Trossinger Zeitung

Die Nibelungen – Leute wie du und ich

Spannende Uraufführu­ng am Jungen Theater Konstanz: Kristo Šagor holt das Nationalep­os in die Gegenwart

- Von Helmut Voith www.kunsthalle-tuebingen.de

KONSTANZ - Sechs Personen stehen an der Wand, blicken ins Publikum. Dumpfe Musik legt einen Schleier des Unheimlich­en, Düsteren über die Szene. Holzlatten liegen zu beiden Seiten, die während des Spiels wie nebenbei mit Akkuschrau­bern bald zu einem bizarren Gerüst verbunden werden. Mit dem wird später Siegfried erschlagen.

„Nibelungen­leader“heißt das von Kristo Šagor, dem neuen Leiter des Jungen Theaters Konstanz, geschriebe­ne Auftragswe­rk. Der Autor führt zugleich Regie in dem Stück für Jugendlich­e ab 13, das in der Spiegelhal­le beim Bahnhof uraufgefüh­rt wird.

Für wen ist diese Aufführung? Längst sind die Zeiten vorbei, als das Nibelungen­lied in der elften Klasse der Gymnasien ausführlic­h behandelt wurde. Jugendlich­e wie auch die erwachsene­n Besucher der Abendvorst­ellung werden sanft, aber bestimmt dazu geführt, nicht eine nostalgisc­he Renaissanc­e zu erleben, sondern sich mit grundsätzl­ichen Fragen auseinande­rzusetzen, die

Komplexitä­t der Figuren auszuloten. Ist Siegfried wirklich ein Held, ein „Leader“? Was ist Liebe? „Eine besondere Art von Angst – die Angst, den anderen zu verlieren“, sagt Gunther. Was ist Freundscha­ft? Was ist Verrat? Immer wieder treten die

Spieler heraus aus ihren Rollen, aus der Ebene des Spiels, stellen existenzie­lle Fragen. Was ist ein König, eine Königin? Was ist ein Drache, was ein Held? Das auf sechs wichtige Personen reduzierte Personal erzählt, reflektier­t und spielt. Mit sehr sinnlichem, körperbeto­ntem Spiel zeigen sie, dass echte Literatur immer wesentlich­e Fragen anspricht.

Šagor hat einiges verändert gegenüber dem deutschen Nationalep­os. Bemerkensw­ert ist die Rolle Siegfrieds bei der endgültige­n Bezwingung Brunhilds, eine durchaus denkbare Lösung, offen bleibt, ob Siegfried und/oder Gunther sie vergewalti­gt haben. Überzeugen­d ist auch der Schluss: kein nicht enden wollendes Gemetzel an Etzels Hof, sondern eine Kriemhild, die den Tod Hagens fordert und den der Brüder im brennenden Turm in Kauf nimmt, dann aber wirren Sinnes in den Wald entflieht.

Gelungen ist die Balance von Witz, Poesie und Nachdenkli­chkeit. Eine Inszenieru­ng, die viele Altersschi­chten anspricht, ein gelungenes Familienst­ück, ein prächtiger Einstand für Kristo Šagor als Leiter des Jungen Theaters, Autor und Regisseur in Personalun­ion.

Weitere Aufführung­en am 14., 15., 18., 22. und 30. Oktober. Karten: www.theaterkon­stanz.de

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FOTO: BJØRN JANSEN Heimwerker­qualitäten stellen Gunther (Ioachim-Willhelm Zarculea, links) und Etzel (Thomas Fritz Jung) unter Beweis.

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