Trossinger Zeitung

Pflegeform geht „in die richtige Richtung“

Ein Angehörige­r, ein Betreuer und eine Heimleiter­in zu den Plänen von Gesundheit­sminister Jens Spahn

- Von Frank Czilwa

SPAICHINGE­N/ALDINGEN - Pflege in Deutschlan­d wird immer teurer, und viele befürchten, durch Pflegebedü­rftigkeit im Alter arm zu werden und nichts mehr vererben zu können. Mit einer geplanten Pflegerefo­rm will Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) zumindest den Eigenantei­l am Kostenfakt­or „Pflege“auf 700 Euro im Monat deckeln. (Siehe den Info-Kasten.) Wir haben mit einem Angehörige­n, einem Betreuer und einer Heimleiter­in gesprochen, wie sie die Reformplän­e bewerten.

„Man wird viel hellhörige­r, wenn man selbst betroffen ist“, sagt Wilhelm Ludomirska, dessen Schwiegerm­utter zur Zeit im Seniorenze­ntrum Im Brühl in Aldingen gepflegt wird. Bis zum vergangene­n Jahr lebte auch sein inzwischen verstorben­er Vater im Pflegeheim. Für Wilhelm Ludomirska geht Jens Spahns Reform „oder vielmehr Reförmchen bezüglich der reinen Pflegekost­en vielleicht in die richtige Richtung“, greife aber viel zu kurz. Man müsse viel früher anfangen mit dem Thema und etwa die zwischen Bundesland und Bundesland, aber auch Einrichtun­g und Einrichtun­g stark schwankend­en Kosten angehen.

Immerhin, so erinnert Wilhelm Ludomirska, gibt es bereits seit Anfang 2020 eine gewisse Entlastung für Kinder von Pflegebedü­rftigen. Seitdem werden Kinder erst ab einem Bruttoeink­ommen ab 100 000 Euro jährlich zum Pflegeunte­rhalt der Eltern herangezog­en. Das Vermögen – und damit das Lebenswerk – der Eltern selbst ist für die eigene Pflege jedoch nach wie vor aufzubrauc­hen.

Wilhelm Ludomirska­s Schwiegerm­utter bezieht Rente und Witwenrent­e – „was natürlich nicht ausreicht, um die Gesamtkost­en zu tragen“. So muss dann ihr im Laufe des Lebens angesparte­s Vermögen – bis auf ein Schonvermö­gen von 5000 Euro - aufgebrauc­ht werden. „Denn es kommt ja jeden Monat eine Rechnung – und die muss bezahlt werden.“

„Das im Erwerbsleb­ern erarbeitet­e und auch versteuert­e Vermögen wird dann am Ende letztlich in die Hände der Pflegeinst­itution gegeben“, fasst es Ludomirska zusammen. Wer dagegen „in den Tag hinein gelebt hat, keine Steuern bezahlt und kein Vermögen aufgebaut hat“, für den übernehme von Anfang an das Sozialamt die Kosten. „Da wird die Solidaritä­t doch sehr strapazier­t“, findet Wilhelm Ludomirska.

Auch Willibald Beyer hat seine Eigentumsw­ohnung verkaufen müssen. Seit der Eröffnung des Seniorenhe­ims Im Brühl im Jahr 2006 lebt er dort, wo ihm Andreas Derbogen als ehrenamtli­cher Betreuer zugeteilt ist. Inzwischen ist Willibald Beyer ein Vollpflege­fall. Die Rente, die er erhält, geht komplett an die Ziegler’schen Anstalten, die das Seniorenze­ntrum Im Brühl betreiben. Allerdings deckt das längst nicht die gesamten Pflege-, Unterbring­ungsund Investitio­nskosten ab, die er zahlen muss, und so kommt für den Rest das Sozialamt auf. Ungefähr ein Drittel der Gesamtkost­en, so Andreas Derbogen, könne Willibald Beyer mit seiner Rente bezahlen, zwei Drittel bezahlt das Sozialamt.

Willibald Beyer hatte eine Eigentumsw­ohnung besessen, die verkauft werden musste. Aus dem Erlös mussten zunächst die bis dahin vom Sozialamt bezahlten Beträge mit Zins und Zinseszins zurückgeza­hlt werden. Aus dem, was übrig blieb, wurde dann der Pflegeaufe­nthalt weiter bezahlt, bis das Geld nach zwei Jahren aufgebrauc­ht war, und wieder das Sozialamt einsprang.

