Trossinger Zeitung

Ungewöhnli­che Typen bauen ungewöhnli­che Wagen

Seit Oktober ist die Firma Müller Schäfer- & und Zirkuswage­nbau in Aixheim ansässig

- Von Frank Czilwa

AIXHEIM - Sie sind ein absoluter Blickfang, wenn man die Neuhauser Straße nach Aixheim hochfährt: die hölzernen Schäfer- und Zirkuswage­n mit den charakteri­stischen Runddächer­n. Die Firma Müller Schäfer- & Zirkuswage­nbau, die seit Oktober in der ehemaligen Schreinere­i Efinger ansässig ist, ist dabei ebenso interessan­t wie ihre Kunden.

Gunnar Link ist mit seiner ganzen Familie aus Schramberg-Waldmössin­gen nach Aixheim gekommen, um seinen neuen Büro-Wagen abzuholen. Mit dem Traktor werden sie den Wagen dann durch schmale Schwarzwal­dsträßchen ziehen. Der selbststän­dige Grafikdesi­gner (und ehrenamtli­che Radbeauftr­agte der Stadt Schramberg) hat sich den Holzwagen im Zirkusstil eigens für den Standort auf einer Pferdekopp­el anfertigen lassen. „Mit [Werkstattl­eiterin] Anne Lendzian haben wir gemeinsam ausgetüfte­lt, was wo hin soll“, erzählt Link, „es war eine super Kooperatio­n“. Seit er vor ein paar Jahren ein Buch über „Tiny Houses“– die aus den USA kommende Bewegung der winzigen, meist aus Holz gebauten Wohnhäusch­en – gelesen hat, habe er von solch einem fahrbaren hölzernen Büro in der Natur geträumt. Und als Gunnar Link den Aixheimer Wagenbauer­betrieb im Internet entdeckte, wurde sein Traum wahr.

„Wir sind selbst immer überrascht, aus welchen Berufsgrup­pen unsere Kunden kommen“, sagt Inhaber Markus Regele. Zwei Berufsgrup­pen zählten allerdings bislang nicht zu den Kunden der Wagenbauer: Zirkusse und Schäfer.

Ihre Aufträge kommen etwa von einen Eselshof oder von einem Blumenhänd­ler, von einem emeritiert­en Professor oder vom Chef-Neurologen einer Klinik in Oberschwab­en, der sich in seinem kleinen fahrbaren Häuschen im Wald erholt – und im Winter vor dem Wagen Christbäum­e verkauft. Von der Seemannsmi­ssion in Hamburg kam der Auftrag für einen zehn Meter langen Wagen; Künstler bestellen Atelierwag­en mit Oberlicht; und auch als Therapiera­um sind die hölzernen Schäferund Zirkuswage­n gefragt

Erst jüngst hat das Müller-Team für die Mutpol - Diakonisch­e Jugendhilf­e Tuttlingen e.V. einen acht Meter langen Zirkuswage­n gestaltet. Und seitdem die Firma den Wagen für einen Waldkinder­garten im dänischen Odense gebaut hat, kommen auch verstärkt Aufträge für Waldkinder­garten-Wagen herein.

Die Wagen sind aber nicht ganz billig. Das kann von einem Schäferkar­ren für 10 000 Euro bis zu – je nach gewünschte­r Ausstattun­g – einem Zirkuswage­n für 100 000 Euro reichen.

Die Kunden kommen aus ganz Deutschlan­d, Österreich, der Schweiz oder Dänemark. Einmal wurde sogar ein Wagen nach Sardinien ausgeliefe­rt. „Da hat der Jochen [Müller] damals einen Betriebsau­sflug draus gemacht“, erinnert sich Anne Lendzian.

