Nicht würdevoll
Keine glaubwürdige Politik
Zu „Corona-Hotspot Schlachthof“(19.5.): Die untragbare Arbeitssituation auf den Schlachthöfen wird seit vielen Jahren angeprangert und vom Staat und den Behörden mehr oder weniger geduldet. Denn sie ist Teil des Systems der Agrarindustrie, die mit massiver politischer Unterstützung etabliert und immer weiter ausgebaut wurde. Kanzlerin Merkels Erschütterung kann also nur geheuchelt sein. Ab und zu kommt das Thema an die Öffentlichkeit, wenn Razzien und Ermittlungen illegale Arbeiter entlarven. Aber die Ursache bleibt unangetastet: Die Beauftragung ausländischer Sub-Unternehmen, die sich teils in Sub-SubUnternehmen aufspalten und Billigarbeiter heranschaffen, die den Raubbau an ihnen oft nur wenige Monate mitmachen, bevor sie ausgetauscht werden. Es ist nicht glaubwürdig, dass die Politik die „Wurzel des Übels“anpacken wird, wie Minister
Heil es wünscht. Denn das System, Fleischpreise auf Weltmarktniveau zu drücken, um Deutschland zu einem der größten Fleischexporteure zu machen, ist umfassend und in jeder Hinsicht ruinös. Die industrielle Massentierhaltung ist untrennbarer Teil davon! Hunderttausende Bauernhöfe mussten deswegen schon aufgeben, die Luft wird durch lungenschädigenden Feinstaub (resultierend aus Ammoniak) belastet, Grund- und Oberflächenwasser werden mit Nitrat vergiftet, der Klimawandel wird maßgeblich durch Massentierhaltung angeheizt und die Tiere entsetzlich gequält. Die Umstellung muss also ein gründlicher Systemwechsel sein, hin zu regionaler Schlachtung und Vermarktung, mit artgerechter Weidehaltung gesunder Tiere, die nicht krank durch Überzüchtung sind und die mit heimischem Futter ernährt werden. Nur so lässt sich das Problem lösen. Karin Ulich, Sigmarszell
Einsatz der Kirche fehlt
Zum Interview „Wir wollen doch Typen“mit Elmar Braun (13.5.): Nachdem sich so viele Menschen über die von Boris Palmer geäußerte Formulierung aufgeregt haben, war es sehr erfreulich, zu erfahren, dass es auch Leute gibt, die Palmers Äußerung im ganzen Zusammenhang gelesen haben und die nicht einfach unüberlegt ins gleiche Horn blasen. Gut, dass einzelne Menschen überlegen, differenzieren, sich aus unterschiedlichen Quellen informieren und versuchen, Maßnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Solche Worte würde ich mir auch von unseren Amtskirchen wünschen, die in der Corona-Krise sehr still und zurückhaltend auftreten und alles übernehmen, was Regierung und Virologen verlangen. Vor so viel stummem Gehorsam graut mir ein wenig. Wo sind Widerstand, eigene Wünsche und vor allem der Einsatz für christliche Werte, die weit über den Gesundheitsschutz hinausgehen?
Diana Baumeister,
Westerheim
Es wird noch spannend
Zu „Streit wegen EZB-Urteil“(12.5.): Wenn der EuGH die Richtlinien der EZB für den Ankauf von Staatsanleihen als richtig bestätigt, dann hat das Europäische Parlament, das für die Kontrolle der EZB zuständig ist, die negativen Auswirkungen, von denen fast alle Deutschen betroffen sind, nicht berücksichtigt oder unbemerkt bestätigt. Das gilt auch für die Bundesregierung. Nach Ankündigung der Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, wird die EZB weiterhin unbeirrt alles tun, was in ihren Kompetenzbereich fällt, weil die Kontrolle ausschließlich dem Europäischen Parlament obliegt. Es wurde angekündigt, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einzuleiten. Das kann noch spannend werden. Hans Graf, Bingen
Zu „Grüne wollen Boris Palmer loswerden“(11.5.):
Oberbürgermeister Boris Palmer hat vielleicht seine Wortwahl unglücklich getroffen – aber er hat in seiner Entschuldigung erkennen lassen, wie seine Haltung zur Menschenwürde ist. Zu fordern, ihn jetzt aus der Partei auszuschließen, halte ich für eine „Kriegserklärung“und würde mich zweifeln lassen, ob für mich da die Grundwerte der Grünen-Partei noch stimmen. Annalena Baerbock und Parteimitglieder täten gut daran, Friedensgespräche anzustreben, statt Energie in die Spaltung zu setzen.
Wir können die Zeit, in der wir gerade leben, nicht ändern. Wir können auch die wirtschaftlichen Zwänge nicht wegschieben. Aber wir sollten uns für ein faires Miteinander starkmachen. Das tragende humanitäre Sozialgefüge ist nicht erst mit dem Coronavirus erkrankt. Viele Symptome dieser fortschreitenden Krankheit sind seit Langem den Verantwortlichen und der Politik bekannt. Würdevoll ist es nicht, Menschen in Zeiten von Corona in den Heimen und Spitälern zu isolieren, keine Sozialkontakte zu Angehörigen zu ermöglichen, sodass sie einsam und allein sterben. Als Krankenschwester werden mir solche Nöte von Angehörigen mitgeteilt. Wie kann unsere Gesellschaft trotz der massiven Einschränkungen zu einer Atmosphäre finden, die dem Wohle der kranken, alten und geschwächten Menschen dient? Cicely Saunders formulierte es so: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben!“
Doris Bretzel, Tettnang
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