Donauwehr: Entscheidung zieht sich hin
Gerichtliche Anhörung im Herbst – Stadt und Bürgerinitiative beharren auf Positionen
TUTTLINGEN - Drei Jahre ist es her, dass sich eine beeindruckende Menschenmenge am Donauufer beim Rathaussteg versammelte. Die Initiative „Erhaltenswehrt“gründete sich an diesem Abend im Mai 2017. Ihr Ziel: Die Donau soll in Tuttlingen weiter voll aufgestaut werden.
Aktuell scheint dieses Ziel weiter entfernt denn je: Kiesbett statt Fontäne, Sandinseln statt Wasser. Das liegt zum einen am mangelnden Regen. Zum anderen daran, dass sich der Einbau der reparierten Wehrklappen coronabedingt verzögert hat. Das hat den Effekt, dass nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen das Flussbett erobern. Kinder planschen und sammeln Steine, Erwachsene wagen einen Spaziergang. Unterhalb des Wehrs war das schon lange der Fall, nun ist die Donau auch oberhalb des Wehrs Erlebnisraum. Ein wenig macht es da den Eindruck, als wäre die Option „kein Aufstau“doch nicht so unvorstellbar, wie sie noch bei der Versammlung vor drei Jahren wirkte.
Eine kurze Rekapitulation: Das Fragezeichen hinter das Tuttlinger Wehr hat die Europäische Wasserrahmenrichtlinie gesetzt. Sie fordert unter anderem, dass alle Flüsse von der Quelle bis zur Mündung für Fische und andere Lebewesen durchgängig sein sollen. Wehre stören dabei und sollen möglichst abgebaut werden. Weil die Wasserqualität und Durchlässigkeit durch das Wehrmanagement in Tuttlingen (kein Aufstau von Oktober bis März) schon verbessert worden war, genehmigte das Landratsamt 2018 dennoch den Aufstau für die nächsten 25 Jahre – allerdings einen Meter tiefer als sonst. Heißt: Bis 2021 wird die Donau pro Jahr 25 Zentimeter weniger aufgestaut, dann ist die genehmigte Höhe von 1,50 Meter erreicht.
Die Stadt Tuttlingen hat nach einem Beschluss des Gemeinderats im November 2018 Klage gegen diese Anordnung eingereicht, das Verfahren ist laut Stadtverwaltung noch beim Verwaltungsgericht Freiburg anhängig. Die Anhörung soll voraussichtlich diesen Herbst stattfinden.
„Der Termin wurde etwas nach hinten verlegt, zum einen coronabedingt, zum anderen weil wir gerade noch an einem ergänzenden Gutachten arbeiten“, teilt Stadtsprecher Arno Specht auf Nachfrage mit.
Ziel dieses Rechtsstreits ist es nach wie vor, den Vollaufstau durchzusetzen. Wann die Entscheidung fällt, ist noch nicht absehbar. Die Chancen stehen nicht zum besten. Ein Eilantrag der Stadt auf vorübergehenden Vollaufstau bis zum Ende des Hauptverfahrens wurde abgelehnt, ebenso die darauf folgende Beschwerde.
Zeit, über Alternativen nachzudenken? „Generell muss man immer überlegen, wie es weitergeht – auch im Falle, dass wir nicht recht bekommen“, sagt Specht. Allerdings: „Auf Verdacht kostspielige baureife Pläne erarbeiten zu lassen, ist derzeit noch nicht sinnvoll.“
Schon 2009 gab es erste Ideen, wie die Donau ohne Aufstau gestaltet werden könnte. Das Planungsbüro
Senner stellte im Gemeinderat Ideen vor, die das Gremium aber nicht weiter verfolgen wollte. Schade, findet Heidi Mattheß, stellvertretende Vorsitzende des Bund Naturschutz Tuttlingen und seit einem Jahr LBU-Stadträtin. Die Informationspolitik der Stadtverwaltung in der Diskussion um das Wehr war ihr zu einseitig und nahezu manipulativ: „Es wurde nie visualisiert, wie es aussehen könnte, wenn die Donau abgestaut würde.“
Selbst ist sie unentschlossen, ob der Meter-Abstau oder ein gänzlicher Abstau sinnvoller wäre. Wichtig sei eine offene Diskussion, auch von Seiten der Bürgerinitiative: „Wir müssen weg von den Horrorszenarien. Wenn man die Bilder von kahlen Ufern sieht, unterschreibt jeder“, meint Mattheß.
Von Kompromissen will man bei „Erhaltenswehrt“dagegen nichts hören. Im April habe die fast ausgetrocknete Donau tatsächlich unschön ausgesehen, sagt Thomas Kienzle, Sprecher der Bürgerinitiative. „Das Ziel ist der Vollaufstau“– wenn es denn bei der anhaltenden Trockenheit etwas aufzustauen gibt. Einen Sinneswandel hat er in seinem Umfeld nicht wahrgenommen, die Meinungen seien weitgehend gleichgeblieben. Deshalb werde man dranbleiben. Sobald es die Corona-Regeln erlauben, will „Erhaltenswehrt“etwa den Bürgerinfostand auf dem Wochenmarkt reaktivieren.
Dennoch, das räumt auch Kienzle ein, ist nach drei Jahren Diskussion und einem schwebenden Rechtsverfahren eine gewisse Ermüdung spürbar. „Wenn etwas lange geht, muss einer einen Haken dran machen oder es wird immer weiter geklagt“, meint er. Ob die Stadt in weitere Instanzen gehen wird? „Fraglich.“
Letztlich dürfte es auch eine Kostenfrage sein. Bisher hat die Stadt Tuttlingen nach eigenen Angaben 30 000 Euro für das juristische Verfahren mit Ziel Vollaufstau ausgegeben. Klar ist: Der Meterabstau wäre deutlich teurer, die Stadt rechnet mit mehreren Millionen Euro. Eine ähnliche Summe dürfte anfallen, wenn die Donau ganz abgestaut würde. Allerdings hat das Landesumweltministerium bei letzterer Option den Zugriff auf Fördertöpfe signalisiert.
Kommende Woche soll die zweite reparierte Wehrklappe eingebaut werden. Bis Ende Juni rechnet die Stadt damit, dass aufgestaut werden kann. Bis dahin darf im Flussbett gespielt und gewandert werden – mit der gebotenen Vorsicht.