„Die Entwicklung im Fußball ist unmoralisch“
Gladbachs Fußball-Ikone Jupp Heynckes über die Bundesliga, den Klimawandel und US-Präsident Trump
MÖNCHENGLADBACH (dpa/SID) Der langjährige Bayern-Coach Jupp Heynckes, auch bei Borussia Mönchengladbach eine Legende, hat sich im Laufe seines Lebens zu einem politischen Menschen entwickelt und erwägt sogar die Teilnahme an Demonstrationen. „Das hat in mir geschlummert. Als Fußballer und Trainer hatte ich nicht den Kopf und die Zeit dafür; mittlerweile schon. Manchmal habe ich mir sogar gedacht, eigentlich müsste ich bei einer Klimademonstration mitmarschieren. Missstände und Ungerechtigkeit kann ich nicht ertragen“, sagte der Ex-Bundesliga-Trainer dem „Kicker“. Er sei stets für andere Werte eingetreten. Heynckes wird am Samstag 75 Jahre alt.
Als neuntes von zehn Kindern eines Schmieds aus Mönchengladbach lernte Heynckes seine Lebenswerte früh. „Es war eine karge Zeit. Es gab nicht viel. Man hat gelernt, mit wenig auszukommen. Und wenn wir auch nicht viel hatten, so hat mir doch nie etwas gefehlt“, sagte Heynckes.
Heynckes findet, die Menschen weltweit müssten ihre Lebensweise verändern. „Für die nächsten Generationen zeichnet sich eine fatale Klimasituation ab. Deshalb haben die jungen Leute vollkommen recht, wenn sie protestieren“, sagte er und wetterte insbesondere gegen US-Präsident Donald Trump: „Aber was willst du von der Welt erwarten, wenn die USA einen Menschen ohne Empathie und ohne Charakter als Präsidenten haben, der für dieses Amt intellektuell nicht im Ansatz befähigt ist?“
Der Ex-Nationalspieler und ExBundesligatorschützenkönig rät den Clubs, in der Corona-Krise auf bestehendes Personal zu setzen. Der Fußball dürfe „nicht nur an den Profit denken. Ich würde auf junge Spieler setzen, wie Bayern-Sportdirektor Hasan Salihamidzic jüngst sagte. Ganz große Transfers würde ich ausschließen.“
Auch große Clubs würden angesichts der Krise „wirtschaftliche Probleme bekommen. Deshalb würde ich als Verantwortlicher lieber meine Spieler halten, statt teure Stars zu holen. Sicher müsste ein Kai Havertz in der Bundesliga bleiben, aber nicht für einen utopischen Preis, das wäre nicht zu verantworten. Grundsätzlich war die bisherige Entwicklung im Fußball sowieso unmoralisch“, ergänzte Heynckes. Die Vereine müssten hoffen, dass die Saison ohne Fans zu Ende gespielt werden könne, „auch wenn Fußball ohne Zuschauer fürchterlich ist. Aber es gibt keine andere Lösung, damit die Clubs bis Sommer über die Runden kommen. Und dann müssen die Vereinsverantwortlichen begreifen, dass sie möglicherweise die kommende komplette Saison weiter ohne Publikum spielen werden.“
Feiern wird Heynckes am Samstag nicht. Eine Party hätte es auch ohne Corona-Krise nicht gegeben. „Ich hatte nicht vor, groß zu feiern. Den 75. werden wir ganz spartanisch daheim verbringen.“Die Probleme der Pandemie nimmt der Pensionär ernst. Heynckes meidet Kontakte und genießt die Zeit in seinem Garten.
Ein „typischer“Rheinländer ist er bis heute nicht. Keine Frohnatur, erst recht nicht oberflächlich-kumpelhaft, eher zurückhaltend und bedacht. Schon als junger Spieler fiel seine Bodenständigkeit auf. Der mehrfache deutsche Meister, Europa- und Weltmeister wäre nie auf die Idee gekommen, einen Sportwagen zu fahren wie etwa sein Kumpel Günter Netzer. Heynckes fuhr lieber „Diesel, weil es den für 20 Pfennig den Liter in Holland gab. Das sitzt so in mir drin.“