Gläubige feiern ungewöhnlichen Gottesdienst
Kirchen öffnen nach acht Wochen Corona-Pause unter strengen Vorkehrungen ihre Türen
TUTTLINGEN – Fast zwei Monate sind die Kirchentüren aufgrund der Corona-Krise für Gottesdienstbesucher verschlossen geblieben. Dank den Lockerungsmaßnahmen hat am Sonntag eine begrenzte Personenanzahl mit vorheriger Anmeldung und unter mehreren Vorschriften die Gottesdienste im Landkreis Tuttlingen wieder besuchen dürfen.
Die Lockerungen in Zeiten der Corona-Krise sind für viele Gläubige ein Segen – ein Gottesdienstbesuch ist wieder möglich. Allerdings ist es bis zur Normalität noch ein langer Weg. Das merken die Besucher bereits mit Betreten der wiedergeöffneten Kirchen deutlich – so auch in der katholischen Kirche St. Gallus am Sonntag. Um die vorgeschriebenen Maßnahmen einzuhalten, wird zunächst jeder Besucher in einer Anwesenheitsliste eingetragen. Am Sonntagmorgen kommen mehr als 25 Gottesdienstbesucher in die katholische Kirche nach Tuttlingen. Bevor die Gläubigen Platz nehmen, heißt es Hände desinfizieren.
Es folgt die nächste Vorschrift: Um für ausreichend Abstand zu sorgen, darf nur in jeder zweiten Bankreihe Platz genommen werden. Die anderen sind mit einem Absperrband gesperrt. Die offenen Reihen enthalten weiße Punkte, um die Distanz einzuhalten. Drei Personen können somit in einer Reihe Platz nehmen. Das kommt in der St. Gallus Kirche aber kaum vor. Der Platz ist ausreichend, denn es gibt weit mehr weiße Punkte als Personen. Manche Gläubige verwenden die empfohlenen Gesichtsmasken, andere verzichten auf sie.
Pünktlich um 9 Uhr begrüßt Pfarrer Richard Grotz von der katholischen Gesamtkirchengemeinde die Gottesdienstbesucher. „Es ist schon eine etwas eigenartige Situation, in der wir uns befinden“, so seine ersten Worte. Die Vorkehrungen seien sinnvoll, um sich und andere zu schützen. „Andererseits, wirkt es fast skurril, dass wir absperren und auf Distanz gehen müssen“, betont Grotz und erinnert sich, dass die letzte Zusammenkunft zu einem Gottesdienst am 15. März gewesen sei. „Das sind volle acht Wochen“, stellt er fest. Bevor seine Predigt beginnt, weist der Pfarrer auf die Abstandsregeln und auf weitere Hygienevorschriften hin. Während der Eucharistiefeier verzichten alle auf den Friedensgruß in Form der Handreichung, dafür sind die Blicke, die sich die Besucher schenken, umso intensiver. Der Empfang der heiligen Kommunion wird mit einer Pinzette ausgegeben. Zu den Kirchenliedern ertönt wie gewohnt die Orgel. Das gemeinsame Singen bleibt allerdings aus. Auch hier wird die Gefahr einer Verbreitung und Ansteckung mit dem Coronavirus befürchtet. Grotz appelliert an den Zusammenhalt. Es dürfe keine Einzelkämpfer geben.
Diszipliniert und mit genügend Abstand verlassen die Gläubigen den ersten Gottesdienst nach acht Wochen. Eine von ihnen ist Ivona Schmidt aus Tuttlingen. „Es hat sich wie ein Neuanfang angefühlt. Ich habe es als wunderbar empfunden. Es tat gut, geistige Nahrung zu bekommen und die gute Musik zu hören. Jetzt sind meine Akkus wieder aufgefüllt“, erzählt sie, während sie aus der Kirche läuft.
Die Situation in der evangelischen Stadtkirche ist ähnlich. Statt Sitzbänken stellte die Gemeinde Stühle im vorgeschriebenen Mindestabstand auf. Als Pfarrerin Nicole Weber von der evangelischen Kirchengemeinde an das Mikrofon tritt, sind bis auf die erste Reihe fast alle Stühle besetzt – mehr als 50 Personen sind gekommen. „Kleine Besetzung, großer Abstand“, bringt es Pfarrerin Philine Blum auf den Punkt. Gemeinsam mit Dekan Sebastian Berghaus gestalten sie den Gottesdienst am Sonntagmorgen. „Wir müssen in der Krise zusammenstehen, auch wenn wir nicht zusammenstehen können“, so Berghaus zur ungewöhnlichen Situation, während Gemeindemitarbeiter bereits die Türen öffnen. Denn: Nach rund 40 Minuten ist der erste Gottesdienst auch für die Evangelischen vorbei. Mit der empfohlenen Gesichtsmaske verlassen die Gläubigen voneinander getrennt und rücksichtsvoll die Stadtkirche.
„Der Gottesdienst war ein berührendes Gefühl für mich, auch wenn es etwas Schmerzhaftes hat“, gibt Pfarrerin Blum zu und meint damit, dass Abstand eingehalten werden und auf das gemeinsame Singen verzichtet werden muss. Auf den gemeinsamen Austausch im kleinen Kreis mit Abstand verzichten die Besucher nach dem Gottesdienst vor der Kirche in der Sonne nicht, darunter zeigen sich auch mehrere Konfirmanden, für die weiterhin unklar ist, wann sie ihre Konfirmation feiern dürfen.