Gehalt vom Finanzamt
Der Staat soll Selbstständigen in der Krise einen Teil des Lebensunterhalts ersetzen, schlagen Wirtschaftsforscher vor
BERLIN - Dieser Herbst und Winter werden wohl anstrengend. Für Leute, die, um sich nicht mit Corona anzustecken, auf den Bürgersteigen vor den Restaurants essen, anstatt im warmen Gastraum. Auch für Gewerbetreibende und Selbstständige, denen durch die anhaltenden und neuen Einschränkungen weitere Einnahmen verloren gehen. Angesichts der nicht endenden Corona-Krise nimmt deshalb die Debatte wieder Fahrt auf, ob die Bundesregierung zusätzliche Überlebenshilfen besonders an kleine Firmen zahlen soll.
Mehrere Bundesländer haben umstrittene Unterkunftsverbote für Reisende aus Regionen mit hohen Corona-Zahlen verhängt. Städte wie Köln, Berlin und München limitieren den nächtlichen Alkoholverkauf. Nicht unwahrscheinlich ist es, dass über den Winter weitere, auch großflächige Beschränkungen hinzukommen. Solche Gebote führen zu neuerlichen Verlusten in Kiosken, Bars, Restaurants, Pensionen, Hotels und anderen Firmen der Branchen, die mit Erholung und Vergnügung Geld verdienen.
Wirtschaftsforscher Sebastian Dullien sagt deshalb: „In der neuen Situation der zweiten Corona-Welle muss man fragen, ob die bisherige Unterstützung besonders für Soloselbstständige und kleine Firmen ausreicht.“Um Firmen über die Runden zu retten, „sollte die Politik ihre Programme großzügiger gestalten“, rät der Chef des gewerkschaftlichen Instituts für Makroökonomie (IMK) in Düsseldorf.
Zwar hat die Bundesregierung schon seit vergangenem März milliardenteure Förderungen im Angebot, doch diese weisen Lücken auf. Und teilweise kommt das Geld nicht bei den Adressaten an.
Ein Problem betrifft besonders Soloselbstständige und Kleinstfirmen – etwa Kioske, Imbisse und Restaurants, die jetzt nur noch bis 23.00 Uhr verkaufen sollen, oder auch
Hunderttausende Musiker, Konzertveranstalter und Werbeleute. Sie alle dürfen staatliche Finanzhilfen nur verwenden, um ihre Betriebskosten – Mieten, Versicherungen und so weiter – abzudecken. Und wovon sollen sie selbst leben, wenn kein oder viel zu wenig Geld reinkommt? „Die Soforthilfen für Selbstständige müssen neben den Betriebskosten auch endlich die Lebensunterhaltungskosten decken“, fordert deshalb Katharina Dröge, Wirtschaftspolitikerin der Grünen im Bundestag.
Ökonom Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat einen praktischen Vorschlag, wie man das machen könnte. „In Großbritannien ersetzen die Finanzämter die Umsatzausfälle von Kleinstfirmen bis zu einer bestimmten Höhe und gestatten den Selbstständigen, diese Hilfen auch zur Deckung ihres privaten Lebensunterhalt zu nutzen“, so Kritikos. „Ein vergleichbarer Ansatz in Deutschland wäre das anteilige Ersetzen von Umsatzverlusten bis maximal 1500 Euro monatlich, wenn die Umsätze nachweislich um mehr als 50 Prozent zurückgegangen sind.“Der Forscher hält das für eine „zielgenaue Maßnahme“- schließlich wüssten die Finanzämter auf Basis ihrer Daten genau, welche Firmen wirklich unter Corona leiden.
Ob die Bundesregierung sich zu einem solchen, vorübergehend staatlich gezahlten „Unternehmerlohn“durchringt, steht in den Sternen. Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß (CDU) sprach sich dafür aus, SPD-Wirtschaftspolitikerin Sabine Poschmann dagegen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) stellte am Montag „maßgeschneiderte Programme etwa für die Veranstaltungswirtschaft“in Aussicht.
Außerdem geht es um den erleichterten Zugang zu Hartz IV. Diesen Weg hatte die Bundesregierung unter anderem Selbstständigen zur schnellen Hilfe geöffnet. Die Voraussetzungen sind vorübergehend weniger streng. „Der vereinfachte Zugang zur Grundsicherung sollte über das Jahresende hinaus verlängert und angespartes Vermögen für die Alterssicherung nicht angerechnet werden“, rät IMK-Chef Dullien. Eine Verlängerung bis 2021 hält Grünen-Politikerin Dröge auch für andere Unterstützungsprogramme zugunsten der Firmen für erwägenswert.
Zurückhaltend ist dagegen der Wirtschaftsverband DIHK, der die örtlichen Industrie- und Handelskammern vertritt. „Die Bundesregierung hat gerade erst den Zugang zu den Überbrückungshilfen für Firmen erleichtert, zum Beispiel Umsatzschwellen gesenkt“, argumentiert Achim Dercks, Vize-Hauptgeschäftsführer des DIHK, „die Wirkung sollten wir abwarten.“