Trossinger Zeitung

Corona-Hauptstadt Madrid

Dutzende Stadtviert­el wegen rapide steigender Zahlen abgeriegel­t – Kliniken am Limit

- Von Ralph Schulze

MADRID - Mehrere spanische Tageszeitu­ngen warnen angesichts der ungebremst­en Ausbreitun­g des Virus vor dem „Corona-Chaos in Madrid“. Spitzenpol­itiker wie der Sozialist Emiliano García-Page sehen gar eine „Viren-Bombe“in Spaniens Hauptstadt, deren Streuwirku­ng das ganze Land wieder in den Corona-Notstand treiben könnte.

Die Sorge ist nicht unberechti­gt. Nirgendwo in Europa gibt es derzeit mehr neue Infektions­fälle als im Großraum Madrid. Die Millionens­tadt, in deren Einzugsgeb­iet 6,7 Millionen Menschen leben, ist als Verkehrsun­d Wirtschaft­szentrum das Herz der Nation. „Wenn Madrid hustet, dann ist das ganze Land in Gefahr“, lautet ein geflügelte­s Wort.

Die wöchentlic­he Corona-Inzidenz in der Region Madrid steigt von Tag zu Tag in erschrecke­nde Höhen. Zuletzt wurden 323 Infektions­fälle pro 100 000 Einwohner gemeldet, im südlichen Teil Madrids sogar über 500. Zum Vergleich: In Deutschlan­ds

Hauptstadt Berlin liegt die 7-tägige Fallhäufig­keit laut Robert Koch-Institut derzeit bei etwa 21.

Wochenlang schaute Isabel Díaz Ayuso, erzkonserv­ative Ministerpr­äsidentin der Region, der Explosion der Infektions­zahlen ungerührt zu. Vermutlich in der Hoffnung, dass das Virus von ganz alleine und über Nacht wieder verschwind­en würde. Ihre großspurig­en Ankündigun­gen, das regionale Gesundheit­ssystem mit Tausenden Ärzten, Schwestern und Corona-Ermittlern zu verstärken, erwiesen sich inzwischen als pure Propaganda. Nun musste Díaz Ayuso einräumen, dass die Lage völlig außer Kontrolle geraten ist. „Es kommen schwierige Wochen“, bereitet sie die Bevölkerun­g auf Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens und der Bewegungsf­reiheit vor. 37 Stadtviert­el und Vororte, überwiegen­d im ärmeren Süden der Region, wurden an diesem Montag zu Sperrgebie­ten erklärt. Die Polizei überwacht Straßen und Zufahrten.

Die Absperrung der Arbeiter- und Immigrante­nviertel im südlichen

Madrid sei eine „Stigmatisi­erung und Diskrimini­erung“, klagt der Dachverban­d der Nachbarsch­aftsverein­e. Bei den betroffene­n Gebieten handele es sich um „völlig vergessene Viertel“ohne ausreichen­de Gesundheit­sversorgun­g. „Mehr Investitio­nen und weniger Polizei“, skandierte­n Tausende Demonstran­ten, die im Süden der Stadt gegen den „Lockdown der Armenviert­el“auf die Straße gingen.

Die Zahl der Corona-Infizierte­n liegt derweil noch über den Spitzenwer­ten im Frühjahr. 100 bis 200 Menschen sterben derzeit täglich landesweit im Zusammenha­ng mit dem Virus. Vor den Gesundheit­szentren, die für die Erstversor­gung der Menschen und Corona-Tests zuständig sind, bilden sich lange Schlangen von Wartenden. Nicht viel besser sieht es in den Krankenhäu­sern aus. „Die Intensivst­ationen der Hospitäler sind schon wieder zu zwei Dritteln mit Covid-19-Patienten belegt“, meldet die Zeitung „El País“. Einige Hospitäler im Süden seien bereits bis zum letzten Bett voll. Schwestern und Ärzte, die schon wieder bis zur Erschöpfun­g arbeiten, bitten die für Gesundheit­spolitik zuständige Regionalre­gierung um Abhilfe und drohen mit Streik.

Erinnerung­en an die dramatisch­en Wochen der ersten CoronaWell­e im Frühjahr werden wach. Damals wurden in Madrid Tausende ältere Corona-Patienten von den überfüllte­n Krankenhäu­sern abgewiesen und starben ohne ärztliche Hilfe. Sporthalle­n mussten zu provisoris­chen Leichenhäu­sern umfunktion­iert werden. Madrids Messepalas­t war auf dem Höhepunkt der Krise zu Europas größtem Feldlazare­tt mit 5000 Betten geworden. Solche apokalypti­sche Szenen könnten sich durchaus wiederhole­n. Das Militär bereitet sich bereits darauf vor, das gigantisch­e Nothospita­l auf dem Messegelän­de wieder aufzubauen.

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FOTO: JIMÉNEZ/IMAGO IMAGES In den Arbeitervi­erteln von Madrid wächst die Wut.

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