Dauerhafte Feindseligkeit
Die Krise der BBC: Premier Johnson setzt den berühmtesten öffentlich-rechtlichen Sender der Welt unter Druck
LONDON - Die Amtszeit des BBCVorsitzenden David Clementi endet im Februar. Im Rennen um seine Nachfolge mischt sich Premier Boris Johnson ein. Nicht zum ersten Mal versucht die Politik, Einfluss auf die Rundfunkanstalt zu nehmen.
Der Titel der jüngsten Sitzung des Medienausschusses im Londoner Unterhaus klang nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Denkwürdig blieb der Auftritt von Chairman David Clementi und Intendant Tim Davie zur „Arbeit der BBC“allemal. Diesmal wurden nicht die Anwesenden verbal abgewatscht; der vernichtende Angriff des Ausschussvorsitzenden Julian Knight galt dem Kandidaten für die Nachfolge von Clementi, dessen Amtszeit demnächst endet.
Wenige Tage zuvor hatte die „Sunday Times“gemeldet: Premierminister Boris Johnson wolle seinen früheren Chef Charles Moore zum BBC-Chairman machen. Dieser steht dem Rundfunkrat vor und führt damit die Aufsicht über den Intendanten. Dass da jemand Chairman und oberster Repräsentant des berühmtesten öffentlich-rechtlichen Senders der Welt werden solle, der wegen Verweigerung der Rundfunkgebühr einen Strafbefehl erhalten hatte, sei „völlig undenkbar“, empörte sich Knight.
Natürlich vermied der Konservative jegliche Namensnennung, und natürlich wusste dennoch jeder, wer gemeint war. Denn der 63-jährige Moore hat in der Zeit als Chefredakteur des „Daily Telegraph“und in seinen Kolumnen fürs Magazin „Spectator“aus seiner Verachtung für die BBC kein Hehl gemacht: Stolz berichtete er vor Jahren von seinem Boykott der obligatorischen Rundfunkgebühr und dem daraus entstandenen Strafverfahren. Immer wieder provozierte er durch rassistische und frauenfeindliche Bemerkungen. Der Sturm der Entrüstung zeigte Wirkung: Kleinlaut ließ Moore mitteilen, er stehe für den Posten nicht zur Verfügung.
Das ließ die Verteidiger des Senders nur kurz aufatmen. An der Feindseligkeit des populistischen Premiers und seiner engsten Crew besteht kein
Zweifel. Medienprofessorin Jean Seaton von der Uni Westminster grub kürzlich einen Blog von Johnsons Chefberater Dominic Cummings aus dem Jahre 2004 aus: Schon damals wurde „die Unterminierung der Glaubwürdigkeit der BBC“als strategisches Ziel ausgegeben. Nach dem Wahlsieg im vergangenen Dezember verfügte Cummings einen Boykott des Senders. Erst die Corona-Pandemie führte zu einer Kehrtwende, seither zieren Kabinettsmitglieder wieder die Nachrichtensendungen des britischen Aushängeschildes. Dass Johnson nun Moore das Jobangebot machte, „verstößt gegen alle Regeln“, sagt Seaton.
Die Anstalt musste in ihrer 98-jährigen Geschichte schon manche Einflussnahme durch die Regierung hinnehmen. Margaret Thatcher hob 1986 einen Entsandten auf den Posten des Chairmans; binnen weniger Monate war dieser gefeuert. Alistair Campbell, PR-Berater von Tony Blair, bezeichnete seinen Lieblingsfeind einmal als „heruntergekommenes, überbesetztes, hoch bürokratisches, lächerliches Unternehmen”.
Dabei stellt die erstmals 1927 für zehn Jahre ausgestellte königliche Charta den Sender jenseits direkten politischen Einflusses. Zwar wurde die BBC schnell Teil des britischen Establishments. Dafür ist dem Sender ein Parteienproporz erspart geblieben. Und dauernd liegen die Verantwortlichen mit Parteien, Verbänden und Einflussgruppen im Clinch. Vielleicht auch deshalb nennen die Briten bis heute die BBC in allen Umfragen als verlässlichste Informationsquelle, weit vor allen anderen Medien, der Regierung und dem Parlament.
Im Zeitalter von Amazon und Netflix werden die strukturellen Probleme der BBC jedoch immer größer. Einstweilen finanziert sich der Sender überwiegend durch die jährliche Rundfunkgebühr von derzeit 157,50 Pfund (173,97 Euro) pro Haushalt. Hinzu kommen Einnahmen aus dem weltweiten Verkauf populärer Programme wie „Bodyguard“oder David Attenboroughs „One Planet“, zuletzt immerhin ein Viertel des Gesamtbudgets von 5,4 Milliarden Euro.
Dass der neue Intendant Davie zuvor dem Kommerzarm BBC Studios vorstand, ist kein Zufall. Ausdrücklich hat der 53-Jährige auf die weltweite Bedeutung des Senders hingewiesen; mit der Rundfunkgebühr dürfe man jenseits der derzeitigen Charta-Phase bis 2027 nicht unbedingt rechnen, jedenfalls nicht in bisheriger Höhe. Deshalb müsse manch ein Programmbereich gestrichen oder verkleinert werden.
Seinen Stars verordnet Davie neue Richtlinien für Auftritte in Netzwerken wie Twitter oder Facebook: Gerade in Zeiten von Fakenews müsse die BBC für unbestechliche Unabhängigkeit und Objektivität stehen und stärker als bisher „das ganze Land repräsentieren“. Unter Insidern gilt dies als Chiffre dafür, dass man im öffentlich-rechtlichen Sender die wachsende Feindseligkeit gegenüber der EU zu lange übersah.