Der Tuttlinger Reitverein steht am Abgrund
Pfändung, unbezahlte Rechnungen – Neuer Vorsitzender will Missstände aufdecken
TUTTLINGEN - Wie schlecht steht es um den Reitverein Tuttlingen? Diese Frage haben die Mitglieder am Montagabend bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung selbst nicht beantworten können. Nur eines ist sicher: Finanzielle Sorgen und viele Missstände müssen aus dem Weg geräumt werden. Der Reitverein stand bis zur Sitzung ohne Vorsitzenden da. Dieses Problem schaffte der Verein zumindest mit Norbert Mattes als neuem Vorsitzenden aus dem Weg.
Es läuft einiges schief beim Reitverein Tuttlingen. Nachdem im Februar eine Mitgliederversammlung mit Wahlen des geschäftsführenden Vorstands stattfand, trat bereits wenige Wochen später die dort neugewählte Vorsitzende Anna-Lena Schatz zurück. „Aus persönlichen Gründen“, sei sie zurückgetreten, wie der neue Pächter und Sportwart Steffen Giesser unserer Zeitung am Rande der Versammlung am Montag berichtete. Damit übernahm Barbara Eitel das Ruder als Stellvertreterin – bis August, denn dann trat auch sie schriftlich zurück, kurze Zeit später auch Helgard Habel als Schriftführerin. Damit stand der Verein ohne geschäftsführenden Vorstand da, denn ein Kassierer hatte sich im Februar nicht finden lassen.
Steffen Giesser als Pächter und Sportwart des Vereins übernahm in den vergangenen Wochen vorübergehend als Mitglied des erweiterten Vorstands bis zur Wahl am Montag die Geschicke des Vereins. Giesser ist Pferdewirtschaftsmeister, zog im April mit seiner Lebensgefährtin in die Reithalle zwischen Tuttlingen und Möhringen ein. Ihm sei von Seiten des Reitvereins zugesagt worden, dass er mit mehr als 45 Pferden einziehen dürfe. „Erst mit dieser Größe rechnet sich der Reitbetrieb und erst dann rechtfertigt sich auch die Pachthöhe, die ich an den Verein zahle“, so Giesser. Er habe einen Vertrag
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Die Folge: „Das Veterinäramt kam zur Reithalle, um sich meinen Betrieb anzuschauen. Dieses Amt war völlig überrascht, wie es hier aussieht, weil sie seit dem Bau der Halle und somit seit über zwei Jahren nicht mehr hier gewesen waren. Sie stellten fest, dass einiges nicht fertiggebaut und sich nicht an Absprachen gehalten wurde“, so Giesser. Schließlich habe das Veterinäramt eine gewerbliche Führung des Reitbetriebs untersagt und lediglich eine Größe von 35 Pferden genehmigt. Unter anderem hätten mehr Koppelflächen generiert, bestimmte Bepflanzungen getätigt oder die Entwässerung der Reitanlage aufgewertet werden sollen. Zudem hätte sich der Verein an den Kosten der Dachentwässerung beteiligen sollen – nichts sei passiert. Und es kommt noch schlimmer: „Seit 2016 ist keine Erbpacht mehr von Vereinsseite an die Stadt bezahlt worden“, deckte Giesser Missstände auf. Ohnehin sei von Vereinsseite vieles finanziell nicht beglichen worden.
Steffen Giesser ist sich deshalb sicher: „In diesem Reitverein liegt einiges im Argen. Das habe ich festgestellt, als sich die Rechnungen häuften, sich niemand verantwortlich zeigte und Barbara Eitel in ihrer Kündigung betonte, dass niemand im Namen des Vereins Geschäfte führen und Rechnungen bezahlen darf.“Außerdem habe er in den vergangenen Monaten am Reitstadion Vertreter mehrerer Ämter zu Besuch gehabt, die kontrolliert, abgenommen, einiges verboten und Auflagen gemacht haben: „Nicht nur das Veterinäramt, sondern auch das Liegenschaftsamt und Umweltamt“, zählte er auf. Die Notbremse habe er schließlich gezogen, als die erste Pfändung vom Hauptzollamt einging und er sich daraufhin an das Amtsgericht mit der Bitte um Hilfe gewandt habe.
In Vereinskreisen machen einige Barbara Eitel, die jahrelang im Verein aktiv gewesen sei, verantwortlich für die derzeitige Situation beim Reitverein. Offiziell sei sie wegen der Entfernung nach Tuttlingen als stellvertretende Vorsitzende zurückgetreten, da sie in Müllheim bei Freiburg lebe. Giesser habe mehrere Male versucht, mit Barbara Eitel auf unterschiedlichen Wegen Kontakt aufzunehmen. „Leider hat sie darauf überhaupt nicht reagiert. Ich habe somit auch keine Unterlagen“, sagte Giesser in der Sitzung. Eitel habe lediglich auf eine außerordentliche Mitgliederversammlung verwiesen und dass der neue Vorsitzende die Unterlagen erhalten würde.
Wie sieht sie die Situation? Das ließ sich nicht klären: Barbara Eitel war für eine Stellungnahme bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen.
Egal wie: Giessers Pachtzahlungen sind für den Reitverein seit dem Standortwechsel vom Donaustadion an den Radweg nach Möhringen und dem damit verbundenen Neubau ein wichtiges finanzielles Mittel, um Kredite zu tilgen.
Um herauszufinden, wie groß die Probleme und wie schlimm die finanzielle Situation des Vereins ist und um künftig weiter handlungsfähig zu bleiben, benötigt der Verein dringend einen Vorsitzenden, um beispielsweise Einsicht in die Unterlagen bei der Bank zu erhalten, was den Mitgliedern bisher verwehrt blieb. Deshalb hatte der Verein zu der außerordentlichen Mitgliederversammlung am Montag mit der Wahl eines Vorsitzenden eingeladen.
Die zwölf anwesenden Mitglieder wählten einstimmig Norbert Mattes, der nach langem Überlegen in der Sitzung entschied, sich zur Wahl aufstellen zu lassen. Damit führt Mattes den Verein an vorderster Front, ohne das genaue Ausmaß der Probleme und finanziellen Nöte zu kennen. Er will anpacken und mithelfen, die Missstände und Unklarheiten aufzudecken. „Der Verein ist 100 Jahre alt und wir haben uns viele Jahre für den Verein engagiert. Ich habe kein Interesse daran, dass der Verein kaputt geht“, sagte Norbert Mattes.
Unterstützung erhält er künftig von seiner neuen Stellvertreterin Brigitte von Briel, die früher bereits zehn Jahre lang den Verein führte. Der bereits vor der Sitzung vorgeschlagene Kandidat für das Amt als Vorsitzender, Achim Zeiss, zog seine Kandidatur während der Sitzung aufgrund der vielen Unklarheiten zurück. Der Reitverein Tuttlingen registriert derzeit rund 260 Mitglieder.