Bewährungsstrafe für Fackelwurf
Ein Jahr nach dem Angriff auf Roma-Familien in Dellmensingen werden fünf Täter wegen Nötigung verurteilt
ULM - Im Prozess um den Fackelwurf auf die Wohnwagensiedlung von Roma-Familien in Dellmensingen vor über einem Jahr hat das Ulmer Landgericht am Mittwoch vier der mutmaßlichen Täter wegen gemeinschaftlicher Nötigung in 45 Fällen zu zehn- bis 16-monatigen Jugendhaftstrafen auf Bewährung verurteilt. Bei einem fünften Mitangeklagten soll nach eineinhalbjähriger Bewährung über eine Jugendstrafe entschieden werden.
Mehr als vier Monate lang hat das Gericht in 15 Verhandlungstagen ausgiebig die Angeklagten, zahlreiche Zeugen, Ermittler und Sachverständige gehört, Chats ausgewertet, Handy-Daten gesichtet, in Ordnern voller Akten geblättert – dies weniger, um festzustellen, ob die zum Tatzeitpunkt 17 bis 19 Jahre alten Heranwachsenden am 24. Mai 2019 tatsächlich eine brennende Fackel auf die Wiese mit den Wohnwagen von insgesamt 46 Mitgliedern mehrerer französischer Roma-Familien geworfen haben. Das räumten die fünf jungen Männern vom ersten Prozesstag an ein. Vielmehr ging es darum, zu klären, ob der letztlich glimpflich verlaufene Angriff wirklich „nur“dazu gedacht war, die Menschen zu verängstigen und zu vertreiben, oder ob zumindest billigend in Kauf genommen wurde, dass ein Feuer ausbrechen und es Verletzte oder gar Tote geben könnte. Und das Gericht beschäftigte sich ausgiebig mit der Frage: Wie tief verankert war und ist der Fremdenhass, der die Angeklagten zu der Tat getrieben hat?
„Ich muss dem Gericht und den
Ermittlern ein Lob aussprechen: Es war sehr wichtig, dass das rassistische und antiziganistische Tatmotiv eine zentrale Rolle gespielt hat. Ich habe schon viele andere Prozesse erlebt, da sind diese Dinge unter den Tisch gekehrt worden“, sagte der aus den NSU-Prozessen bekannte OpferAnwalt Dr. Mehmet Daimagüler, der im Fackelwurf-Prozess jene Familie als Nebenkläger vertrat, die am knappsten einem Unglück entgangen war: Die Frau und ihr neun Monate altes Kind hatten in dem Wohnwagen geschlafen, neben dem die Fackel in einem Abstand von etwa einem Meter gelandet war. Weil seine Mandanten trotz der Erlebnisse keine Gefängnisstrafe für die Angeklagten wünschten, zeigte sich Daimagüler einverstanden mit dem Urteil des Vorsitzenden Richters Michael Klausner: „Ich bin überzeugt: Ein Gefängnis macht niemanden zu einem besseren Menschen. Aber ich hoffe, dass die Angeklagten sich nun gut überlegen, was sie künftig mit ihrem Leben anfangen wollen: Ob sie weiterhin ihre Niedertracht ausleben oder sich ändern wollen.“
Das war im Grunde auch die Kernbotschaft des Richters in seiner Urteilsbegründung. „Wir gehen von einem Warneffekt durch das Urteil aus“, sagte Klausner am Ende seiner Ausführungen, bei denen er keine Zweifel daran gelassen hatte, dass die Gedanken und die Tat der Angeklagten als „fremdenfeindlich, rassistisch und antiziganistisch“einzustufen seien: „Wenn man in Chats von Vergleichen zwischen Roma und Pest liest, fehlen einem die Worte. Das geht weit über eine politische Meinungsäußerung hinaus.“Nicht nachgewiesen werde könne den Angeklagten indes der ursprüngliche Vorwurf des gemeinschaftlich versuchten Mordes und versuchter Brandstiftung. Jedoch hätten sie ihr Ziel erreicht, Angst und Schrecken unter den Bewohnern zu verbreiten und sie zur Abreise zu bewegen und sich somit der gemeinschaftlichen Nötigung in 45 Fällen schuldig gemacht. Negativ zu Buche schlage vor allem die verwerfliche Motivation zur Tat. Die „schädlichen Neigungen“seien bei allen fünf Angeklagten auch heute noch erkennbar, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Nur einer der jungen Männer habe glaubwürdig deutlich gemacht, dass er sich von seinem bisherigen Umfeld distanziert. Er bleibt daher vorerst straffrei, sofern er sich in den nächsten eineinhalb Jahren nichts zu Schulden kommen lässt. Nicht zuletzt der von allen Angeklagten eingeschlagene berufliche Weg rechtfertige es, die Haftstrafen zur Bewährung auszusetzen. Drei der Angeklagten müssen eine Geldauflage in Höhe von 1200 Euro an die Hildegard-Lagrenne-Stiftung zur Förderung von Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland leisten, alle fünf müssen außerdem eine KZ-Gedenkstätte besuchen und einen Aufsatz über ihre Eindrücke schreiben.
„Das ist nach meiner Kenntnis die erste Verurteilung wegen gemeinschaftlicher Vertreibung aus rassistischen Motiven auf deutschem Boden nach 1945“, kommentierte Daniel Strauß, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg, den Prozessabschluss. Auch die Verteidiger signalisierten, dass sie mit dem Urteil und der Begründung des Gerichts einverstanden seien und wohl nicht in die Revision gehen werden.