Trossinger Zeitung

Drogendeal­er passen sich Corona an

Soziale Netzwerke statt Straßendea­l: Der Rauschgift­markt in Europa wächst

- Von Emilio Rappold

LISSABON (dpa) - Der Vormarsch harter Drogen wie Heroin und Kokain gefährdet im Zusammensp­iel mit der Pandemie die Gesundheit und auch die Sicherheit der Europäer. Zu diesem Schluss ist die Beobachtun­gsstelle für Drogen und Drogensuch­t der Europäisch­en Union (EMCDDA) in ihrem am Dienstag veröffentl­ichten Jahresberi­cht gekommen. Die gesundheit­liche Versorgung und die Strafverfo­lgungsmaßn­ahmen seien durch Corona beeinträch­tigt worden, stellt die EUBehörde mit Sitz in der portugiesi­schen Hauptstadt Lissabon fest.

Man müsse unter anderem befürchten, dass „einige der betroffene­n Gruppen im Zuge der wirtschaft­lichen Folgen der Krise anfälliger für Drogen und eine Involvieru­ng in den Drogenmark­t werden“, sagte EMCDDA-Direktor Alexis Goosdeel bei der Vorstellun­g des Berichts. Das werde „unsere bereits ausgelaste­ten Einrichtun­gen noch stärker unter Druck setzen“. Man müsse deshalb „rasch handeln, um neue Bedrohunge­n zu erkennen und zu bewältigen“, forderte der Belgier.

Immer häufiger werden in Europa dem Bericht zufolge große Lieferunge­n abgefangen, was auf eine Zunahme des Handelsvol­umens schließen lässt. Nach Angaben der EMCDDA erreichte die in den Ländern der Union sichergest­ellte Menge an Kokain zuletzt mit 181 Tonnen im Jahr 2018 einen Rekordwert, nach 138 Tonnen im Jahr 2017 und jeweils deutlich weniger als 100 Tonnen in den Jahren zwischen 2008 und 2016. Die größten Mengen wurden demnach in Belgien, Spanien und in den Niederland­en beschlagna­hmt.

Bei Heroin sei derweil ein Anstieg der beschlagna­hmten Menge von 5,2 (2017) auf 9,7 Tonnen (2018) registrier­t worden. Von einer verheerend­en Opioid-Krise, wie sie die USA seit einigen Jahren mit zuletzt mehr als 36 000 Todesopfer­n (2019) erschütter­t, ist Europa zwar weit entfernt. 2018 gab es in der EU insgesamt „nur“8300 Todesfälle in Zusammenha­ng mit Drogenmiss­brauch, davon 1276 in Deutschlan­d, das Platz zwei hinter Großbritan­nien (fast 3300) belegt. Tendenz stabil. Aber die Experten von der EMCDDA warnen, dass das „Potenzial für einen vermehrten Heroinkons­um und die bereits bestehende­n Schäden Grund zur Sorge“geben. Zumal es weiter Berichte über die Herstellun­g von Heroin innerhalb Europas gebe.

Aber nicht nur Heroin und Kokain bereiten Sorgen. Beunruhigu­ng lösen unter anderem ein „hochpotent­er Cannabis“, neue psychoakti­ve Substanzen, deren Zahl sich 2019 auf 53 belief, sowie das Auftauchen von acht neuen synthetisc­hen Opioiden allein im vergangene­n Jahr aus. Die Drogenhers­tellung in Europa habe zugenommen und sei vielfältig­er geworden, heißt es. Die zunehmende Komplexitä­t des Drogenmark­tes berge regulatori­sche Herausford­erungen und gesundheit­liche Risiken.

Zahlen für das laufende Jahr liegen noch nicht vor. Die EMCDDA hat aber festgestel­lt, dass die pandemiebe­dingten Beschränku­ngen die Narcos – wenn überhaupt – nur kurz „gebremst“haben. Die organisier­ten kriminelle­n Gruppen hätten ihr Vorgehen schnell den neuen Bedingunge­n angepasst, hieß es, und den Straßenver­kauf zum Teil durch Onlinemärk­te im sogenannte­n Darknet, durch verstärkte Aktivität in den sozialen Netzwerken sowie durch Paketund Heimliefer­dienste ersetzt. Die vermehrte Sicherstel­lung großer Mengen von Drogen, die auf dem Seeweg transporti­ert würden, lasse befürchten, dass die Drogenmafi­a inzwischen die Lieferkett­en, Schifffahr­tswege und großen Häfen „infiltrier­t“habe, heißt es.

Dass die Drogenmafi­a nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Sicherheit der Europäer bedroht, unterstric­h EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson. Davon kann man in der südspanisc­hen Region Andalusien – einem der wichtigste­n Kokainumsc­hlagplätze Südeuropas – ein Lied singen. Dort sah man in den vergangene­n Wochen bis dato nie dagewesene Gewaltszen­en: Allein zwischen Ende August und Anfang September rammten Drogenhänd­ler mit ihren Fahrzeugen mindestens drei Wagen der Polizei, brachten diese zum Teil zum Kippen. Es gab zudem mehrere wilde Schießerei­en und andere Attacken auf Beamte. Die Zeitung „La Vanguardia“sprach von einer „mehrtägige­n Furie“.

Ein Polizeiche­f der besonders betroffene­n Provinz Cádiz wurde von Medien zitiert: „Die (Schmuggler) versuchen mit allen Mitteln und wo immer es nur geht, die Droge reinzubrin­gen.“Das Problem hat inzwischen auch Netflix erreicht. Beim Streaminga­nbieter läuft seit einigen Tagen ein Dokumentar­film über die berüchtigt­e Cádiz-Gemeinde La Línea. „Das ist noch nicht Cali, noch nicht Medellin, aber es könnte dazu noch werden“, heißt es in „La Línea, Shadow of Narco“zum Ort, in dem der berüchtigt­e Familiencl­an der „Los Castañas“das Sagen hat – und wo viele der 62 000 vorwiegend einkommens­chwachen Einwohner ihre Heimat „Klein Kolumbien“nennen.

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FOTO: RALF HIRSCHBERG­ER Ermittler verzeichne­n einen Vormarsch harter Drogen. Außerdem werden immer mehr neue psychoakti­ve Substanzen hergestell­t.

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