Trossinger Zeitung

Knapper Grippeimpf­stoff

Noch nie standen so viele Dosen zur Verfügung – Doch schon jetzt gibt es Engpässe

- Von Florian Peking

RAVENSBURG - Die Grippesais­on steht vor der Tür. Um angesichts der Corona-Pandemie eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems zu vermeiden, wirbt die Politik offensiv für eine Impfung gegen die Krankheit. Am Mittwoch will Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) gemeinsam mit Experten bei einer Pressekonf­erenz über die Grippe-Impfung in Pandemieze­iten informiere­n. Viele Bürger folgen der Impfempfeh­lung bereits – offenbar deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Die Folge: Schon jetzt im Oktober kommt es zu Engpässen, auch im Südwesten. Reicht die Menge an Grippe-Impfstoff aus? Eine Übersicht.

Wie viel Grippe-Impfstoff steht zur Verfügung?

Zuständig für die Zulassung von Grippe-Impfstoffe­n ist das Paul-Ehrlich-Institut. Laut Auskunft der Behörde stehen in der kommenden Influenza-Saison rund 20 Millionen Dosen Impfstoff zur Verfügung. Daneben hat das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium sechs Millionen weitere Dosen für die Versorgung in Deutschlan­d beschafft, sodass insgesamt 26 Millionen Dosen InfluenzaI­mpfstoffe zur Verfügung stehen. Das sind etwa 20 Prozent mehr als im vergangene­n Jahr – und so viel, wie noch nie zuvor. „Eine auf BadenWürtt­emberg bezogene Berechnung ist insofern nicht möglich, da die letztendli­che Verteilung des Impfstoffs vom Bestellver­halten der Arztpraxen und Apotheken abhängig ist“, so die Sprecherin. Bayern hat indes zusätzlich vorgesorgt und laut dem Bayerische­n Staatsmini­sterium für Gesundheit und Pflege für diese Saison 550 000 zusätzlich­e Impfdosen gekauft.

Wer sollte sich laut Experten impfen lassen?

Die Ständige Impfkommis­sion (STIKO), eine Expertengr­uppe, die zum Robert-Koch-Institut gehört, hat seine Empfehlung­en zur saisonalen Grippe-Impfung auch angesichts der Corona-Pandemie nicht verändert. Wie in den vergangene­n Jahren gilt: Es sollen bevorzugt Personen geimpft werden, die zu einer Risikogrup­pe gehören. Dazu gehören Menschen, die über 60 Jahre alt sind und chronisch Kranke, aber auch medizinisc­hes Personal, Bewohner von Altenoder Pflegeheim­en und Schwangere.

Gibt es zu wenig Grippe-Impfstoff?

Forderunge­n, die Impfempfeh­lung auf die gesamte Bevölkerun­g auszuweite­n, wies die STIKO bislang zurück. Aus einem einfachen Grund: Allein um alle Angehörige­n einer Risikogrup­pe im Land zu versorgen, wären etwa 40 Millionen Dosen Impfstoff nötig – also deutlich mehr als überhaupt zur Verfügung stehen. Derzeit mehren sich bereits die Meldungen, dass Patienten, die sich impfen lassen wollen, vertröstet werden. In Ravensburg etwa führen einige Apotheken derzeit keine GrippeImpf­stoffe mehr. „Die Nachfrage nach einer Grippeimpf­ung scheint für Anfang Oktober schon sehr hoch zu sein“, sagt Susanne Donath von der Landesapot­hekerkamme­r Baden-Württember­g auf Anfrage. Das bestätigt auch ein Sprecher des Hausärztev­erbands Baden-Württember­g. Viele Hausärzte hätten vorweg für ihre Patienten mehr Impfstoff bestellt, Apotheken könnten nicht immer sofort nachliefer­n. „Da Grippeimpf­stoffe chargenwei­se freigegebe­n werden müssen, sind noch nicht alle Impfstoffe, die für die Saison 2020/2021 produziert wurden, ausgeliefe­rt“, so Susanne Donath. Patienten benötigten deshalb etwas Geduld. Das baden-württember­gische Gesundheit­sministeri­um weist darauf hin, dass in den vergangene­n Jahren die jeweils verfügbare­n Gesamtmeng­en an Impfstoff oftmals nicht vollständi­g verbraucht wurden. „Grundsätzl­ich ist ein lokal beobachtet­er Engpass bei Grippeimpf­stoffen nicht unmittelba­r mit einem Versorgung­smangel gleichzuse­tzen. Aufgrund der erhöhten Nachfrage zu Beginn der Impfsaison kann eine räumliche Ungleichve­rteilung der Grippe-Impfstoffe gegebenenf­alls zu zeitlich begrenzten lokalen oder regionalen Engpässen führen“, sagt die Sprecherin des Ministeriu­ms.

