„Unsere Arbeit besteht aus Zuhören“
Frauen als Ansprechpartner für weibliche Opfer von Straftaten fehlen jedoch beim Weissen Ring
KREIS TUTTLINGEN - Wer beim Weissen Ring mitmachen will, muss vor allem eines beherrschen: gut zuhören können. Nachdem die drei Frauen, die sich mit dem Leiter der für den Landkreis Tuttlingen zuständigen Außenstelle, Wolfgang Schoch, einbrachten, aufgehört hatten, sind für diese nun zwei männliche Nachfolger im Einsatz: Michael Seiberlich aus Tuttlingen und der Aldinger Gunter Müller. Im Rathaus Schura berichteten sie über ihre ersten Erfahrungen bei der kostenlosen Unterstützung von Kriminalitätsopfern.
„Bei den meisten Opfern handelt es sich um Frauen“, sagt Schoch. Männer als Opfer von Kriminalität „genieren sich meistens, Hilfe anzufordern“. Um so wichtiger ist es für Frauen, bei dem gemeinnützigen Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten Frauen als Ansprechpartner zu haben – etwa bei der Vermittlung von Psychotherapeuten und Anwälten oder Hilfe beim Umgang mit Behörden. „Altersbedingt, oder weil sie sich räumlich oder familiär bedingt anders orientieren mussten“, so Schoch, waren die drei langjährigen Ansprechpartnerinnen im Kreis Tuttlingen jedoch nach und nach ausgeschieden. „Wir bräuchten wieder ein oder zwei engagierte Frauen, die in unserem Team mitarbeiten“, sagt Schoch. Denn nicht jede Frau will über schlimme Erlebnisse wie sexuellen Missbrauch mit einem Mann reden. Wenn Frauen nicht mit Männern sprechen wollten, würden diese an weibliche Zuhörer des Weissen Rings in Rottweil oder Villingen-Schwenningen weitervermittelt, erläutert Schoch.
„Ich kann nicht sicher sein, dass sich die Frauen völlig öffnen“, berichtet Michael Seiberlich von seinen Erfahrungen. „Leicht fällt das niemandem.“Schoch betont, dass die Menschen „nicht im Detail schildern müssen, was passiert ist“.
Wenn die Frauen etwa nach einer Vergewaltigung ein Trauma hätten, vermittle der Weisse Ring ihnen Psychotherapeut und Anwalt. „Uns geht es darum, als Lotse etwas in Gang zu bringen.“
Zwei dieser Lotsen sind nun Seiberlich und Müller. Dem jahrzehntelangen Leiter der Tuttlinger LudwigUhland-Realschule ist „in 30 Jahren etliches begegnet, was mich veranlasst hat, hier aktiv zu werden“, nennt Seiberlich sein Motiv für das ehrenamtliche Engagement im Ruhestand. „Gewalt unter Jugendlichen und viel Cybermobbing“gehören dazu. Auch, dass Eltern ihre Kinder „körperlich gezüchtigt“hätten, habe er erlebt. Und sexuelle Gewalt bei einer Schülerin, die seit ihrem sechsten Lebensjahr missbraucht wurde. Seine Erfahrungen als Pädagoge habe Seiberlich für das Interesse einer Schülerin bereits einsetzen können, berichtet Schoch.
Gunter Müller hat sich früher beim Deutschen Roten Kreuz engagiert. Als Geschäftsführer eines mittelständischen Betriebs habe er sich zurückgezogen, berichtet der Aldinger,
der „schon immer anderen Menschen helfen wollte“. Mit nun mehr Lebenserfahrung habe er beim Weissen Ring die Möglichkeit gesehen, sich mit Themen auseinanderzusetzen, „die beim DRK nicht abgebildet waren – psychische Probleme, Verletzungen, die tiefer gehen“. Er müsse „schon manchmal schlucken, wenn ich in Sachen hineinsehe – es ist anders, als wenn man davon nur am Rande erfährt“, hat Müller festgestellt. „Aber wir können beim Weissen Ring tatsächlich etwas bewirken mit unserer Unterstützung.“
Schoch betont, dass die Tuttlinger Außenstelle mit ihm als ehemaligen Kriminalbeamten, Seiberlich und Müller einen „Querschnitt der Bevölkerung“darstelle. „Wenn wir die Fälle besprechen, kann jeder seine Erfahrungen einbringen.“Die Hilfsorganisation brauche „vertrauensvolle
Menschen mit gutem Leumund, die geduldig sind und Einfühlungsvermögen haben – unsere Arbeit besteht aus Zuhören“. Weitere Voraussetzungen sind ein erweitertes Führungszeugnis, Verschwiegenheit und ein Führerschein. Mit einem weiteren männlichen Bewerber „mit besten Voraussetzungen“sei er in Verbindung.
Müller und Seiberlich haben die ersten Schritte ihrer Ausbildung hinter sich. Weitere Seminare folgen, „sobald es coronabedingt verantwortbar ist“. Themen sind zum Beispiel der Umgang bei häuslicher Gewalt und mit Menschen anderer Kulturen oder Fragestellungen wie „Warum wird jemand zum Täter?“. Damit sie gut vorbereitet sind auf die Wirren der Wirklichkeit, denen sie begegnen.
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