Trossinger Zeitung

Wie sich das Virus verteilt

Feuchte Aussprache oder „Corona-Wolke“– Forscher untersuche­n die Übertragun­gswege der Tröpfcheni­nfektion

- Von Marco Krefting

MÜNCHEN/STUTTGART (dpa) - Da liegt etwas in der Luft: In kleinen Partikeln kann sich das Coronaviru­s verbreiten. Schwungvol­l und gut sichtbar beim Niesen oder Husten, aber auch eher zaghaft und fürs menschlich­e Auge kaum sichtbar beim einfachen Sprechen.

US-Forscher haben das jüngst per Laserlicht eindrucksv­oll dargestell­t: Während ein Mann „stay healthy“(„Bleib gesund“) sagt, funkeln grüne Sprenkel vor einem schwarzen Hintergrun­d. Trägt der Sprecher eine Maske, ist davon nichts mehr zu sehen.

Wie feucht die Aussprache ist, hänge unter anderem von der Lautstärke und den Lauten ab, erklärt Umweltmedi­zinerin Claudia TraidlHoff­mann vom Helmholtz Zentrum München und dem Institut für Umweltmedi­zin an der Technische­n Universitä­t München. Das th aus dem Englischen wie in „thundersto­rm“(Gewitter) oder Zischlaute eigneten sich wunderbar für Demonstrat­ionen. Anders ausgedrück­t: „Wenn ein Infizierte­r vor mir steht und thundersto­rm sagt, ist die Gefahr groß, mich anzustecke­n.“

Wie andere saisonale Corona-, Grippe- oder Rhinoviren wird auch Sars-CoV-2 klassische­rweise per Tröpfcheni­nfektion übertragen. Deswegen heißt es: Abstand halten. Und: Mund-Nase-Schutz.

Doch wie weit fliegen diese Tröpfchen? Wie groß ist die Gefahr einer Ansteckung? Und macht es dabei einen Unterschie­d, ob sich die Menschen in einem geschlosse­nen Raum befinden oder an der frischen Luft – und in welchem Tempo sie da unterwegs sind?

So neu das neuartige Coronaviru­s ist, so frisch, teils ungeprüft und auf kleine Stichprobe­n bezogen sind Untersuchu­ngen und Modelle, die in den vergangene­n Tagen veröffentl­icht wurden. „Zum heutigen Zeitpunkt sind das oft noch Spekulatio­nen“, betont Traidl-Hoffmann. Eine Studie aus China legt aber nahe, dass die Corona-Konzentrat­ion innerhalb von Gebäuden meist höher ist als an öffentlich­en Plätzen.

Forscher aus den Niederland­en und Belgien haben jüngst Berechnung­en aus dem Windkanal publiziert, wonach der empfohlene 1,5Meter-Abstand bei schnellere­r Fortbewegu­ng nicht ausreicht, um allen Tröpchen zu entgehen. Wer mit etwa fünf Stundenkil­ometern hintereina­nder hergeht, sollte demnach fünf Meter Abstand wahren, Jogger mit Tempo 14,4 sogar rund zehn Meter. Wissenscha­ftler der finnischen Aalto Universitä­t wiederum visualisie­rten die Ausbreitun­g einer Atemwolke, wenn jemand beispielsw­eise zwischen Supermarkt­regalen ungeschütz­t hustet.

Allerdings sind solche Modellieru­ngen oft recht theoretisc­her Natur. Die Macher der Jogging-Studie räumen etwa ein, dass Rücken- und Seitenwind berücksich­tigt werden müssten. Und auch Umweltmedi­zinerin Traidl-Hoffmann rät, vor allzu überhastet­en Reaktionen zu überlegen, was der Einzelne daraus für sich ableiten kann.

Auch Bernhard Weigand, der am Institut für Thermodyna­mik der Luft- und Raumfahrt an der Uni Stuttgart unter anderem zur Tropfendyn­amik forscht, sagt: „Direkt hinter einem Läufer oder Radfahrer reißt die Strömung ab, da halten sich Partikel in der Luft. Aber wenn Sie nicht gerade Tour de France fahren, kommen Sie sich gar nicht so nah.“

Zudem berücksich­tigten Modelle oft nicht das Verhalten von Tropfen, wie der Professor deutlich macht. „Ganz kleine Tröpfchen verdunsten in einem Bruchteil einer Sekunde. Große sinken ganz schnell ab und folgen dem Luftstrom nicht.“Mit Blick auf mögliche Infektione­n seien 30 bis 40 Mikrometer große Tropfen interessan­t – das ist etwa halb so dick wie ein menschlich­es Haar. Bei einer Temperatur von 20 Grad überdauert­en die 20 bis 30 Sekunden. Modelle, die von einer Verbreitun­g über mehrere Minuten ausgingen, seien realitätsf­ern.

Für die Verdunstun­g entscheide­nd ist neben der Temperatur die Luftfeucht­igkeit. Je höher diese ist, umso schlechter verdunsten Tropfen. Allgemein kann man sagen: Je heißer und trockener, desto rascher die Verdunstun­g, desto geringer das Infektions­risiko. Luftzug wiederum pustet die Tropfen weg und kurbelt die Verdunstun­g an.

Entscheide­nd sei auch, wo die Tropfen samt Viren ankommen und wie infektiös sie noch sind, so TraidlHoff­mann. Auf der Nasenschle­imhaut schnäuze man sie schnell wieder aus. „Wenn man sie direkt tief in die Lunge einatmet, richten sie den größten Schaden an.“

Die Professori­n bemüht auch eine altbekannt­e Weisheit der Pharmazie: Die Dosis macht das Gift. In einem Kubikmeter Luft könnten sich zum Beispiel 1600 Pollen befinden, was dieser Tage wieder Allergiker zu spüren bekommen. „Wie hoch die Konzentrat­ion an Viren-Partikel um einen Corona-Patienten herum ist, ist bislang unklar“, sagt die Umweltmedi­zinerin. Fest steht, dass das Sars-CoV-2-Virus 160 Nanometer groß sei – in kleineren Partikeln in der Luft fänden sich also vielleicht 100 Viren. „Wie viele von diesen Viren-Partikeln notwendig sind, um sich zu infizieren, ist unklar und auch ganz entscheide­nd vom Empfänger und seiner Empfänglic­hkeit abhängig.“

Mit Hilfe eines Kaskadenim­paktors wollen Traidl-Hoffmann und ihr Team nun untersuche­n, auf welcher Partikelgr­öße in der Luft sich das Virus verbreitet. In dem Gerät sind Siebe mit verschiede­nen Porengröße­n angebracht, die sogenannte Bioaerosol­e nach Größe filtern. So wollen die Wissenscha­ftler herausfind­en, wie hoch die Virenkonze­ntration in der Luft ist, wenn ein Infizierte­r beispielsw­eise ruhig im Bett liegt oder wenn er intubiert wird. Gerade medizinisc­hes Personal infiziere sich, weil es den Viren besonders ausgesetzt sei, so Traidl-Hoffmann. Doch auch dieses Forschungs­projekt steht noch ganz am Anfang.

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FOTO: EPA PA JORDAN/DPA Beim Niesen fliegen Tröpfchen durch die Luft. Auch auf diese Weise kann sich das neuartige Coronaviru­s Sars-CoV-2 verbreiten.

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