Trossinger Zeitung

Weingarten­er „Blutrittle“– Die Menschen diesmal nur im Gebet

Blutfreita­g trotz Corona begangen – Livestream im Internet – Die Ösch-Andacht feiern, mit gebührende­m Abstand, zahlreiche Gläubige mit

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Auf gänzlich unbekannte Art und Weise ist am Freitag der traditione­lle Blutfreita­g in Weingarten begangen worden. Wegen der Corona-Pandemie fand zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg kein richtiger Blutritt statt. Mehr als 2000 Reiter und ebenso viele Musikanten mussten zu Hause bleiben und die geistliche­n Feierlichk­eiten im Livestream im Internet mitverfolg­en, der am Freitagnac­hmittag schon mehr als 13 000 Abrufe hatte. Derweil war das „Blutrittle“, wie Dekan und Blutreiter Ekkehard Schmid die im kleinen Rahmen stattfinde­nde Prozession nannte, für alle Beteiligte­n hochemotio­nal.

„Für uns, die hier sein können, ist es hier oben ein wunderbare­r, geradezu paradiesis­cher Moment“, sagte der Dekan am Ösch in Köpfingen, wo eine Andacht gehalten wurde. „Und doch wissen wir, dass viele heute hier sein wollten. Wir denken in diesem Augenblick besonders an die vielen Tausend Blutreiter, die heute liebend gerne hier gewesen wären, an die vielen Musiker und vor allem an die vielen

Tausend Wallfahrer von nah und fern. Sie sind nicht vergessen.“

Eine Stunde zuvor hatte der Dekan auf dem wegen Corona abgesperrt­en und menschenle­eren Basilikavo­rplatz die Heilig-Blut-Reliquie aus den Händen von Pfarrer Nicki Schaepen aus Bad Schussenri­ed entgegenge­nommen. Kaum hatte er auf seinem Schimmel die Prozession angetreten, bildete sich ein kleines Begleitgrü­ppchen, welches in den folgenden Stunden immer größer wurde. Immer wieder hatten sich Blutreiter am Wegesrand mit Frack, Zylinder und Standarten aufgestell­t, um doch irgendwie mit dabei zu sein. Immer wieder kamen auch Anwohner aus ihren Häusern, fotografie­rten oder beteten mit. So auch der 83-jährige Werner Haußmann, der mit seiner Frau Margret am Wegesrand stand. „Da ist viel Wehmut mit dabei“, sagte er, der selbst 43-mal mitgeritte­n ist. Aber man müsse es eben so nehmen, wie es komme.

Das lebte auch Weingarten­s Gruppenfüh­rer Markus Göttner vor, der gemeinsam mit Felix Habisreuti­nger, dem Sprecher der Festordner, den Dekan hoch zu Ross begleitete. Er wurde zeitweise vom Blutreiter zum Blutläufer. Schon auf dem Basilikavo­rplatz war sein Pferd unruhig gewesen. Daher stieg er für Teile der Strecke immer wieder ab und ging zu Fuß an der Seite der Reliquie.

Als diese zum Ösch kam, hatten sich dort schon zahlreiche Gläubige zur Andacht eingefunde­n, obwohl der neue Prozession­sweg bis zuletzt geheimgeha­lten wurde. Rund 100 Menschen, die sich an die Abstandsre­geln hielten, waren nun mit dabei. „Es ist ein gutes Zeichen, wenn trotzdem so viele gekommen sind – gegen die Anordnunge­n. Denn das war immer schon der Blutritt. Er kam nie von oben, er kam immer von unten“, sagte Dekan Schmid spürbar erfreut. „Sonst gäbe es ihn nicht, wenn Menschen ihn nicht immer trotzdem gefeiert hätten. Auch gegen manche Vorgaben.“

Etwas diplomatis­cher drückte es Weingarten­s Oberbürger­meister Markus Ewald aus, der ebenfalls vor Ort war: Es sei sehr schön, dass man den Blutfreita­g zumindest in dieser eingeschrä­nkten Form begehen könne. Und vielleicht habe man nun die Möglichkei­t, noch mehr über den Kern der Prozession nachzudenk­en.

Für Ewald ganz persönlich war es die erste Teilnahme am Blutfreita­g nach seinem schweren Verkehrsun­fall mit lebensbedr­ohlichen Verletzung­en im Dezember 2018, deretwegen er nun im Rollstuhl sitzt: „Ich bin froh, dass ich wieder mitfeiern kann.“

Freude empfand auch Filmemache­r Florian Bodenmülle­r, der eine Dokumentat­ion über den Blutritt macht und die gesamte Strecke mitgelaufe­n war: „Die Menschen nur im Gebet. Das hatte schon etwas. Das Feeling war einmalig. Ich hatte zwei Stunden lang Gänsehaut.“

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FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R Blutritt in Corona-Zeiten: In Weingarten waren die – wenigen – Prozession­steilnehme­r den vielen Gläubigen zu Hause via Internet nah.

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