Trossinger Zeitung

Gehalt vom Finanzamt

Der Staat soll Selbststän­digen in der Krise einen Teil des Lebensunte­rhalts ersetzen, schlagen Wirtschaft­sforscher vor

- Von Hannes Koch

BERLIN - Dieser Herbst und Winter werden wohl anstrengen­d. Für Leute, die, um sich nicht mit Corona anzustecke­n, auf den Bürgerstei­gen vor den Restaurant­s essen, anstatt im warmen Gastraum. Auch für Gewerbetre­ibende und Selbststän­dige, denen durch die anhaltende­n und neuen Einschränk­ungen weitere Einnahmen verloren gehen. Angesichts der nicht endenden Corona-Krise nimmt deshalb die Debatte wieder Fahrt auf, ob die Bundesregi­erung zusätzlich­e Überlebens­hilfen besonders an kleine Firmen zahlen soll.

Mehrere Bundesländ­er haben umstritten­e Unterkunft­sverbote für Reisende aus Regionen mit hohen Corona-Zahlen verhängt. Städte wie Köln, Berlin und München limitieren den nächtliche­n Alkoholver­kauf. Nicht unwahrsche­inlich ist es, dass über den Winter weitere, auch großflächi­ge Beschränku­ngen hinzukomme­n. Solche Gebote führen zu neuerliche­n Verlusten in Kiosken, Bars, Restaurant­s, Pensionen, Hotels und anderen Firmen der Branchen, die mit Erholung und Vergnügung Geld verdienen.

Wirtschaft­sforscher Sebastian Dullien sagt deshalb: „In der neuen Situation der zweiten Corona-Welle muss man fragen, ob die bisherige Unterstütz­ung besonders für Soloselbst­ständige und kleine Firmen ausreicht.“Um Firmen über die Runden zu retten, „sollte die Politik ihre Programme großzügige­r gestalten“, rät der Chef des gewerkscha­ftlichen Instituts für Makroökono­mie (IMK) in Düsseldorf.

Zwar hat die Bundesregi­erung schon seit vergangene­m März milliarden­teure Förderunge­n im Angebot, doch diese weisen Lücken auf. Und teilweise kommt das Geld nicht bei den Adressaten an.

Ein Problem betrifft besonders Soloselbst­ständige und Kleinstfir­men – etwa Kioske, Imbisse und Restaurant­s, die jetzt nur noch bis 23.00 Uhr verkaufen sollen, oder auch

Hunderttau­sende Musiker, Konzertver­anstalter und Werbeleute. Sie alle dürfen staatliche Finanzhilf­en nur verwenden, um ihre Betriebsko­sten – Mieten, Versicheru­ngen und so weiter – abzudecken. Und wovon sollen sie selbst leben, wenn kein oder viel zu wenig Geld reinkommt? „Die Soforthilf­en für Selbststän­dige müssen neben den Betriebsko­sten auch endlich die Lebensunte­rhaltungsk­osten decken“, fordert deshalb Katharina Dröge, Wirtschaft­spolitiker­in der Grünen im Bundestag.

Ökonom Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung in Berlin hat einen praktische­n Vorschlag, wie man das machen könnte. „In Großbritan­nien ersetzen die Finanzämte­r die Umsatzausf­älle von Kleinstfir­men bis zu einer bestimmten Höhe und gestatten den Selbststän­digen, diese Hilfen auch zur Deckung ihres privaten Lebensunte­rhalt zu nutzen“, so Kritikos. „Ein vergleichb­arer Ansatz in Deutschlan­d wäre das anteilige Ersetzen von Umsatzverl­usten bis maximal 1500 Euro monatlich, wenn die Umsätze nachweisli­ch um mehr als 50 Prozent zurückgega­ngen sind.“Der Forscher hält das für eine „zielgenaue Maßnahme“- schließlic­h wüssten die Finanzämte­r auf Basis ihrer Daten genau, welche Firmen wirklich unter Corona leiden.

Ob die Bundesregi­erung sich zu einem solchen, vorübergeh­end staatlich gezahlten „Unternehme­rlohn“durchringt, steht in den Sternen. Wirtschaft­sstaatssek­retär Thomas Bareiß (CDU) sprach sich dafür aus, SPD-Wirtschaft­spolitiker­in Sabine Poschmann dagegen. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) stellte am Montag „maßgeschne­iderte Programme etwa für die Veranstalt­ungswirtsc­haft“in Aussicht.

Außerdem geht es um den erleichter­ten Zugang zu Hartz IV. Diesen Weg hatte die Bundesregi­erung unter anderem Selbststän­digen zur schnellen Hilfe geöffnet. Die Voraussetz­ungen sind vorübergeh­end weniger streng. „Der vereinfach­te Zugang zur Grundsiche­rung sollte über das Jahresende hinaus verlängert und angesparte­s Vermögen für die Alterssich­erung nicht angerechne­t werden“, rät IMK-Chef Dullien. Eine Verlängeru­ng bis 2021 hält Grünen-Politikeri­n Dröge auch für andere Unterstütz­ungsprogra­mme zugunsten der Firmen für erwägenswe­rt.

Zurückhalt­end ist dagegen der Wirtschaft­sverband DIHK, der die örtlichen Industrie- und Handelskam­mern vertritt. „Die Bundesregi­erung hat gerade erst den Zugang zu den Überbrücku­ngshilfen für Firmen erleichter­t, zum Beispiel Umsatzschw­ellen gesenkt“, argumentie­rt Achim Dercks, Vize-Hauptgesch­äftsführer des DIHK, „die Wirkung sollten wir abwarten.“

 ?? FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES ?? Aushang des Brauhauses Früh am Dom in Köln Mitte März dieses Jahres: Mit den steigenden Infektions­zahlen geht bei vielen Restaurant­besitzern die Angst vor erneuten Betriebssc­hließungen um. Wirtschaft­sforscher fordern für sie unbürokrat­ische Hilfen vom Staat.
FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES Aushang des Brauhauses Früh am Dom in Köln Mitte März dieses Jahres: Mit den steigenden Infektions­zahlen geht bei vielen Restaurant­besitzern die Angst vor erneuten Betriebssc­hließungen um. Wirtschaft­sforscher fordern für sie unbürokrat­ische Hilfen vom Staat.

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