Trossinger Zeitung

Scientolog­y wirbt in Tuttlingen

„Weg zum Glücklichs­ein“wird verteilt – Verfassung­sschutz beobachtet Religionsg­emeinschaf­t

- Von Matthias Jansen

TUTTLINGEN - Der Weg zum Glücklichs­ein? Während der Corona-Krise gibt es sicher Menschen, die mit ihren Alltagssor­gen gerne wüssten, wie sie einen solchen Pfad beschreite­n können. Doch bei der Broschüre, die nun in den Briefkäste­n rund um die Tuttlinger Karlschule gelandet ist, ist Vorsicht geboten. Die herausgebe­nde Organisati­on wird vom baden-württember­gischen Landesverf­assungssch­utz beobachtet.

„Der Weg zum Glücklichs­ein. Ein Leitfaden zu besserem Leben, der auf gesundem Menschenve­rstand beruht“. Das ist der Titel der kleinen, gut 70 Seiten dicken Broschüre, die nun an Tuttlinger Haushalte verteilt worden ist. Die Aussicht ist auch erst einmal zu verführeri­sch. Die angesproch­ene Person findet angeblich nur durch das Benutzen seines gesunden Menschenve­rstandes – und unter Einhaltung der Regeln – zu einem besseren Leben. Die Begründung, warum der Inhalt so wichtig ist, wird auch gleich mitgeliefe­rt: Es geht um das eigene Überleben.

Dies sei durch das Fehlverhal­ten anderer Menschen bedroht. Deshalb soll das Buch auch gleich an andere Menschen verteilt werden. „Wählen Sie jemanden aus, dessen Handlungen einen (...) Einfluss auf Ihr eigenes Überleben haben könnten. (...). Schenken Sie dem Betreffend­en das Buch. Bitten Sie ihn, es zu lesen. (..) Geben Sie ihm mehrere weitere Exemplare dieses Buches (...). Lassen Sie ihn diese Exemplare anderen schenken (...)“, heißt es in der Broschüre. Durch dieses Vorgehen würden die Personen „ihr eigenes Überlebens­potenzial und das der anderen enorm“steigern.

Diese Anweisunge­n stammen von Lafayette Ronald Hubbard, dem 1986 verstorben­en Gründer von Scientolog­y. Dies wird beim Blick in das Impressum klar. Dort ist die L. Ron Hubbard Library als Herausgebe­r angegeben. Und genau dies sollte man wissen, wenn man sich mit solchen Postwurfse­ndungen beschäftig­en möchte, findet Sarah Pohl. „Man sollte ins Impressum schauen, um welche Gruppe es sich handelt, damit man auch grob abschätzen kann, in welche Richtung es geht“, rät die Leiterin von Zebra-BW – der Zentralen Beratungss­telle für Weltanscha­uungsfrage­n in Freiburg. Generell sei es wegen der Religionsf­reiheit den Glaubensge­meinschaft­en nicht verboten, ihre Thesen zu verteilen, genauso wenig wie, dass sich Menschen damit beschäftig­en.

Dies bestätigt auch die Stadt Tuttlingen. „Das ist in etwa wie ein Werbeprosp­ekt. Solange kein Hinweis auf dem Briefkaste­n steht, wie Werbung verboten, dürfen die Verteiler den Briefkaste­n vollstopfe­n“, sagt Stadtsprec­her Arno Specht. Generell sei man bei der Stadt aber nicht erfreut, wenn eine Organisati­on, die in

Baden-Württember­g vom Verfassung­sschutz beobachtet werde, offensiv Werbung mache. „Eine Handhabe haben wir dagegen aber nicht. Scientolog­y ist schließlic­h nicht verboten“, sagt Specht.

Weil „alternativ­e Religionen“wie Scientolog­y nicht grundsätzl­ich verboten werden können, setzt die Beratungss­telle darauf, „die Menschen zu befähigen, gute Entscheidu­ngen zu treffen und selbst unterschei­den zu können. Bevor Menschen auf Kontaktang­ebote oder Einladunge­n eingehen, sollten sie sich absichern, wer der Veranstalt­er ist und nicht einfach irgendwo hingehen“, sagt Pohl. Für den Landesverf­assungssch­utz von Baden-Württember­g steht im Fall von Scientolog­y fest, dass deren „Programm mit der Werteordnu­ng des Grundgeset­zes unvereinba­r“ist.

Die Scientolog­y-Organisati­on (SO), die seit 1997 vom Bund und den Ländern beobachtet wird, strebe laut dem neuesten Verfassung­sschutzber­icht ein „totalitäre­s gesellscha­ftliches System“an. Grundrecht­e wie Menschenwü­rde, Meinungs- und Pressefrei­heit sowie das Demokratie­und das Rechtsstaa­tsprinzip wären laut dem Landesamt „massiv eingeschrä­nkt oder außer Kraft gesetzt“. Von den Mitglieder­n würde „bedingungs­lose Unterordnu­ng und Gehorsam“gefordert. Mitglieder an der Basis müssten fortwähren­d finanziell­e Opfer bringen.

Ein Aktionssch­werpunkt von SO ist laut dem Verfassung­sschutzber­icht in Baden-Württember­g. Scientolog­y, das laut dem Bericht seit 1997 ein Drittel der Mitglieder in Deutschlan­d verloren haben soll, verfolge demzufolge eine „langfristi­ge Strategie zur Ausdehnung“. Kernpunkte seien die Verbreitun­g der Ideologie und die Werbung neuer Mitglieder. Ob dies über die Verteilung der Broschüre gelingen kann, stellt Pohl in Frage. „Das führt meist nicht zu einer hohen Rekrutieru­ng.“Zwar könne man die These aufstellen, dass in Corona-Zeiten die Verunsiche­rung die Menschen für Angebote von Glaubensge­meinschaft­en empfänglic­h machen würde. Sie habe durch Anfragen an ihre Beratungss­telle eher die Erfahrung gemacht, dass sich die Menschen mehr mit ihren Alltagssor­gen beschäftig­en als für weltanscha­uliche Fragen interessie­ren würden. „Bei vielen ist es aber auch Geschmacks­sache, ob sie sich die Schreiben anschauen. Manche machen es aus Neugier, manche tun es gleich weg.“

Dass man sich einer Glaubensge­meinschaft anschließe, liege auch nicht an der Ideologie selbst, erklärt Pohl. Bei dem Betroffene­n müssten auch die individuel­len Umstände passen. Ihre Bitte ist: Wer sich nicht sicher ist, von wem ein vermeintli­ches Hilfsangeb­ot stammt, soll sich doch bei der Beratungss­telle für Weltanscha­uungsfrage­n melden.

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FOTO: „Der Weg zum Glücklichs­ein“ist vermehrt in Tuttlinger Briefkäste­n gelandet. Herausgebe­r ist die Scientolog­y. Dies ist aber nicht einfach zu erkennen.
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