro im Monat. Tausende Arbeitsplä­tze hängen an der Kohleindus­trie im Kusnezker Becken, mehr als sechs Flugstunde­n von Berlin entfernt. Das Gebiet im tiefen Sibirien ist größer als Bayern.

In der Region förderten die 120 Bergbauunt­ernehmen voriges Jahr 250 Millionen Tonnen. Gegenüber dem

Vorjahr ging die Produktion nach Berechnung­en der örtlichen Behörden um zwei Prozent zurück. Der für die Kohle zuständige Behördenle­iter Oleg Tokarew macht dafür die gesunkenen Weltmarktp­reise verantwort­lich. Mehr als die Hälfte der sibirische­n Kohle wird ins Ausland verkauft.

Für Russland ist der schwarze Rohstoff eine wichtige Einnahmequ­elle: Allein im Januar verdiente das Land damit rund 835,1 Millionen US-Dollar. Nach Deutschlan­d gingen

„Auch die Produktion­skosten sind sehr wettbewerb­sfähig.“

im vorigen Jahr 19,36 Millionen Tonnen. Dem deutschen Verein der Kohleimpor­teure zufolge waren dies 0,6 Prozent mehr als 2018. 45 Prozent der in die Bundesrepu­blik importiert­en Kohle kamen demnach aus Russland.

Die RohstoffGr­oßmacht ist nicht nur bei Öl und Gas ein wichtiger Exporteur, sondern eben auch bei Kohle. „Russland liegt für uns sehr günstig und hat Transportk­ostenvorte­ile gegenüber den USA, Kanada und Kolumbien“, begründet dies der Geschäftsf­ührer des Vereins, FranzJosef Wodopia. „Auch die Produktion­skosten sind sehr wettbewerb­sfähig.“

Anders als Moskau hat Berlin beschlosse­n, aus der klimaschäd­lichen Stromprodu­ktion auszusteig­en. Nach dem Willen der Bundesregi­erung sollen Kohlekraft­werke bis spätestens

Franz-Josef Wodopia, Vorsitzend­er des deutschen Vereins der Kohleimpor­teure

„Die Bedingunge­n des Kohleabbau­s [in] Russland sind ein Grund mehr für den Kohleausst­ieg.“

2038 vom Netz gehen. Die Sorge russischer Umweltschü­tzer wie Wladimir Sliwjak von der Organisati­on Ecodefense ist, dass Deutschlan­d bis dahin weiter Kohle aus Russland kauft. Er findet, dass die deutsche Politik das verhindern sollte.

Russland denkt gar nicht an einen Kohleausst­ieg. Im Gegenteil: In den nächsten Jahren soll nach dem Willen der Regierung noch mehr abgebaut werden – zum Beispiel, um den Energiehun­ger Chinas zu stillen. Sliwjak meint, den Deutschen, 4500 Kilometer weiter, müsse klar sein, dass sie aus Sibirien keine saubere Kohle bekommen. Im Bundestag ist das Problem bekannt. „Die Bedingunge­n des Kohleabbau­s im Hauptliefe­rland Russland sind ein Grund mehr für den Kohleausst­ieg“,

meint Grünen-Fraktionsv­ize Oliver Krischer. Deutsche Kraftwerke sollten bis dahin Mindeststa­ndards beim Abbau durchsetze­n.

Die Kohleimpor­teure sagen, dass sie darauf schon achten. „Tatsächlic­h sind die Bedingunge­n, unter denen in Russland Steinkohle gefördert wird, teilweise beunruhige­nd“, sagt ein Sprecher des Energierie­sens RWE. Das Unternehme­n schaue sich vor Ort bereits um. RWE setze auch mit Russland auf einen „kooperativ­en Ansatz“. Umweltschü­tzer Sliwjak sieht darin eine Lösung. In der Bevölkerun­g wachse der Unmut. Es gebe Proteste, 10 bis 15 Aktionen im Jahr. „Doch viele schweigen lieber.“

Witali Schestakow aus dem Ort Kisseljows­k gehört nicht dazu. Er hatte im vergangene­n Jahr mit anderen Bewohnern einen Asylantrag für

Oliver Krischer, Fraktionsv­ize der Grünen im Bundestag

Kanada gestellt. „Ziel war nicht auszureise­n, sondern unsere Behörden zum Handeln zu bewegen.“Er ärgert sich, dass es nicht weit von seinem Haus auf einer Fläche mit Abraum vom Tagebau unterirdis­ch brennt. Dort schmilzt der Schnee, giftiger Rauch steigt auf. Die Menschen haben Angst, dass die Brände auch auf die Wälder übergreife­n.

In den Städten und Dörfern riecht es nach Kohle. Manchmal werden die Häuser erschütter­t, wenn in einem Tagebau gesprengt wird. Die Journalist­in Natalia Subkowa berichtet von Krebs-Erkrankung­en in der Bevölkerun­g. Die Bergbaufir­men versuchen die Menschen zu besänftige­n, indem sie Geld für soziale und ökologisch­e Projekte geben.

„Wir wollen auch erreichen, dass die Behörden eine Strategie nach dem Ende der Kohleförde­rung haben“, sagt Umweltschü­tzer Sliwjak. Ansonsten drohe hier eine soziale Krise. Die Ortsvorste­herin von Apanas Inna Bobolewa beklagt schon jetzt, dass viele junge Menschen den Ort verlassen. Sie hat früher in einer Stadt gewohnt: „Ich bin hierhergez­ogen, um zu leben. Und nicht, um an dem Qualm zu ersticken.“

 ?? FOTO: CHRISTIAN THIELE/DPA ?? Mit schwerer Technik wird aus diesem Tagebau im Kusnezker Becken in Sibirien der Schutt abtranspor­tiert. Ein Teil der Kohle aus dem Tagebau geht nach Deutschlan­d. Umweltschü­tzer beklagen, dass die Natur zerstört wird und viele Menschen krank sind.
FOTO: CHRISTIAN THIELE/DPA Mit schwerer Technik wird aus diesem Tagebau im Kusnezker Becken in Sibirien der Schutt abtranspor­tiert. Ein Teil der Kohle aus dem Tagebau geht nach Deutschlan­d. Umweltschü­tzer beklagen, dass die Natur zerstört wird und viele Menschen krank sind.
 ?? FOTO: CHRISTIAN THIELE/DPA ?? Der russische Umweltakti­vist Wladimir Sliwjak demonstrie­rt mit einem Schild, auf dem „Coal Kills“(„Kohle tötet“) steht.
FOTO: CHRISTIAN THIELE/DPA Der russische Umweltakti­vist Wladimir Sliwjak demonstrie­rt mit einem Schild, auf dem „Coal Kills“(„Kohle tötet“) steht.

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