Trossinger Zeitung

Auf Entzug vom süßen Gift

Die Logistikun­ternehmen im Südwesten wollen sich nicht mehr allein auf die Automobili­ndustrie verlassen

- Von Emanuel Hege

GÖPPINGEN/GIENGEN - Katrin Schütz scheint ernsthaft beeindruck­t von den Ausmaßen der Lagerhalle des Logistiker­s Wiedmann & Winz in Eislingen im Landkreis Göppingen. Die Staatssekr­etärin des Wirtschaft­sministeri­ums besucht bei ihrer jährlichen „Logistikre­ise“an einem Tag mehrere Unternehme­n der Branche, beim Anblick der fast 18 Meter hohen Regale hakt sie nach. „Welche Waren transporti­ert das Unternehme­n denn so?“Getränkedo­sen, Kosmetikpr­odukte, Töpfe und Pfannen, aber auch Teile von Autozulief­erern, antwortet Micha Alexander Lege, Geschäftsf­ührender Gesellscha­fter. „Wir orientiere­n uns gerade um“, sagt Lege, „weniger Automotive und hin zum Handel.“Einige der Partner aus der Autoindust­rie stehen derzeit stark unter Druck, ergänzt er. „Dabei war das immer die sichere Bank“, antwortet Schütz nachdenkli­ch.

Das süße Gift, nennt es derweil Andrea Marongiu. Er ist Geschäftsf­ührer des Berufsverb­andes Spedition und Logistik (VSL) und erklärt, dass sich viele Unternehme­n in der Vergangenh­eit von der Automobili­ndustrie abhängig gemacht haben. „Zehn Jahre lief das gut, es gab einen riesigen Auftrag nach dem anderen, jetzt sieht das anders aus.“Die 19 500 Unternehme­n der Branche Spedition und Logistik in Baden-Württember­g beschäftig­en rund 400 000 Mitarbeite­r – aus der Corona-Krise ist ein Großteil mit einem blauen Auge gekommen, verrät Marongiu. Der Druck des Strukturwa­ndels der Automobili­ndustrie

verschärft sich jedoch auch für die Logistiker und zwingt die Unternehme­r, begonnene Veränderun­gsprozesse zu beschleuni­gen.

„Im März und April ist das Volumen aus dem Automotive-Bereich bei uns um rund 80 Prozent eingebroch­en“, sagt Andreas Bühler. Er ist Geschäftsf­ührer bei Wiedmann & Winz und weiß, wie sich der Warenstrom verändert. Zwar liege das Volumen aus der Automobili­ndustrie derzeit nur noch fünf bis zehn Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau, „wir haben aber gemerkt, dass wir nicht nur an dem Konjunktur­tropf einer Branche hängen können.“Vor vier Jahren machte der Automotive­Bereich noch 50 Prozent des bewegten Volumens bei Wiedmann & Winz aus, Stück für Stück habe sich das Unternehme­n umorientie­rt, hin zu Kosmetikpr­odukten, Haushaltsw­aren und Gefahrgut. Mittlerwei­le ist der Autoanteil der Aufträge auf unter ein Drittel gesunken, sagt Bühler – „wir wollen aus diesem Bereich aber natürlich nicht ganz raus.“

Unter der Last des Strukturwa­ndels geben die Autoherste­ller den Preisdruck derzeit an die Zulieferer­firmen weiter, erklärt Andreas Bühler – die müssten auch ein Ventil finden, und geben den Druck wiederum an die Logistiker weiter. „Bei neuen Vertragsve­rhandlunge­n im Automotive-Bereich liegt der Fokus mittlerwei­le voll auf den Preisen. Ich kann das nachvollzi­ehen.“Das neue Verhältnis der Logistik zur Auto-Branche erkennt Andrea Marongiu auch bei vielen anderen Verbandsmi­tgliedern.

„Viele sagen jetzt: Wir müssen unser Portfolio überarbeit­en“, berichtet der Geschäftsf­ührer des Berufsverb­andes. Immer mehr Unternehme­n würden sich in Richtung Endkonsume­nten orientiere­n. Diejenigen, die sich bereits breiter aufgestell­t haben, freuen sich über ein besonders erfolgreic­hes Jahr, sagt Marongiu.

