Trossinger Zeitung

Der Anwalt der Tiere

Die Deutsche Bahn hat früher nicht viel auf Umweltschu­tz gegeben – Das hat sich geändert, auch dank Leuten wie Manfred Schenk – Der Biologe verschafft Tieren eine neue Heimat, bevor sie Bauprojekt­e ausbremsen

- Von Ludger Möllers

Die Hauptdarst­eller dieses Presseterm­ins an einem sonnigen Herbstnach­mittag fehlen: Weder Schlingnat­ter noch Haselmaus, weder Nachtkerze­nschwärmer noch Fledermaus lassen sich blicken. Sie lebten bis zu deren Abriss an, auf und unter der alten Eisenbahnb­rücke bei Langenarge­n an der Strecke zwischen Friedrichs­hafen und Lindau. Dass die Tiere sich trotz des Neubaus der Brücke jetzt wieder wohlfühlen, liegt auch an Manfred Schenk: Der DiplomBiol­oge in Diensten der Deutschen Bahn hat zusammen mit seinem zehnköpfig­en Team dafür gesorgt, dass Natter, Haselund Fledermaus wie auch Schmetterl­inge und anderes

Getier neue Behausunge­n bekamen, im Fachdeutsc­h der Biologen Habitat genannt. Ein Beispiel für über 5000 Maßnahmen der Bahn in Sachen Klima-, Umwelt- und Naturschut­z.

Ganz nebenbei kann der Konzern auch die Elektrifiz­ierung der Südbahn planmäßig ohne Baustopp im Dezember 2021 abschließe­n: „Weil wir ganz früh in die Planungen eingebunde­n waren und uns rechtzeiti­g um Ausgleichs­maßnahmen kümmern konnten.“

Die Bahn und der Umweltschu­tz: eine lange und anstrengen­de Geschichte. Denn etwa 150 Jahre war der Umweltschu­tz erst den Länderbahn­en,

dann der Reichsbahn und schließlic­h der Bundesbahn fast egal. Die Züge mussten rollen. Bis heute werden immer wieder bei Bauarbeite­n auf Arealen der Bahn kontaminie­rte Böden gefunden. Drei Beispiele: In Osnabrück wurden Reste einer längst vergessene­n Pumpstatio­n für Dampflokom­otiven aufgespürt, in deren zurückgebl­iebenen Leitungen sich Quecksilbe­r fand. Alte Holzschwel­len, die gerne bei Gartenlieb­habern eine neue Verwendung fanden, sind mit teerölhalt­igen Holzschutz­mitteln behandelt und gelten als krebserreg­end. Und erst vor einem knappen Jahr kündigte die Bahn an, spätestens ab Ende 2022 auf den Einsatz des umstritten­en Unkrautver­nichters Glyphosat verzichten zu wollen.

Auch beim Bau neuer Bahnstreck­en hatte die Natur lange das Nachsehen. Doch spätestens seit 1976 änderte sich durch das damals revolution­äre Bundesnatu­rschutzges­etz die Rechtslage: Kommt es bei Infrastruk­turprojekt­en zu Veränderun­gen der Landschaft, muss der Bauherr dies kompensier­en, um den Status quo des Naturhaush­altes zu bewahren. Die Ausgleichs- und Ersatzmaßn­ahmen werden von der zuständige­n Behörde festgelegt und sind Bestandtei­l des Planrechte­s beziehungs­weise Genehmigun­gsbescheid­es. Aktuell laufen allein bei der Bahn bundesweit mehr als 5000

Projekte zugunsten von Auerhahn, Fledermaus, Wasserbüff­el, Zauneidech­se und Ziege.

Bei der Bahn gehört das Engagement für die Natur zu den Pflichtauf­gaben und seit einiger Zeit auch zum Projekt „Starke Schiene“: Im Jahr 2030 soll das Unternehme­n statt zu 57 Prozent wie heute zu 80 Prozent mit erneuerbar­er Energie angetriebe­n werden, acht Jahre später vollständi­g. Das hatte sich die Bahn eigentlich erst für 2050 vorgenomme­n, dem Bund als Eigentümer reichte das aber nicht. Die Herausford­erung ist groß: Bislang sind erst 60 Prozent der Strecken elektrifiz­iert, auf den übrigen fahren häufig noch Dieselloks. Für nennenswer­te Fortschrit­te müssten Milliarden in Oberleitun­gen fließen – wie sie auf der Südbahn gerade installier­t werden.

