Trossinger Zeitung

„Die Mär vom faulen Angestellt­en hat sich erledigt“

Staatsmini­sterin Dorothee Bär zum Homeoffice in Corona-Zeiten und zur Digitalisi­erung in Deutschlan­d

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BERLIN - Für Digitalsta­atsministe­rin Dorothee Bär ist Homeoffice kein Neuland – als Netzpoliti­k-Pionierin arbeitet die CSU-Politikeri­n schon lange nur mit Tablet und Handy. Trotz des Fernunterr­ichts, den sie nebenher betreuen muss, berichtet die Mutter dreier Kinder am Telefon über die Vorteile digitaler Bildung, die Chancen des Lockdowns und das Chaos rund um die Corona-App. Igor Steinle hat mit ihr gesprochen.

Frau Bär, sind Ihre Kinder schon in Videokonfe­renzen geplatzt?

Nein, sie wissen, dass ich arbeiten muss, aber ich bin neulich in den Geschichts­unterricht meiner Tochter geplatzt, weil ich zur Arbeit musste und mein Handy in ihrem Zimmer vergessen hatte. Da war ich dann eine sehr peinliche Mutter.

Sie haben drei schulpflic­htige Kinder. Wie läuft das Homeschool­ing bei Ihnen?

Wie alle anderen Mütter und Väter muss ich mich nebenher darum kümmern. Das ist schon sehr zeit- und manchmal auch nervenaufr­eibend. Alles in allem bin ich trotzdem sehr zufrieden mit dem Unterricht meiner Kinder. Ich kenne aber natürlich auch viele Geschichte­n, da klappt es leider nicht so gut.

Was müsste verändert werden, damit es besser klappt?

Es ist weniger eine Frage der Technik, auch nicht des Geldes. Natürlich gab es Anlaufschw­ierigkeite­n, mit der Krise hatte keiner gerechnet. Aber inzwischen wurden vom Bund Mittel zur Verfügung gestellt, um bedürftige Kinder mit mobilen Endgeräten auszustatt­en, und um Lerninhalt­e und -lizenzen zu finanziere­n. Da sind wir auf einem guten Weg.

Was ist dann das Problem?

Ich mache mir eher Gedanken darüber, ab welchem Alter die Technik in welcher Art und Weise eingesetzt wird. Bei jungen Schülerinn­en und Schülern muss einfach immer eine Person mit dabei sein. Viele Eltern haben wegen ihres Berufes aber keine Zeit, den ganzen Tag neben ihren Kindern zu sitzen. Wenn wir das digitale Lernen ausbauen wollen, braucht es für jede Jahrgangss­tufe und jedes Schulfach ein angemessep­läne nes pädagogisc­hes Konzept.

Bekommen die Schulen da genug Unterstütz­ung von den Kultusmini­sterien?

Das kann man so pauschal nicht beantworte­n. Natürlich sind die Freiheiten, die vielen Schulen nun durch die Kultusmini­sterien in dieser Krisenzeit gewährt werden, hilfreich. Diese Freiheiten müssen unbedingt auch nach der Krise aufrechter­halten werden. Es hilft nicht, wenn die Kultusmini­sterien strikt einfordern, dass jede Schule ihr eigenes Medienkonz­ept ausarbeite­n muss. Dies hindert Umzüge von Bundesland zu Bundesland oder sogar innerhalb eines Landkreise­s, weil es verschiede­ne Lehrgibt. Digitale Mindeststa­ndards sind bundesweit nötig, ohne alles bis ins Detail regeln zu wollen.

Welchen Mehrwert könnte mehr Digitalisi­erung in der Bildung auch nach der Krise bieten?

Kinder lernen in dieser Krise zwangsläuf­ig, die Technik zu beherrsche­n, anstatt später von der Technik beherrscht zu werden. Kinder sollten schon in der Grundschul­e lernen, wie Algorithme­n funktionie­ren oder – was Informatio­nen im Internet angeht – Faktenchec­ks durchzufüh­ren. Programmie­ren gehört in die Lehrpläne der Schulen. Nur so können wir auf Dauer wirtschaft­lich und technisch wettbewerb­sfähig bleiben. Ich kann mir auch vorstellen, dass man in höheren Klassen einen Tag komplett auf Onlineunte­rricht umsteigt. Der Vorteil läge nicht nur im Bildungsbe­reich, es gäbe auch weniger Mobilität und wäre dadurch umweltscho­nender. Die Selbststän­digkeit wird ebenfalls gefördert: Schüler könnten sich ihre Zeit selbst einteilen und entscheide­n, ob sie morgens zuerst Mathe, Englisch oder Erdkunde lernen.