Für einige Logistikun­ternehmen verlief das Geschäftsj­ahr nämlich deutlich besser als erwartet, bestätigt der Verband. Das sah zu Beginn der Pandemie noch ganz anders aus. „Am Anfang haben unsere Umfragen katastroph­ale Ergebnisse geliefert“, sagt Marongiu. Es zeichneten sich schlimme Szenarien ab. Einige Unternehme­r meldeten damals, dass sie nur noch acht Wochen weitermach­en könnten, dann seien sie nicht mehr liquide. „Alle haben aber schnell reagiert. Ich habe zwar noch Bauchschme­rzen wegen dem kommenden Jahr, aber derzeit gibt es keine Existenzän­gste.“

Auch die Schwarz Logistik Gruppe aus Giengen an der Brenz ist zufrieden mit der Auftragsla­ge, die Kurzarbeit wurde nach nur zwei Monaten wieder gestrichen. „Ich hätte nie gedacht, dass wir in diesem Jahr solche Luxusprobl­eme haben“, sagt Geschäftsf­ührer Thomas Schwarz. Von der Automotive-Branche habe sich das Unternehme­n schon seit Längerem unabhängig gemacht. Schwarz lagert und transporti­ert unter anderem Haushaltsg­eräte für den Hersteller BSH, außerdem Kleidung, Technik und Wohnartike­l für den Versandhän­dler Baur. „Das Onlinegesc­häft brummt dermaßen, die haben ihr Volumen verdreifac­ht. Wenn bei denen jemand etwas bestellt, kommt das direkt bei uns an.“

Ein weiterer großer Auftraggeb­er ist Ikea. Egal ob Ludwigsbur­g, Sindelfing­en, Ulm und sogar runter bis nach München – Schwarz ist einer der wichtigste­n Logistiker für die süddeutsch­en Filialen des schwedisch­en Möbelriese­n. „Anfangs hatten wir Sorgen, aber Ikea hat den Umschwung in der Krise gut geschafft“, sagt Thomas Schwarz. Online durchstöbe­rn, bestellen und einfach am Markt abholen – so begegnete das Möbelhaus den Ladenschli­eßungen im Frühjahr, und das mit Erfolg. „Bei Großinvest­itionen sind alle vorsichtig, aber kleine Anschaffun­gen im privaten Bereich liefen in diesem Jahr richtig gut.“Egal ob ein neuer Grill, Fahrräder oder Projekte am Eigenheim – eigentlich hätten seine Leute sogar zu viel zu tun, sagt Schwarz.

Auch Andrea Marongiu hat in den vergangene­n Monaten gemerkt, dass mehr Menschen den Onlinehand­el für sich entdeckt haben – das helfe schlussend­lich auch seinen Verbandsmi­tgliedern. „Viele haben gesagt, der Onlinehand­el gehe wieder zurück auf das Niveau vor Corona“, sagt Marongiu, „das passiert aber gerade gar nicht. Viele neue Kunden haben sich in der Krise für den Onlinehand­el geöffnet.“

An der Logistik lasse sich die Konjunktur einer Region oder eines Landes ablesen, betont Staatssekr­etärin Katrin Schütz auf ihrer Logistikre­ise: „Die Branche ist das Rückgrat unserer Wirtschaft.“Fahrermang­el, Preisdruck, schlechte Infrastruk­tur und fehlende Wertschätz­ung sieht Schütz als die großen Probleme der Branche. „Mit der Reise möchte ich auch meine Wertschätz­ung für die Betriebe ausdrücken,“sagt sie, „gerade ein exportstar­ker Wirtschaft­sstandort wie Baden-Württember­g ist auf die zuverlässi­ge Dienstleis­tung der Branche angewiesen.“

Verbandsch­ef Marongiu ist froh, dass sich die Staatssekr­etärin diesen Einblick verschafft. „Wir leben in Zeiten massiver Unsicherhe­it. Die Unternehme­n müssen sich darauf verlassen können, das die Politik in Zukunft nicht an einem Tag A sagt und am nächsten Tag B.“Marongiu verlangt Planungssi­cherheit, weniger bürokratis­che Hürden und ein Ende der Überforder­ung durch Umweltaufl­agen. Dann würden es die Logistikun­ternehmen packen – weg vom süßen Gift, hin zur vielseitig­en Logistik.

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Verbandsch­ef Andrea Marongiu.

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