Pflegeform geht „in die richtige Richtung“
Ein Angehöriger, ein Betreuer und eine Heimleiterin zu den Plänen von Gesundheitsminister Jens Spahn
SPAICHINGEN/ALDINGEN - Pflege in Deutschland wird immer teurer, und viele befürchten, durch Pflegebedürftigkeit im Alter arm zu werden und nichts mehr vererben zu können. Mit einer geplanten Pflegereform will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zumindest den Eigenanteil am Kostenfaktor „Pflege“auf 700 Euro im Monat deckeln. (Siehe den Info-Kasten.) Wir haben mit einem Angehörigen, einem Betreuer und einer Heimleiterin gesprochen, wie sie die Reformpläne bewerten.
„Man wird viel hellhöriger, wenn man selbst betroffen ist“, sagt Wilhelm Ludomirska, dessen Schwiegermutter zur Zeit im Seniorenzentrum Im Brühl in Aldingen gepflegt wird. Bis zum vergangenen Jahr lebte auch sein inzwischen verstorbener Vater im Pflegeheim. Für Wilhelm Ludomirska geht Jens Spahns Reform „oder vielmehr Reförmchen bezüglich der reinen Pflegekosten vielleicht in die richtige Richtung“, greife aber viel zu kurz. Man müsse viel früher anfangen mit dem Thema und etwa die zwischen Bundesland und Bundesland, aber auch Einrichtung und Einrichtung stark schwankenden Kosten angehen.
Immerhin, so erinnert Wilhelm Ludomirska, gibt es bereits seit Anfang 2020 eine gewisse Entlastung für Kinder von Pflegebedürftigen. Seitdem werden Kinder erst ab einem Bruttoeinkommen ab 100 000 Euro jährlich zum Pflegeunterhalt der Eltern herangezogen. Das Vermögen – und damit das Lebenswerk – der Eltern selbst ist für die eigene Pflege jedoch nach wie vor aufzubrauchen.
Wilhelm Ludomirskas Schwiegermutter bezieht Rente und Witwenrente – „was natürlich nicht ausreicht, um die Gesamtkosten zu tragen“. So muss dann ihr im Laufe des Lebens angespartes Vermögen – bis auf ein Schonvermögen von 5000 Euro - aufgebraucht werden. „Denn es kommt ja jeden Monat eine Rechnung – und die muss bezahlt werden.“
„Das im Erwerbslebern erarbeitete und auch versteuerte Vermögen wird dann am Ende letztlich in die Hände der Pflegeinstitution gegeben“, fasst es Ludomirska zusammen. Wer dagegen „in den Tag hinein gelebt hat, keine Steuern bezahlt und kein Vermögen aufgebaut hat“, für den übernehme von Anfang an das Sozialamt die Kosten. „Da wird die Solidarität doch sehr strapaziert“, findet Wilhelm Ludomirska.
Auch Willibald Beyer hat seine Eigentumswohnung verkaufen müssen. Seit der Eröffnung des Seniorenheims Im Brühl im Jahr 2006 lebt er dort, wo ihm Andreas Derbogen als ehrenamtlicher Betreuer zugeteilt ist. Inzwischen ist Willibald Beyer ein Vollpflegefall. Die Rente, die er erhält, geht komplett an die Ziegler’schen Anstalten, die das Seniorenzentrum Im Brühl betreiben. Allerdings deckt das längst nicht die gesamten Pflege-, Unterbringungsund Investitionskosten ab, die er zahlen muss, und so kommt für den Rest das Sozialamt auf. Ungefähr ein Drittel der Gesamtkosten, so Andreas Derbogen, könne Willibald Beyer mit seiner Rente bezahlen, zwei Drittel bezahlt das Sozialamt.
Willibald Beyer hatte eine Eigentumswohnung besessen, die verkauft werden musste. Aus dem Erlös mussten zunächst die bis dahin vom Sozialamt bezahlten Beträge mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt werden. Aus dem, was übrig blieb, wurde dann der Pflegeaufenthalt weiter bezahlt, bis das Geld nach zwei Jahren aufgebraucht war, und wieder das Sozialamt einsprang.
„Die vorgeschlagene Reform bringt für einige sicher Vorteile“, bilanziert Derbogen, vor allem, wenn Angehörige mit zur Finanzierung herangezogen werden, – aber für Willibald Beyer häte sie keine konkreten Auswirkungen.
Allerdings hat Andreas Derbogen auch ein Problem mit den Kritikern des Reformvorschlags, die sagen, das sei zu wenig, und das Risiko müsse komplett vom Staat übernommen werden. „Eine Vollkasko-Pflegeversicherung würde auch Vollkasko-Beträge erfordern“, gibt Derbogen zu bedenken. „Und das kennen wir ja vom Auto: Die wären sehr teuer. Aber gleichzeitig sollen die Beiträge zur Pflege nicht steigen. Auf die Dauer ist das nicht machbar“, rechnet Derbogen vor. Und letztlich: Ob durch Eigenanteil, Versicherungsbeiträge oder Steuern – am Ende bezahlen die Bürger: „Der Staat kann eben nur das ausgeben, was er von seinen Bürgern erhält.“
Wie aber sieht die geplante Spahn’sche Reform aus der Sicht der HeimBetreiber aus? Auch für Sarah Keller, Einrichtungsleiterin des Altenzentrums St. Josef in Spaichingen, gehen die Reformvorschläge von Jens Spahn zumindest „in die richtige Richtung“. Sie würden daher von der Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn, die unter anderem St. Josef und das Altenzentrum St. Ulrich in Wehingen betreibt, auch ausdrücklich unterstützt. Denn Sarah Keller sieht darin einen weiteren Schritt zum sogenannten „SockelSpitze-Tausch“, für den sich auch die Stiftung St. Franziskus einsetze. Will sagen: Bislang übernimmt die Pflegeversicherung – je nach Pflegegrad – bestimmte festgelegte Sockelbeträge. Alle Kosten, die darüber hinaus gehen, – die „Spitze“– zahlt der Gepflegte als Eigenanteil. Diese „Spitze“kann erheblich variieren und wird vor allem in der Zukunft stetig steigen, so dass das Lebensrisiko „Pflege“für viele immer unkalkulierbarer werde.
Statt dessen, so Sarah Keller, strebten St. Franziskus und die von der Stiftung unterstützte Initiative „Pro Pflegereform“an, dass die ZuPflegenden einen festen Sockel bezahlen, so dass der Eigenanteil überschaubar und vor allem voraussehbar bleibt, und die Pflegeversicherung, dann die variable „Spitze“abdeckt. Spahns Reformvorschlag, der zumindest den Eigenanteil am Kostenfaktor Pflege auf 25 200 Euro deckelt (nämlich 700 Euro und das höchstens 36 Monate lang) gehe in diese Richtung.
Auch dass die Reform eine bessere Bezahlung von Pflegekräften vorsieht, wird von Sarah Keller ausdrücklich begrüßt. St. Franziskus zahle „schon immer“Tariflohn. Allerdings sei der Markt an Pflegekräften
– trotz zahlreicher Fachkräfte aus dem Ausland – ausgereizt. „Aktuell haben wir aber alle Plätze besetzt.“
Mitbewerber auf dem Personalmarkt seien neben anderen Altenzentren auch ambulante Pflegedienste und Sozialstationen und auch Krankenhäuser, die inzwischen ebenfalls vermehrt Altenpfleger einstellten, sowie die Medizinischen Dienste der Krankenkassen.