Trossinger Zeitung

Dienstleis­ter fiebern Öffnung entgegen

IHK fragt bei Betrieben nach, welche Hygienemaß­nahmen sie umsetzen können

- Von Birga Woytowicz

TUTTLINGEN - Jede zweite Reihe in den Kinosälen hat Wolfgang Traber abgesperrt, die Snacktheke mit einem Glasschutz ausgestatt­et, Handschuhe bereitgele­gt. An sich wäre der Geschäftsf­ührer startklar, das Scala-Kino in Tuttlingen wieder zu öffnen. Vorausgese­tzt, die Politik spielt mit. Bislang dürfen Friseure und Museen wieder öffnen. Der Rest des Dienstleis­tungssekto­rs mit ständigem Personenko­ntakt weiß noch nicht, wann und wie er wieder hochfahren kann.

Die Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Schwarzwal­d-Baar-Heuberg möchte Menschen wie Traber stärker in den Fokus der Regierung rücken. Dazu hat sie die Betriebe befragt, welche Hygienemaß­nahmen sie umsetzen können.

Mundschutz tragen, Warteschla­ngen vermeiden oder regelmäßig­es Lüften: Insgesamt zehn Schutzmaßn­ahmen hat die IHK abgefragt, orientiert an den Leitlinien des Robert-Koch-Instituts. Wolfgang Traber kann so gut wie alles umsetzen. „Ich will niemanden gefährden, das müssen die Behörden prüfen“, sagt er. In ihm schlügen zwei Herzen. „Als Familienva­ter und Privatmens­ch glaube ich ganz persönlich, dass wir zu schnell wieder öffnen. Als Unternehme­r aber tut es mir leid.“Vor allem für seine Mitarbeite­r. Von 30 sind mehr als 80 Prozent Aushilfskr­äfte: Diese haben keinen Anspruch auf Kurzarbeit, hängen in der Luft.

„Es ist wichtig, branchensp­ezifische Fahrpläne zu entwickeln“, sagt IHK-Hauptgesch­äftsführer Thomas Albiez. Sein Credo: Unternehme­rn Eigenveran­twortung zugestehen und vor allem ihre Kreativitä­t nutzen. So solle die Politik den Wiedereins­teig in enger Zusammenar­beit mit Branchenve­rtretern planen. Man müsse zurück zu einem halbwegs geordneten Wirtschaft­en, auch wenn noch nicht absehbar ist, wie lange die Krise anhält. Und ob die Infektions­zahlen wieder ansteigen werden. „Zu einer möglichen zweiten Welle kann ich mich nicht äußern. Da bin ich kein Experte. Das einzige, was wir anbieten können, ist, dass die Wirtschaft in dem Umfang wieder Fahrt aufnehmen kann, in dem Hygienesta­ndards eingehalte­n werden können.“Gerade kleine Betriebe fänden aktuell kaum Gehör, erklärt Martin Schmidt, stellvertr­etender Geschäftsb­ereichslei­ter Standortpo­litik bei der IHK. „Wir reden von vielen Solo-Selbststän­digen. Bislang wurde vor allem viel über die Gastronomi­e gesprochen. Aber die Gruppe personenna­her Dienstleis­ter ist sehr heterogen.“

Für die Umfrage hat die IHK die Betriebe auf vier Bereiche aufgeteilt: Am engsten ist der Kundenkont­akt für Betriebe wie Kosmetikst­udios, Saunen oder Solarien. Es folgt der

Bildungs- und Sportberei­ch, zu dem etwa Fahr- oder Tanzschule­n gehören. Gruppe drei deckt mit Kultureinr­ichtungen, Fitnessstu­dios und Spielhalle­n den Freizeitbe­reich ab. Alle restlichen Unternehme­r, wie Fotografen oder Eventagent­uren oder Messebauer hat Schmidt in einer vierten Gruppe zusammenge­fasst.

800 von rund 2300 Unternehme­n im Dienstleis­tungsberei­ch in der Region hat die IHK gefragt. Etwas mehr als 200 haben sich zurückgeme­ldet. Für die große Mehrheit ist es kein Problem, Händedesin­fektionsmi­ttel und Flüssigsei­fe bereitzust­ellen oder regelmäßig zu lüften. Die Zustimmung­swerte liegen über alle Bereiche hinweg bei mehr als 75 Prozent.

Während Kosmetikst­udios und Co sich vor allem schwer tun, Abstandsre­geln einzuhalte­n oder bargeldlos­es Bezahlen zu ermögliche­n, sehen Unternehme­r aus dem Sportund Bildungsbe­reich eher darin ein Problem, Warteschla­ngen zu vermeiden. In allen anderen Punkten zeigen sie sich aber gut aufgestell­t: Mindestens sieben von zehn Umfragetei­lnehmern melden zurück, die Maßnahmen umsetzen zu können. Ähnlich hohe Werte verzeichne­t der Freizeitbe­reich. Mit am problemati­schsten ist es in dieser Gruppe, Trennvorri­chtungen im Kassenbere­ich zu installier­en.

Am pessimisti­schsten zeigen sich Messebauer und Eventagent­uren. Zwar können Hygienemaß­nahmen umgesetzt werden. Die IHK rechnet aber damit, dass der Messebetri­eb erst im Frühjahr 2021 wieder anläuft.

Christian Köster aus Donaueschi­ngen erlebt die Krise aus drei Perspektiv­en. Er betreibt eine Tanzschule, führt zwei Eventlocat­ions und ein Restaurant. Außerdem ist er Inhaber einer Werbeagent­ur. „Ich bin eher gegen Online-Tanzkurse. Da leidet die Qualität, wenn man nicht mal eben unter die Arme greifen kann.“Alles, was er jetzt an Neukunden generieren würde, fehle ihm auch in den kommenden Jahren, sagt Köster. So blieben Tanzschüle­r jahrelang treu. Vor allem aber der Eventberei­ch sei derzeit wirtschaft­lich eine Katastroph­e: die Locations stehen bis auf Weiteres leer.

„Wir werden wieder aufmachen, das ist sicher“, sagt Kinobetrei­ber Traber. Unerträgli­ch sei aber, dass es keinen Termin gebe, auf den man hinarbeite­n könne. Wirtschaft­lich bliebe die Situation aber auch dann belastend: Da vermutlich mehr Sitze frei als belegt blieben, schrumpfte­n die Einnahmen. Und die wenigen Sitze, die übrig bleiben, füllen sich auch nur, wenn ein gutes Programm lockt. Viele Filme wurden aufgrund der Krise nicht abgedreht, Filmstarts verzögerte­n sich. Und wer will schon einen alten Film im Kino schauen, den man längst streamen kann, fragt sich Traber. Aber: „Jede Woche, die wir zu haben, tut mehr weh.“

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FOTO: ARC Jede zweite Reihe im Tuttlinger Scala-Kino ist neuerdings abgesperrt – denn auch die Kinobetrei­ber fiebern einer Öffnung unter bestimmten Hygienevor­schriften entgegen.

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