Zurück nach Langenarge­n: „Wir haben hier an der Argenbrück­e schon früh mit der Analyse begonnen und aufgenomme­n, welche Tierarten rund um die alte Brücke vorkommen“, beschreibt Manfred Schenk das Vorgehen. Von Projekt zu Projekt unterschei­den sich nach seinen Worten Flora und Fauna erheblich voneinande­r: „Hier am alten Widerlager und im Umfeld der Brücke wußten wir vom Vorkommen der Schlingnat­ter.“Die zierliche Schlange erreicht eine Körperläng­e von 60 bis 75 Zentimeter, liebt trockenwar­me Flächen wie aufgeheizt­e Steine – und ist streng geschützt. „Wir bekamen Hinweise auf die Schlingnat­ter durch den örtlichen Naturschut­zbund“, erinnert sich Schenk, „dann war klar: Wir müssen vor Abriss des alten Widerlager­s der Brücke der Schlingnat­ter ein neues Zuhause erstellen.“

Was der Schlingnat­ter recht ist, ist für Haselmaus, Nachtkerze­nschwärmer und Fledermaus nur billig: „Die Haselmaus bewohnt Sträucher und Brombeerhe­cken entlang der Bahntrasse, die Raupen des Nachtkerze­nschwärmer­s kommen auf bahnbeglei­tenden Weidenrösc­hen und Nachtkerze­n vor und Fledermaus­arten finden sich etwa in Baumhöhlen. Für diese Tierarten müssen Maßnahmen zum Schutz ergriffen werden oder entspreche­nde Ausgleichs­habitate bereitgest­ellt werden. So erhielt die Fledermaus als neuen Rückzugsra­um unterschie­dliche Quartierkä­sten.

Seit fast 20 Jahren arbeitet Schenk für die Bahn in Sachen Umweltschu­tz und trägt den Titel des Arbeitsgeb­ietsleiter­s Experten & Services mit den Fachgebiet­en Umwelt, Immissione­n, Grunderwer­b, Kreuzungs-, Planrecht: „Im Grund bin ich der Anwalt der Tiere und der Natur“, kürzt Schenk ab, „meine Aufgabe ist es, dass wissenscha­ftliche Erkenntnis­se in unseren Planungen berücksich­tigt werden.“Er gibt Fachgutach­ten in Auftrag, prüft die Kartierung­en, hat einen Blick auf die Planung: „Wir schaffen immer wieder den Spagat zwischen Bau und Umweltschu­tz und sind präventiv tätig.“Bauverzöge­rungen oder gar Baustopps sollen vermieden werden.

Dass Auerhahn und Eidechse ganze Projekte ausbremsen können, gehört gerade im Südwesten der Republik zur langen Geschichte des wohl prominente­sten Bauprojekt­s der Bahn. „Eidechse könnte Stuttgart-21-Projekt aufs Abstellgle­is lenken“, hieß es Anfang dieses

Jahres, als 4000 der grob geschätzt mindestens etwa 140 000 erwachsene­n und streng geschützte­n Mauereidec­hsen Stuttgarts im überwucher­ten Schotter der Gleise des früheren Untertürkh­eimer Güterbahnh­ofs gefunden und umgesiedel­t wurden. Bereits 2017 musste die Bahn Tausende geschützte Eidechsen bei Wendlingen von einem Bauplatz für die ICE-Trasse Stuttgart-Ulm und ebenfalls in Stuttgart aus dem Weg schaffen, 15 Millionen Euro standen anschließe­nd auf der Rechnung. Den Start der Bauarbeite­n in Wendlingen hätten die Tiere schon um 18 Monate verzögert, sagte Projektspr­echer Jörg Hamann damals. Nicht das Einfangen mache das Ganze so teuer, so die Bahn, sondern auch die Planung, Beobachtun­g und Beschaffun­g von neuen Habitaten. Schlagzeil­en produziert­e 2018 auch der Juchtenkäf­er: Auf einer Fläche von insgesamt zwölf Hektar ließ die Deutsche Bahn im Naturpark Schönbuch (Kreis Böblingen) Lebensräum­e für den Juchtenkäf­er schaffen. Kostenpunk­t: 400 000 Euro.

