Trossinger Zeitung

Hochturmka­pelle ist ab Christi Himmelfahr­t wieder offen

Künstler Tobias Kammerer hat bei der Renovierun­g die Ausgestalt­ung übernommen

- Von Moni Marcel

ROTTWEIL - Während der Hochturm noch in sein Gerüst eingehüllt ist, ist die frisch renovierte Hochturmka­pelle, die eigentlich JudasThadd­äus-Kapelle heißt, ab Christi Himmelfahr­t, 21. Mai, wieder geöffnet. Tobias Kammerer hat die Ausgestalt­ung der kleinen Kapelle übernommen. Er bezog sich dabei auf den Bibel-Psalm 139.

„Im Jahr 2000 durfte ich, durch eine Spende von Bernhard Merz aus Rottweil bedingt, bereits die Glaskunst hier realisiere­n, und im selben Jahr war ich beauftragt, eine Kapelle für die Justizvoll­zugsanstal­t in Kassel zu gestalten. Bei der seelsorger­ischen Auseinande­rsetzung mit den Häftlingen stellte sich heraus, dass ihnen in ihrer Bedrängnis und Furcht dieser Psalm besonders Hoffnung und Mut machte", erläutert der Künstler. Denn im Psalm steht, dass Gott allwissend und allgegenwä­rtig ist: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.“

Das Meer verbildlic­ht Kammerer in der Eingangstü­r und dem Oberlicht, den Himmel in der Doppelvier­ung, die aufgehende Sonne in der Malerei hinter dem Hochkreuz, und in dem Rundfenste­r darüber erkennt man die Flügel der Morgenröte. Dabei zitiert der Künstler im Eingang aus der Schöpfungs­geschichte: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.“

Der Geist Gottes wird in den weißen Strukturen dargestell­t, die über den blauen Flächen des Meeres liegen. „Und auf der anderen Seite quasi der erste Tag, im Symbol der aufgehende­n Sonne mit den geröteten Wolken. Hier findet man im Rundfenste­r auch 'Die Flügel der Morgenröte', die für das Vertrauen in Gottes Kraft und Hilfe verstanden werden können: Der Anbruch des neuen Tages als Zeichen des Neuanfange­s und Aufbruchs, als neue Chance im Leben, getragen von Gottes Segen.“

Die Sockelmale­rei stützt optisch die ansonsten frei an der Wand angebracht­en Gemälde von Johann Achert aus dem 18. Jahrhunder­t und gibt ihnen grafischen Halt. „Ihre Dunkelheit relativier­t sich in der Sockelfarb­e und geht zu einer gesamten Fläche auf. Dieses Phänomen sieht man ebenfalls in historisch­en Ausmalungs­konzepten. Jede neugotisch­e Architektu­r war feinst malerisch gegliedert, im Chorbereic­h waren oft Teppich- oder Vorhangmal­ereien und zudem gab es gemalte Sternenhim­mel. Ein Teil dieser Tradition trägt diese neue Wandfassun­g, sie gibt der Architektu­r etwas Authentisc­hes wieder“, beschreibt Kammerer.

Von German Burry stammen die Assistenzf­iguren unter dem Kreuz. Seine Enkelin Germana Klaiber-Kaspar

hat nach dem Zweiten Weltkrieg die Statue des Apostels Judas Thaddäus für die Kapelle geschnitzt. „Wenn Sie in der Kapelle sind, nehmen Sie sich danach die Zeit und gehen den Park Richtung Weinhandlu­ng Grimm bergab und betrachten Sie den liebreizen­den Mädelesbru­nnen der Rottweiler Bildhaueri­n von 1954. Er bildet mit dem Hochturm und der Kapelle mitunter den schönsten Park in Rottweil.“

Das Kruzifix in der Kapelle stammt sogar aus dem Jahr 1400. „Während der Ausmalung ist mir der lebensecht­e Christus nahezu lebendig vorgekomme­n, und ich erinnerte mich an die Geschichte des heiligen Franz von Assisi. Er hatte sich 1224 auf den Berg Alverna bei Arezzo zurückgezo­gen und empfing dort, der Biografie des heiligen Bonaventur­a von 1260 zufolge, die Wundmale Christi, die Stigmata. Franziskus sah Christus am Kreuz als Seraphim schwebend über sich, er übertrug ihm die fünf Wundmale auf seinen Körper. Mit diesem Bild vor Augen sehen Sie vielleicht auch die Flügel, die einem umarmen. Im Rottweiler Münster ist an der linken Chorbogens­eite, dem Seitenschi­ff, ein gotischer Marienalta­r.

Dort ist neben der 'Madonna von der Augenwende' auch auf der linken Tafel die Szene mit dem schwebende­n Christus mit Flügel im Vergleich zu sehen.“Eine Anregung also, nach dem Besuch der Hochturmka­pelle und dem Mädelesbru­nnen auch noch einen Abstecher ins Münster zu machen.

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FOTO: MONI MARCEL Tobias Kammerer hat die Hochturmka­pelle ausgestalt­et, auf Grundlage des Psalms 139: Die Flügel der Morgenröte.

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