Vom Hotspot zum Super(cup)-Hotspot
Der Sport wird beim Duell des FC Bayern mit dem FC Sevilla in Budapest zur Nebensache
BUDAPEST - Es ist die wohl ungewöhnlichste und zugleich umstrittenste Reise, zu der die Delegation des FC Bayern samt Profiteam je aufgebrochen ist. Am Mittwochmittag hoben die Münchner in getrennten Sondermaschinen für Mannschaft und Delegation vom heimischen Flughafen ab nach Budapest. Zum Fußball, zum UEFA-Supercup zwischen dem Champions-League-Sieger und dem FC Sevilla, der die Europa League gewonnen hatte – und das mitten im Krisengebiet, in einem Corona-Hotspot. Budapest hat eine 7-Tage-Inzidenz von über 100 (der Wert für München beträgt aktuell 51,04). Von Hotspot zu Super-Hotspot: ein heikles Unterfangen und diesmal eben nicht business as usual.
Daher reiste etwa Vereinspräsident Herbert Hainer nicht mit. „Wir haben uns entschlossen, nur mit der absoluten Minimalbesetzung nach Budapest zu gehen“, sagte der 66-Jährige bei einer „Bild“-Veranstaltung. Zur Einordnung die offiziellen Zahlen aus Ungarn vom Mittwoch: 951 Neuinfizierte, acht Todes- und 15 104 aktive Fälle.
Die Europäische Fußball-Union UEFA hält trotz all der Kritik und Kontroversen an ihrem prestigeträchtigen Pilotprojekt zur Zuschauerrückkehr fest. Unverantwortlich? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fürchtet ein „FußballIschgl“. Die 67 000 Zuschauer fassende Puskás Arena in Budapest soll zu 30 Prozent ausgelastet werden, mit bis zu 20 000 Fans. Doch kommen überhaupt so viele Anhänger? Aus Andalusien (Spanien ist nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts ebenfalls ein Corona-Risikogebiet) sollen nur rund 300 Anhänger den FC Sevilla begleiten. Das Kontingent für die Finalkontrahenten betrug jeweils 3000 Tickets, doch in den letzten Tagen machten mehr als 800 BayernFans von ihrem kostenlosen Rückgaberecht (angeboten von der UEFA) Gebrauch. Dennoch: Knapp über 1000 Fans des Triple-Siegers sollen am Donnerstagabend (21 Uhr/Sky und DAZN) im Stadion dabei sein.
Dafür nehmen die angereisten Fans auch in Kauf, nach der Rückkehr zum Corona-Test (war auch vor der Einreise nach Ungarn obligatorisch) zu müssen oder in Quarantäne zu gehen. Bis Dienstag unterlagen Reisende bei Aufenthalten von weniger als 48 Stunden in Risikogebieten nicht der Quarantänepflicht – was für Geschäftsreisende weiterhin gilt. Am Flughafen „Liszt Ferenc“wurden alle Einreisenden – nach der Grenzschließung ab 1. September fast ausschließlich Einheimische oder Geschäftsreisende – ausführlich gecheckt und befragt, es bildete sich trotz der wenigen
Reisenden eine Schlange bei der Einreise. Fieber gemessen wurde natürlich auch. „Wir sind keinem Fan böse, wenn er nicht ins Stadion kommt, und haben dafür absolutes Verständnis“, sagte Bayern-Kapitän Manuel Neuer an Ort und Stelle in Budapest.
„Die UEFA will wieder ein Stück Normalität in den Fußball bringen“, sagte Hainer zum Pilottest des Verbandes, auch in europäischen Wettbewerben wieder vor Publikum zu spielen. Eine Absage oder Spielverlegung wäre „nicht einfach“gewesen.
Am Mittwoch hatte sich selbst Budapests Oberbürgermeister Gergely Karácsony gegen die Austragung der Partie vor Publikum ausgesprochen. „Hätte ich die rechtlichen Möglichkeiten, das zu entscheiden, würde ich das Match hinter geschlossenen Toren stattfinden lassen“, sagte der grün-liberale Politiker der oppositionellen Tageszeitung „Nepzava“.
Hansi Flick, neben Jürgen Klopp (Liverpool) und Julian Nagelsmann (RB Leipzig) von der UEFA für die Shortlist zum „Trainer des Jahres“nominiert, meinte nach der Ankunft in Budapest: „Wir sind hierhergekommen, um Fußball zu spielen, Entscheidungen werden woanders gefällt. Wir haben ein Ziel: den Supercup zu holen. Unser Fokus liegt auf dem Fußball.“Der Bayern-Trainer weiter: „Ich erwarte ein schönes Spiel mit sehr viel Engagement, Dynamik und Intensität, ein absolutes Topspiel – auch für die Zuschauer im Stadion.“Unter den letzten drei Nominierten für die Auszeichnung zum UEFA-Spieler des Jahres 2019/20 stehen neben Kevin De Bruyne (Manchester City) die Bayern-Profis Robert Lewandowski und Torhüter Neuer. Die Bekanntgabe der Gewinner erfolgt am 1. Oktober. Neuer sagte in Budapest: „Ich habe da so eine Vorahnung ...“Also Teamkollege Lewandowski, der für das Spiel gegen Sevilla rechtzeitig fit werden soll, so Flick. Nicht im Bayern-Kader für Budapest neben dem verletzten Neuzugang Tanguy Nianzou: Kingsley Coman, der sich nach einem CoronaKontakt vorsorglich weiter in Quarantäne befindet. Wie passend.
Finals mit
Europäischer Supercup, deutscher Beteiligung:
1975 Sieger: Dynamo Kiew (1:0/2:0 gegen Bayern München) – 1976 RSC Anderlecht (1:2/4:1 gegen Bayern München) – 1977 FC Liverpool (1:1/6:0 gegen den Hamburger SV) – 1983 FC Aberdeen (0:0/1:0 gegen Hamburger SV) – 1992 FC Barcelona (1:1/2:1 gegen Werder Bremen) – 1997 FC Barcelona (2:0/1:1 gegen Borussia Dortmund) – 2001 FC Liverpool (3:2 gegen Bayern München) – 2013 Bayern München (5:4 i.E. gegen FC Chelsea) – 2020 Bayern München oder FC Sevilla.