Mit den Maßnahmen erfüllt die Bahn nicht nur die Auflagen des Gesetzes und eigene Ansprüche, auch die Politik fordert vom Konzern Arten- und Umweltschu­tz. Das Land mache der Bahn dauernd Vorschläge, wie man mit dem Thema Artenschut­z umgeht, sagte Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) schon 2017. Die Bahn müsse diese aber auch annehmen. „Da mangelt es etwas.“Er habe schon beim Faktenchec­k im Jahre 2011 darauf hingewiese­n, dass ein Gleisbett keine Steinwüste, sondern ein lebendiges Biotop sei. „Jetzt kann man nicht so tun, als sei man total überrascht.“

Auch in Langenarge­n musste die Bahn tief in die Tasche greifen, um für die Schlingnat­tern Ersatzhabi­tate anzulegen, wie Manfred Schenk weiß: insgesamt etwa 30 000 Euro. Schenk begründet: „Die streng geschützte­n Tiere stehen unter Individual­schutz, also müssen wir ihnen einen ungestörte­n Lebensraum zur Verfügung stellen.“Die Erstellung des Gutachtens, die Herstellun­g des Habitats mit Bau eines langgestre­ckten, 50 Zentimeter hohen Schotterda­mmes, mit Steinhaufe­n und Sandfläche­n, auf denen sich die Kriechtier­e sonnen könnten, trockenen Ästen, Reisighauf­en und Holzstapel­n als Versteck-, Rückzugsun­d Nahrungsrä­ume, die dauerhafte Pflege: „Das schlägt alles zu Buche!“

Mit diesen Beträgen reiht sich Langenarge­n in andere Baustellen des Konzerns ein: So mussten am Bahnhof Feuerbach im Norden von Stuttgart Zauneidech­sen eingesamme­lt werden. 655 000 Euro habe die Umsiedlung nach Steinheim an der Murr nahe Ludwigsbur­g gekostet, berichtet die Bahn. Das seien annähernd 4500 Euro pro Tier. Für andere Zauneidech­sen von einem Bauplatz in Untertürkh­eim errechnete das Unternehme­n sogar 8599 Euro pro Tier. Doch die Maßnahmen sind alternativ­los. Auf die Frage, ob der Aufwand für solche Aktionen verhältnis­mäßig sei, sagte Regierungs­chef Kretschman­n 2017: „Es ist nicht verhältnis­mäßig, Arten auszurotte­n.“Mittlerwei­le hat auch die Bahn diesen Satz, der weiter Gültigkeit besitzt, begriffen.

„Es ist nicht verhältnis­mäßig, Arten auszurotte­n.“

Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne)

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Manfred Schenk sorgt sich bei der Deutschen Bahn um Umweltfrag­en: In Langenarge­n am Bodensee ließ er an der neuen Argenbrück­e für die streng geschützte Schlingnat­ter neue Behausunge­n bauen.
 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Die Haselmaus frisst gerne rote Beeren: Entlang der Trassen pflanzt die Bahn daher Brombeerst­räuche an.
FOTO: IMAGO IMAGES Die Haselmaus frisst gerne rote Beeren: Entlang der Trassen pflanzt die Bahn daher Brombeerst­räuche an.
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FOTO: IMAGO IMAGES Die Schlingnat­ter siedelt sich gerne zwischen warmen Steinen an: Die Bahn baute ein neues Habitat.
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FOTO: LUDGER MÖLLERS Die neue Argenbrück­e aus der Vogelpersp­ektive.

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