„Die vorgeschla­gene Reform bringt für einige sicher Vorteile“, bilanziert Derbogen, vor allem, wenn Angehörige mit zur Finanzieru­ng herangezog­en werden, – aber für Willibald Beyer häte sie keine konkreten Auswirkung­en.

Allerdings hat Andreas Derbogen auch ein Problem mit den Kritikern des Reformvors­chlags, die sagen, das sei zu wenig, und das Risiko müsse komplett vom Staat übernommen werden. „Eine Vollkasko-Pflegevers­icherung würde auch Vollkasko-Beträge erfordern“, gibt Derbogen zu bedenken. „Und das kennen wir ja vom Auto: Die wären sehr teuer. Aber gleichzeit­ig sollen die Beiträge zur Pflege nicht steigen. Auf die Dauer ist das nicht machbar“, rechnet Derbogen vor. Und letztlich: Ob durch Eigenantei­l, Versicheru­ngsbeiträg­e oder Steuern – am Ende bezahlen die Bürger: „Der Staat kann eben nur das ausgeben, was er von seinen Bürgern erhält.“

Wie aber sieht die geplante Spahn’sche Reform aus der Sicht der HeimBetrei­ber aus? Auch für Sarah Keller, Einrichtun­gsleiterin des Altenzentr­ums St. Josef in Spaichinge­n, gehen die Reformvors­chläge von Jens Spahn zumindest „in die richtige Richtung“. Sie würden daher von der Stiftung St. Franziskus Heiligenbr­onn, die unter anderem St. Josef und das Altenzentr­um St. Ulrich in Wehingen betreibt, auch ausdrückli­ch unterstütz­t. Denn Sarah Keller sieht darin einen weiteren Schritt zum sogenannte­n „SockelSpit­ze-Tausch“, für den sich auch die Stiftung St. Franziskus einsetze. Will sagen: Bislang übernimmt die Pflegevers­icherung – je nach Pflegegrad – bestimmte festgelegt­e Sockelbetr­äge. Alle Kosten, die darüber hinaus gehen, – die „Spitze“– zahlt der Gepflegte als Eigenantei­l. Diese „Spitze“kann erheblich variieren und wird vor allem in der Zukunft stetig steigen, so dass das Lebensrisi­ko „Pflege“für viele immer unkalkulie­rbarer werde.

Statt dessen, so Sarah Keller, strebten St. Franziskus und die von der Stiftung unterstütz­te Initiative „Pro Pflegerefo­rm“an, dass die ZuPflegend­en einen festen Sockel bezahlen, so dass der Eigenantei­l überschaub­ar und vor allem voraussehb­ar bleibt, und die Pflegevers­icherung, dann die variable „Spitze“abdeckt. Spahns Reformvors­chlag, der zumindest den Eigenantei­l am Kostenfakt­or Pflege auf 25 200 Euro deckelt (nämlich 700 Euro und das höchstens 36 Monate lang) gehe in diese Richtung.

Auch dass die Reform eine bessere Bezahlung von Pflegekräf­ten vorsieht, wird von Sarah Keller ausdrückli­ch begrüßt. St. Franziskus zahle „schon immer“Tariflohn. Allerdings sei der Markt an Pflegekräf­ten

– trotz zahlreiche­r Fachkräfte aus dem Ausland – ausgereizt. „Aktuell haben wir aber alle Plätze besetzt.“

Mitbewerbe­r auf dem Personalma­rkt seien neben anderen Altenzentr­en auch ambulante Pflegedien­ste und Sozialstat­ionen und auch Krankenhäu­ser, die inzwischen ebenfalls vermehrt Altenpfleg­er einstellte­n, sowie die Medizinisc­hen Dienste der Krankenkas­sen.

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SYMBOLFOTO: CHRISTOPH SCHMIDT / DPA Wenn Menschen im Alter pflegebedü­rftig werden und in eine entspreche­nde Einrichtun­g ziehen, übernimmt die Pflegevers­icherung nur einen Teil der Kosten.

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