Die Angst vor dem Herbst
Wegen steigender Infektionszahlen setzt Bundesgesundheitsminister Spahn unter anderem auf Fieberambulanzen
BERLIN - Herbst und Winter stehen vor der Tür. Und damit eine Zeit, in der es wohl noch immer keinen Impfstoff, kein Medikament gegen Corona gibt, in der wir einander aber im wahrsten Sinne des Wortes wieder näher rücken, in der es das Virus noch leichter hat, Menschen zu infizieren. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat davor viel Respekt – und entwickelt eine neue Strategie. Regierungssprecher Steffen Seibert ruft zu „höchster Achtsamkeit“auf. Was uns erwartet.
Schnelltests
Wer die Oma im Pflegeheim besucht, soll nach Auffassung von Jens Spahn vor Ort zunächst einen Schnelltest machen. Der liefert nach etwa einer Viertelstunde ein Ergebnis – dann soll der Besuch, wenn kein Corona erkannt wurde, möglich sein. Hintergrund ist die Angst, dass eingeschleppte Viren sich rasch in einem Heim verbreiten und für schwere Erkrankungen bis hin zum Tod führen können.
Aber was sind das überhaupt für Tests? Es sind sogenannte AntigenSchnelltests. Im Gegensatz zu den bisher üblichen PCR-Tests, die zuletzt eine Million Mal je Woche angewandt wurden und auf deren Ergebnis man zwei, drei Tage warten muss, wird nicht nach Erbgut gesucht, sondern nach den für das Virus typischen Proteinen. Sie sind schneller und billiger – aber auch ungenauer.
Der Schweizer Pharmariese Roche, der Ende September erste Tests ausliefern will, spricht von einer Sensitivität, also der Wahrscheinlichkeit, dass ein erkrankter Patient tatsächlich als krank erkannt wird, von 96,52 Prozent. Drei bis vier Corona-Fälle auf 100 Tests bleiben also unentdeckt. Der US-Konkurrent Abbott, in Amerika schon am Markt, berichtet von 93,3 Prozent. Zum Vergleich: Bei PCR liegt der Wert je nach Produkt und Labor zwischen gut 95 und fast 100 Prozent.
Einfacher für den Patienten ist der Schnelltest aber nicht, es bleibt bei einem Nasen-Rachen-Abstrich, den medizinisch geschultes Personal machen muss – also kein Produkt für den Selbsttest daheim. Zunächst will Roche im Monat 40 Millionen Schnelltests zur Verfügung stellen, zum Jahresende soll sich das bereits verdoppeln. Die Schnelltests bieten die Chance, Massenausbrüche schneller zu entdecken und einzugrenzen. Für Spahn ist das „ein qualitativer Schritt nach vorn“.
Wer das bezahlen soll, ist noch umstritten. Die gesetzlichen Krankenkassen stöhnen bereits über die vielen PCR-Tests, die sie finanzieren. Nun drohen neue Ausgaben. Weshalb Florian Lanz, Sprecher des GKVSpitzenverbandes, der Dachorganisation aller 105 Kassen, der „Schwäbischen Zeitung“erläutert, dass ein Testen auch ohne Symptome wichtig im Kampf gegen Corona sei. „Wir hoffen doch sehr, dass hier nicht schon wieder die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung herangezogen werden, um die staatliche Aufgabe des Schutzes vor dem Coronavirus zu finanzieren.“
Fieberambulanzen
Erkältung, Grippe oder Corona? Das ist in dieser Influenzasaison die Frage. Spahn will Patienten mit Schnupfen und Fieber aus den normalen Arztpraxen heraushalten, um dem Virus nicht zusätzliche Verbreitungswege zu eröffnen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollten deshalb „im Herbst idealerweise flächendeckend“sogenannte Fieberambulanzen anbieten, an die sich Patienten mit klassischen Atemwegssymptomen wenden könnten.
Auf solch ein bundesweit einheitliches Modell wollen sich die Praxen aber nicht einlassen. „Wir können mit einer ganzen Reihe unterschiedlicher Maßnahmen flächendeckend das Infektionsgeschehen meistern“, sagt Andreas Gassen, Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Und sein Vize Stephan Hofmeister sagt, dass „Infekte selbstverständlich in den Praxen behandelt werden können“. Dazu gebe es etwa Fiebersprechstunden, die bereits zum Einsatz gekommen seien und die „Hausärzte, Kinderärzte sowie Fachärzte jederzeit wieder einrichten können“. Der Aufbau eigenständiger Covid-19-Einrichtungen könne „je nach Notwendigkeit hinzukommen und sollte jeweils regional entschieden werden“. Sie könnten freiwillig von Ärzten oder Kassenärztlichen Vereinigungen betrieben werden. Auch hier mit dem Zusatz versehen: „Voraussetzung dafür ist, dass Finanzierung und die Versorgung mit Schutzausrüstung geklärt sind.“
Maskenpflicht
Eine Maske nicht nur im Supermarkt oder in der Bahn, sondern auch unter freiem Himmel: Bayern prescht wieder einmal vor und dürfte damit dem neuerlichen Gespräch der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten die Richtung vorgeben. In München und anderen Corona-Hotspots soll es eine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen geben, wo Abstandsregeln nicht eingehalten werden, kündigte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an. Kaum hatte Söder das gefordert, war München auch schon zur Stelle: An bestimmten Plätzen wie dem Marienplatz oder dem Viktualienmarkt wird eine generelle Maskenpflicht in Kraft treten, so Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Sein Parteikollege und Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, selbst Arzt und Epidemiologe, begrüßte Söders Vorstoß ausdrücklich. Weil „an Plätzen wie dem Stachus in München, der Hasenheide in Berlin oder dem Brüsseler Platz in Köln das Infektionsrisiko hoch“sei.
Fiebermessungen
Auch für das aus anderen Staaten wohlbekannte Messen von Fieber gibt es einen Länder-Vorstoß. Mecklenburg-Vorpommern erwägt, das Messen der Körpertemperatur von Kindern „vor Beginn von Kita und Schule zu testen“, sagte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Montag. Man werde Geräte anschaffen, wisse aber noch nicht, „ob sich Aufwand und Nutzen flächendeckend lohnen. Deshalb starten wir mit einer Pilotphase.“