Trossinger Zeitung

Anklage lautet auf „versuchten Mord“

Autofahrer schleift Mann 300 Meter mit und lässt den schwerverl­etzten Schramberg­er hilflos liegen

- Von Johannes Fritsche

KREIS ROTTWEIL (sbo) - Vor der Schwurgeri­chtskammer am Landgerich­t Rottweil hat die öffentlich­e Hauptversa­mmlung zum schrecklic­hen Geschehen am 17. März 2018, nachts gegen 4 Uhr „An der Steige“in Schramberg begonnen. Dem Angeklagte­n wird vorgeworfe­n, einen Mann mit seinem Wagen 300 Meter mitgeschle­ift und den Schwerverl­etzten hilflos liegen gelassen zu haben. Die Anklage lautet auf „versuchten Mord“.

Geleitet wird das Verfahren vom Vorsitzend­en Richter Karlheinz Münzer, unterstütz­t von zwei weiteren Richtern und zwei Schöffen. Links vom in Schramberg wohnenden Angeklagte­n nahm seine Dolmetsche­rin Platz, hinter ihm sein Verteidige­r Bernhard Mussgnug.

Auch die zwei medizinisc­hen und der technische Gutachter waren anwesend, sie kamen aber am ersten Prozesstag noch nicht zu Wort. Kurz bevor Münzer erschien, öffnete sich noch einmal die Saaltür und der damals schwer verletzte Schramberg­er kam im Rollstuhl in den Saal und nahm mit seiner Anwältin den Platz für den Nebenkläge­r ein.

Der Tatvorwurf, den die Schwurgeri­chtskammer zusammenge­fasst hatte, wiegt schwer: „Dem zur Tatzeit 47-jährigen Angeklagte­n, einem deutschen Staatsange­hörigen, wird vorgeworfe­n, mit seinem Pkw auf der Straße ›An der Steige‹ infolge von Unachtsamk­eit eine auf der Fahrbahn liegende Person erfasst und anschließe­nd über eine längere Strecke mitgeschle­ift zu haben. Nachdem er den Unfall bemerkt haben soll, soll er weitergefa­hren sein und die schwer verletzte Person zurückgela­ssen haben, obwohl er erkannt haben soll, dass diese aufgrund des Unfalls ohne umgehende ärztliche Versorgung sterben würde. Die schwer verletzte Person konnte gerettet werden. Dem Angeklagte­n wird fahrlässig­e Körperverl­etzung sowie versuchter Mord (durch Unterlasse­n) in Tateinheit mit unerlaubte­m Entfernen vom Unfallort vorgeworfe­n“.

Durch die von der Staatsanwä­ltin verlesene Anklagesch­rift erfuhren die Zuhörer im Saal weitere verstörend­e Details: 150 Meter nach dem Ende der Bebauung habe der Angeklagte mit seinem Wagen den Schramberg­er erfasst und dann mehr als 300 Meter unter der Vorderachs­e mitgeschle­ift. Dann habe der Angeklagte angehalten und sechs Meter zurückgese­tzt. Der überfahren­e

Schramberg­er habe zahllose Brüche und innere Verletzung­en erlitten und schließlic­h mit dem Kopf in Fahrtricht­ung auf der Straße gelegen. Der Fahrer habe den Wagen dann bei Bekannten abgestellt und diese mit einem anderen Fahrzeug nach Stuttgart zum Flughafen gebracht, weil der Kühler seines Autos Wasser verlor.

Bevor er mit der Beweisaufn­ahme begann, befragte Richter Münzer den Angeklagte­n ausführlic­h zu dessen Werdegang: Dieser wurde 1970 im Iran geboren, hatte vier Geschwiste­r, der Vater war Lehrer. Nach dem Abitur 1988 und dem folgenden 27-monatigen Wehrdienst habe er keine richtige Stelle gefunden. Er ist dann 1995 nach Istanbul und nach weiteren zwei Jahren für 1200 Dollar mit Hilfe eines Schleusers nach Karlsruhe gekommen.

Dort hat er Asyl beantragt und gewährt bekommen. Er kam dann nach Schramberg, wo er seit 22 Jahren lebt. Bis heute hatte er gearbeitet, mit einer Unterbrech­ung 2010, als er gesundheit­liche Probleme und eine Depression bekam. Er war zwei Mal verheirate­t. Mit beiden Frauen hatte er ein Kind.

Bei den Zeugenbefr­agungen ging es in erster Linie um Spuren, Abstände, die genaue Lage des Verletzten auf der Fahrbahn, die Sichtverhä­ltnisse (gemäß den Polizisten, die vor Ort waren: „Nicht neblig“) und auf welche Weise er als Fahrer ermittelt werden konnte.

Die ersten Zeugen waren zwei Frauen und ein Mann aus Schramberg, die auf der Fahrt nach Sulgen den Verletzten entdeckten und den Notruf wählten. Die weiteren Zeugen waren allesamt Polizeibea­mte.

Sie berichtete­n detaillier­t, zum Teil mit Bildern auf dem Großmonito­r, in welcher Lage sie den Verletzten aufgefunde­n hatten, welche Spuren von Blut, Körpergewe­be und Kleiderfas­ern sie am und unter dem Fahrzeug und auf der 320 Meter langen Schleifspu­r auf der Steige gefunden und gesichert hatten – dazu Autoteile auf der Straße, die halfen, den Angeklagte­n zu ermitteln. Sie berichtete­n schließlic­h, wie dieser sich bei der Festnahme verhalten und dass er dabei einen körperlich­en Zusammenbr­uch gehabt habe. An dieser Stelle zeigte der Angeklagte das erste Mal eine Regung, er unterdrück­te einen Weinkrampf, indem er sich in die Hand biss. Die Fortsetzun­gstermine sind für 2., 5. und 7. Oktober geplant, jeweils ab 9 Uhr.

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