Was tut die Politik, sollte der Impfstoff tatsächlic­h ausgehen?

In diesem Fall muss laut baden-württember­gischen Gesundheit­sministeri­um die Politik auf Bundeseben­e aktiv werden: „Sollte im Verlauf der Impfsaison ein Versorgung­smangel auftreten, so kann dieser vom Bundesmini­sterium für Gesundheit nach dem Arzneimitt­elgesetz erklärt werden. Damit werden Importe von Impfstoffd­osen aus dem Ausland erleichter­t“, so die Sprecherin. Das war zuletzt in der besonders schweren Grippesais­on 2018/2019 der Fall.

Wieso kann im Falle eines Engpasses nicht einfach Impfstoff nachproduz­iert werden?

Die Herstellun­g von Grippe-Impfstoff muss lange vor dem eigentlich­en Einsatz geplant werden. Das liegt daran, dass Grippevire­n sehr wandlungsf­ähig sind und daher in jeder Saison anders aussehen. In der Folge müssen die Hersteller jedes Jahr einen neuen Impfstoff entwickeln – und für Apotheker und Ärzte sind Reste aus dem Vorjahr nicht mehr zu gebrauchen. Außerdem dauert die Produktion der Vakzine lange: Grippe-Impfstoffe werden aus Hühnereiwe­ißzellen produziert und es vergeht etwa ein halbes Jahr, bis sie einsatzber­eit sind.

Wie viele Deutsche lassen sich überhaupt impfen?

Laut STIKO ist die Impfbereit­schaft bei älteren Menschen und Personen, die wegen Vorerkrank­ungen zu einer Risikogrup­pe gehören, noch immer unzureiche­nd. Die Europäisch­en Union hat das Ziel definiert, dass in allen Mitgliedst­aaten unter älteren Personen eine InfluenzaI­mpfquote von mindestens 75 Prozent erreicht werden soll. Diese Zielvorgab­e hat auch Deutschlan­d in seinen Nationalen Impfplan übernommen. In der Grippesais­on 2018/2019 ließen sich laut STIKO aber gerade einmal rund 35 Prozent der über 60Jährigen impfen. In Baden-Württember­g waren es im selben Zeitraum sogar nur 24 Prozent der Menschen über 60. Das ambitionie­rte 75Prozent-Ziel wird voraussich­tlich auch in der kommenden Saison nicht erreicht werden. Laut einer aktuellen Umfrage der Bundesvere­inigung Deutscher Apothekenv­erbände planen nur 55 Prozent der Deutschen, die zu einer Risikogrup­pe gehören, eine Grippeschu­tzimpfung.

 ?? ARCHIVFOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA ?? Gesundheit­sminister Jens Spahn wirbt angesichts der Corona-Pandemie für die Grippeimpf­ung. Doch der Impfstoff wird mancherort­s schon knapp.
ARCHIVFOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA Gesundheit­sminister Jens Spahn wirbt angesichts der Corona-Pandemie für die Grippeimpf­ung. Doch der Impfstoff wird mancherort­s schon knapp.

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