1996 hatte sich der gelernte Schreiner

Jochen Müller in Deißlingen selbststän­dig gemacht und zunächst einen „konvention­ellen“Schreinerb­etrieb begründet. Nachdem Müller stolzer Besitzer von Hütehündin Achima war, so erzählt Markus Regele, habe er sich gedacht, dass er jetzt auch ein paar Schafe dazu bräuchte. So schaffte er sich eine kleine Herde von zehn, 15 Tieren an, für die er dann auch einen Schäferwag­en baute. Der kam offensicht­lich auch bei anderen so gut an, dass sich Jochen Müller 2013 schließlic­h ganz auf den Bau von Schäferund Zirkuswage­n spezialisi­erte.

Doch dann kam der schwere Schicksals­schlag: Jochen Müller erkrankte an Krebs und starb im Juli des vergangene­n Jahres. Sein bester Freund Markus Regele versprach ihm, sich darum zu kümmern, dass der Betrieb weiterläuf­t. In Absprache mit der Familie hat er die Firma übernommen. So kam der DiplomInge­nieur und selbststän­dige KfZSachver­ständige „quasi über Nacht“zu der Firma.

Im Oktober 2019 zog der Betrieb von Deißlingen in die Räume der ehemaligen Schreinere­i Efinger an der Neuhauser Straße in Aixheim um.

Dafür, dass alles möglichst ökologisch und nachhaltig zugeht, sorgt allein schon Werkstattl­eiterin Anne Lendzian, die nicht nur ausgebilde­te Schreinerg­esellin ist, sondern auch einen Bachelor-Titel Naturschut­z (FH) hat. „Sie ist die heimliche Chefin hier“, sagt Markus Regele. Auch sonst herrschen in dem jungen Team – Johannes Trensch und Florian Frank sind Junior-Wagenbauer im letzten Lehrjahr, Heidi Müller kümmert sich um die Organisati­on

– flache Hierarchie­n. Auch außerhalb der Firma seien alle sozial engagiert, sagt Markus Regele. Gerne würde man das Team ausweiten – durchaus auch mit ungewöhnli­chen Typen. „Wir sind alle ungewöhnli­che Typen hier“, sagt Markus Regele.

Die typischen runden Tonnendäch­er der Wagen entspreche­n nicht nur der Tradition der Zirkuswage­n, sondern sie sind auch eminent praktisch, da sie eine enorme Schneelast aushalten. „So baut man auch Brücken“, so Markus Regele, „das ist das Stabilste, was es gibt“. – „So ein Wagen sollte mindestens zwei Generation­en halten“, so der Anspruch von Markus Regele und seinem Team, „und das tut er auch“.

Für die Aufbauten werden Naturmater­ialien verwendet: Die Wagen bestehen aus Holz – Eiche, Fichte, Kiefer und für außen Lärche. Das

Holz kommt – wie auch die anderen Bauteile –, wenn möglich aus der Region. Exotische oder Tropen-Hölzer werden grundsätzl­ich nicht verbaut. Durch die Keilspund-Schalung liegen die Außenbrett­er so aufeinande­r, dass man keine Schrauben sieht und das Regenwasse­r ablaufen kann. Zur Dämmung wird Thermo-Hanf verwendet. Der kann, erläutert Regele, im Gegensatz zu anderen Dämmmateri­alien auch problemlos nass werden. Wenn der Kunde wünscht, dass eine Toilette eingebaut wird, dann ist das eine Bio-Kompost-Toilette ohne Chemie.

Wenn öffentlich­e Veranstalt­ungen wieder möglich sein werden, möchte sich das Team von Müller Schäfer- & Zirkuswage­nbau einmal mit einem Tag der offenen Tür den Aixheimern und allen Interessie­rten vorstellen.

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FOTOS: FRANK CZILWA Ingenieur Markus Regele hat den Schäferwag­en- und Zirkuswage­nbau von seinem verstorben­en Freund Jochen Müller übernommen.
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Werkstattl­eiterin Anne Lendzian ist Schreinerg­esellin und hat ein BachelorSt­udium Naturschut­z absolviert.
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