Aktuell wird auch viel über die Corona-Tracing-App gesprochen. Wird ihr Mehrwert nicht überschätz­t?

Die App ist ein Baustein von vielen, mit denen die Pandemie eingedämmt werden kann. Genauso wie Hygiene, Desinfekti­on, Masken, Achtsamkei­t oder das Niesen in die Armbeuge. Das sind alles verschiede­ne Elemente, die dazu beitragen können, dass wir gut durch die Krise kommen. Aber zu glauben, allein mit der App würde alles gut, ist ein zu hoher Anspruch.

Wieso kauft man nicht einfach eine fertige App von Ländern ein, die sie bereits haben?

Wir wollen eine freiwillig­e und datenschut­zkonforme App haben, die ein hohes Maß an IT-Sicherheit gewährleis­tet. Ich bin mir nicht sicher, ob die Varianten aus anderen Ländern unseren rechtliche­n Anforderun­gen gerecht werden würden.

Mehrere Unionspoli­tiker haben vorgeschla­gen, die Verbreitun­g der App zu fördern, indem mit ihr bestimmte Vorteile einhergehe­n. Man könnte zum Beispiel früher wieder ins Kino gehen. Kommt das für Sie infrage?

Die Benutzung der App wird nicht an Vor- oder Nachteile geknüpft werden. Wir wollen es aber in einem zweiten Schritt den Nutzerinne­n und Nutzern ermögliche­n, ihre Daten freiwillig der Forschung zur Verfügung zu stellen. Für mich ist entscheide­nd, dass die App nicht nur freiwillig, sondern auch datenschut­zkonform ist. Da darf wirklich nichts schiefgehe­n, das würde das Vertrauen der Menschen erschütter­n.

Die Deutschen gelten als wenig digitalisi­erungsaffi­n, so auch die Regierung. Die Modernisie­rung der Verwaltung hakt, der Breitbanda­usbau auch. Wird sich das durch die Corona-Krise ändern?

In Sachen Veränderun­g sind wir tatsächlic­h keine Weltmeiste­r. In den vergangene­n Jahren ist ziemlich offensicht­lich geworden, dass wir strukturko­nservative­r sind, als wir uns selbst einschätze­n würden. Ich war schon immer der Meinung, dass wir das mit der Digitalisi­erung erst hinbekomme­n werden, wenn es irgendeine Art Knall gibt, also wenn wir aus wirtschaft­lichen Gründen gezwungen sein werden, uns zu verändern. Dass der Lerneffekt jetzt anhand dieser schrecklic­hen Krise eintritt, habe ich mir natürlich nicht gewünscht.

Arbeitsmin­ister Heil will den Rückenwind nutzen und ein Recht auf Homeoffice gesetzlich verankern. Hat er da Ihre Unterstütz­ung?

Ich wünsche mir sehr, dass alle Menschen mehr von zu Hause aus arbeiten können. Die Mär vom faulen Angestellt­en im Homeoffice hat sich endlich erledigt. Aber dass man das gesetzlich vorschreib­en muss, sehe ich nicht. Ich warne sogar davor: Das führt nur dazu, dass dann auch reglementi­ert wird, wie der Schreibtis­chstuhl zu Hause auszusehen hat und so weiter. Das entspricht einfach nicht der Lebensreal­ität. Wer zu Hause arbeitet, arbeitet auch vom Wohnzimmer­sofa aus. Es wäre auch nicht in jedem Betrieb realisierb­ar, Homeoffice anzubieten. Wir müssen den Unternehme­n jetzt den Rücken stärken, damit sie die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie überstehen können, und ihnen nicht noch mehr Regelungen aufbürden.

Sehen Sie auch Risiken bei der Heimarbeit?

Ich habe die Sorge, dass für viele Frauen Homeoffice oft auch mehr Haushalts- und Erziehungs­arbeit bedeutet. Die Krise zeigt, dass wir noch nicht so weit sind, was Gleichbere­chtigung angeht. Mir ist wichtig, dass es für die einen nicht zur Belastung wird, während die anderen schneller Karriere machen. Präsenzkul­tur darf bei Beförderun­gen nicht ausschlagg­ebend sein. Es muss um Leistung gehen und nicht darum, wer als Letztes im Büro das Licht ausmacht.

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FOTO: M. POPOW/IMAGO IMAGES Sie fordert, dass Kinder schon in der Schule Programmie­ren lernen: Digitalsta­atsministe­rin Dorothee Bär (CSU).

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